Die Nebel um ACTA lichten sich
Die US-Regierung hat am Montag den Inhalt des geplanten Anti-Piraterie-Abkommens (ACTA) veröffentlicht. Ein ganzer Abschnitt betrifft die "Verantwortung der Internet-Service-Provider in der Abschreckung von Urheberrechtspiraterie" im Netz. Für das Abfilmen von Filmpremieren sind Gefängnisstrafen vorgesehen.
Am Montag hat das Büro des obersten US-Handelsdelegierten (USTR) - der ranghöchste Diplomat für Handelsangelegenheiten - zum ersten Mal Einzelheiten über das geplante internationale Anti-Piraterie-Abkommen (ACTA) bekanntgegeben.
Von den bereits 2006 angestoßenen Verhandlungen für das ACTA-Abkommen wurde nur einmal, nämlich Ende 2007, ein Text bekannt. Dabei handelte es sich um ein Art Positionspapier, das rundum noch äußerst vage gehalten war.
Auf gerade einmal zwei Zeilen war dabei auch das Internet erwähnt worden, das ebenfalls in die verschärfte Kontrolle des grenzüberschreitenden Warenverkehrs einbezogen werden sollte.
Die Nichtauskünfte
Dazwischen gab es auf Anfragen von Bürgerrechtsaktivisten bis hin auf solche aus dem EU-Parlament von keiner europäischen Institution Auskunft darüber, wie denn der Stand dieser jahrelangen Verhandlungen nun sei.
Der wachsende Unmut wurde stets zu beschwichtigen versucht, indem man verlauten ließ, das Abkommen richte sich ohnehin vor allem gegen den Vertrieb von Produktfälschungen in großem Stil.
Der bisherige Tenor
Keineswegs sei vorgesehen, die Laptops und andere Datenträger von heimkehrenden Urlaubern nach Filmen und Musik zu durchsuchen, das Internet komme überhaupt nur am Rande vor.
Auch jetzt sei noch kein "zusammenfassender Text vorhanden", hieß es nun vom US-Handelsdelegierten, weshalb man sich auf eine Inhaltsangabe beschränke.
Gleich in Kapitel zwei (von sechs), "Legaler Rahmen für die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte", wird dem Internet ein eigener Abschnitt (von vier gewidmet): "Geistiges Eigentumsrecht in einer digitalen Umwelt".
Der aktuelle Wortlaut
"Dieser Abschnitt des Abkommens soll jene speziellen Herausforderungen ansprechen, die neue Technologien für den Schutz geistiger Eigentumsrechte darstellen: zum Beispiel die mögliche Rolle sowie die Verantwortung der Internet-Service-Provider in der Abschreckung ('Deterring') von Urheberrechtspiraterie und verwandten Delikten im Internet."
Die Zusammenfassung
Der Text in Kapitel zwei, Abschnitt vier ist offenbar alles, was an akkordiertem "Wording" bisher zur Internet-Überwachung existiert.
- Der oberste US-Handelsdelegierte, Botschafter Ron Kirk
Freilich sei hier noch kein Vorschlagsentwurf vorhanden, so der Text weiter. Die Diskussionen konzentrierten sich vielmehr immer noch darauf, die verschiedenen bestehenden nationalen Regelungen in Erfahrung zu bringen, um danach eine gemeinsame Vorgangsweise zu finden, wie man mit diesen Problemen am besten umgehen sollte.
Der Bezug zum EU-Telekompaket
Genau diese Punkte wurden von einer Handvoll Lobbyisten der Rechteinhaber-, Medien- und Unterhaltungsindustrie unter den EU-Parlamentariern und aus dem Ministerrat immer wieder mit neuen Änderungsanträgen in das aktuelle Telekompaket hineinreklamiert.
Eine stets wachsende Mehrheit der Parlamentarier hatte bis zuletzt all diese Anträge in Ausschüssen wie Plenarsitzungen nacheinander wieder abmontiert.
In Brüssel
Eine der hauptsächlichen Befürchtungen war, dass über den ACTA-Vertrag versucht werde, das EU-Parlament vor vollendete Tatsachen zu stellen.
In Brüssel ist man bekanntlich dabei, ein ganzes Bündel von veralteten Richtlinien zum Thema elektronische Kommunikation, genannt das "Telekompaket", noch vor der EU-Wahl im Juni zu verabschieden.
Richter, nicht gebraucht
Die französische Nationalversammlung debattiert seit März über das von der konservativen Regierung unter Präsident Nicolas Sarkozy eingebrachte Gesetz zur Einrichtung einer Behörde, die bei wiederholten (angeblichen) Verstößen gegen das Urheberrecht den beschuldigten Usern den Internet-Zugang sperren kann. Die Einschaltung eines ordentlichen Gerichts ist nicht geplant.
Unter der Führung von Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi traten die G-8-Staaten Mitte Dezember 2008 an, um "das Internet zu regulieren". In Deutschland forderte Familienministerin Ursula von der Leyen Internet-Filter. Vorbild: Großbritannien. Auch hier werden Sperren verordnet, und wiederum: Richter werden nicht gebraucht.
- Berlusconi greift nach dem Internet
Sarkozy, Berlusconi, ACTA
Genau in diesem EU-Richtlinienupdate hatten Sarkozy und Berlusconi via Ministerrat und etwa ein Dutzend parlamentarische Interessenvertreter der Medienindustrie partout jene Inhalte haben wollen, die im geplanten ACTA-Vertrag so umstritten sind, so dass es nach drei Jahren noch nicht einmal einen Textentwurf gibt.
Das Match um die endgültige Textversion des Telekompakets wiederum geht bereits nach Ostern weiter.
Videokameras und "Häfen"
Was die vorliegende ACTA-Inhaltsbeschreibung des US-Handelsdelegierten betrifft, so finden sich gleich vor der oben zitierten, nämlich in Kapitel zwei, Abschnitt drei ("Maßnahmen zur strafrechtlichen Verfolgung"), "strafrechtliche Prozeduren und Strafen im Fall des Abfilmens ('Camcording') von Filmen oder anderen audiovisuellen Werken". Das heißt: Gefängnisstrafen.
Anders als Abschnitt vier ist dieser Abschnitt bereits übersichtlich punktiert und ziemlich konkret in der Formulierung.
(futurezone/Erich Moechel)