© Screenshot: Hunch/ORF.at, Hunch-Logo

Entscheiden mit Fake

WEB
13.04.2009

Caterina Fake, Mitbegründerin des Online-Bilderdienstes Flickr, hat ein neues Projekt gestartet. Hunch soll den Usern helfen, sich im zunehmend komplexen Alltag zurechtzufinden. Die Ergebnisse aus dem einfachen Frage-Antwort-System könnten für Werber Gold wert sein.

Die Website von Hunch befindet sich derzeit noch im geschlossenen Betazustand. Laut Auskunft des Unternehmens soll sie im Laufe der kommenden Monate in die Public Beta entlassen werden.

Das Leben ist voller Fragen. Soll ich meinen Chef in meine Facebook-Freundesliste aufnehmen? Welchen Film soll ich mir ansehen? Welche philosophischen Werke lesen? Welchen Hund kaufen? Oder - am schwierigsten - welchen Twitter-Stream soll ich abonnieren?

Mit ihrer Website Hunch – Intuition – will ein New Yorker Team rund um Caterina Fake, Mitbegründerin des von Yahoo gekauften Digitalfotodienstes Flickr, den Nutzern eine Plattform bieten, auf der sie mehr oder weniger große Fragen aus allen Lebensbereichen stellen und beantworten lassen können.

Expertensystem mit Crowdsourcing

Hunch funktioniert nicht so wie die gescheiterten Frage-Antwort-Portale von Google und Yahoo, sondern eher wie die Assistenten in der Hilfefunktion von Microsoft Windows. Wer eine Antwort will, muss erst selbst eine Reihe von Fragen beantworten und damit die Zahl der brauchbaren Optionen eingrenzen. Bei der Auswahl der Fragen hilft still ein Algorithmus, der aus der Forschung zur Künstlichen Intelligenz stammt. Das schon etwas angejahrte Stichwort dazu heißt Expertensystem. Hunch ist ein kollaboratives Expertensystem, das der Ratgeberpresse Konkurrenz machen möchte.

Auch das alte Motiv der Schwarmintelligenz, das im Social-Web-Boom unter dem Begriff "Crowdsourcing" unterwegs war, steht im Zentrum der Ideenwelt von Hunch. Das Team gibt sich davon überzeugt, dass eine Gruppe von Menschen immer mehr wissen und eine bessere Problemlösung finden wird als auch der beste Experte. So können die User neue Fragekomplexe anlegen und nach bester Web-2.0-Manier verschlagworten, allerdings erst dann, wenn sie selbst mindestens drei beliebige andere Fragekomplexe durchlaufen und dabei das Konstruktionsprinzip kennengelernt haben. Besonders fleißige User werden nach dem Pfadfindersystem mit Abzeichen und Punkten belohnt, auch dann, wenn sie keine eigenen Fragen erstellen, sondern nur die Fragen und Optionen nach deren Nützlichkeit beurteilen. Ob jemand in einem bestimmten Feld selbst Experte ist, kann das System freilich nicht wissen.

"Unseren Beobachtungen zufolge tendieren unsere Nutzer dazu, ihr Wissen zu Themen beizutragen, von denen sie etwas verstehen", schreibt Hunch-Sprecher Kelly Ford auf Anfrage von ORF.at. "Hier legen sie neue Fragen an, schlagen neue Ergebnisse vor und trainieren das System. Bei Themen, in denen sie sich nicht so gut auskennen, machen sie eher passive Korrekturen und bessern formale Fehler aus."

Baukastensystem für Fragen

Beim Anlegen eines neuen Themas fragt Hunch erst, ob das Ergebnis am Ende eine Person, ein Ort oder ein Gegenstand sein soll. Alternativ dazu können auch Fragen angelegt werden, die sich mit Ja oder Nein beziehungsweise mit sowohl als auch beantworten lassen. Der Nutzer gibt den Namen des Themas und einen Kurznamen für dessen URL sowie Kategorie und Schlagworte ein. Auch ein Bild zur Illustration des Themas kann ausgewählt oder hochgeladen werden. Ist das Thema angelegt, geht der Nutzer daran, die eingrenzenden Fragen zu formulieren. Technologien aus dem Bereich des Semantic Web nutze Hunch allerdings nicht, so Ford zu ORF.at.

Bei der Auswahl der Antworten zieht sich das System passende freigegebene Daten von anderen Websites, beispielsweise von der Wikipedia, Amazon und Last.fm und bietet an, diese in der Antwort anzuzeigen oder zu referenzieren. Dieses Feature ist gut durchdacht und spart dem User viel Zeit. In einem letzten Schritt verknüpft der Anwender die Antworten in seinen Fragen hintereinander mit den angebotenen Ergebnissen. Die Benutzerschnittstelle ist in ihrer Einfachheit durchaus elegant, der Nutzer sieht immer gleich in der Vorschau im rechten Teil des Browserfensters, was er im linken Teil gerade mit den üblichen Eingabefeldern und Auswahlknöpfen zusammenbaut.

Aliens in Singapur

Auf diese Weise können sowohl triviale Ratgeber entstehen als auch witzige Kleinkunstwerke. Eine Frage danach, ob sich der User mit der Kultur des asiatischen Stadtstaats Singapur auskennt, führt in ein Dickicht aus Anspielungen und Akronymen. Leider bietet das System keine Möglichkeit, die beantworteten Fragen hinterher aufzuschlüsseln. Ein Lerneffekt bleibt also aus. Natürlich fehlen auch die in der Frühzeit des Weblog-Booms so beliebten Abstimmungen vom Muster "Welcher Alien in Star Wars bin ich?" nicht im Repertoire.

Finanzieren soll sich die Plattform über Fragen zu Produkten, die man über Links zu Anbietern gleich erwerben kann. Die Frage nach der besten philosophischen Lektüre führt so nicht in die Stadtbücherei, sondern geradewegs zu Amazon. Es gibt auch viele Fragen zu Hardware-Kaufproblemen, die sich ebenfalls am Ende mit einem Link lösen lassen. Hunch schreibt in seiner FAQ, dass die individuellen Daten zu Entscheidungspfaden nicht weiterverkauft werden würden. Von aggregierten Daten ist dort allerdings nicht die Rede. Über diese denken die Hunch-Macher bereits in ihrem Firmenweblog nach.

Verknüpfung von Daten

Bisher seien die Empfehlungssysteme großer Websites wie Amazon und Netflix nämlich nur auf einen bestimmten Bereich eingeschränkt. Mit den aggregierten Daten von Hunch könne man beispielsweise nachsehen, ob der Satz «Ich möchte mich anpassen und mit den Menschen in meiner Umgebung im Einklang sein» eher auf Mac-User oder auf PC-Nutzer zutreffe, oder ob Leser liberaler Weblogs häufiger auswärts essen als Konservative.

Hunch plant, die Programmierschnittstellen (APIs) zu seiner Datenbank zu öffnen und den Zugriff auf die anonymisierten aggregierten Daten freizugeben. "Dabei wird viel Interessantes herauskommen", schreibt Fake im Firmen-Weblog und freut sich darüber, dass sich am ersten April, also fünf Tage nach Öffnung der Site für registrierte Betatester, schon rund 30.000 Nutzer auf der Plattform eingefunden und sie mit 1,5 Millionen Antworten gefüttert haben. Schritt für Schritt will Hunch neue Features einbauen, die es ermöglichen sollen, Seelenverwandte zu finden und Trends zu analysieren.

Die Eigenschaften einer Person

"Es wäre toll, eine Studie darüber zu machen, ob es möglich ist, mit einem Satz von 20 Fragen 95 Prozent der Eigenschaften einer Person herauszufinden", schreibt Fake. Als Gedankenexperiment mag das sicher lustig sein, aber die Frage stellt sich, ob hier die Macht der Statistik nicht doch strategisch überschätzt und dem Quizformat zu viel zugetraut wird.

Die aggregierten Daten könnten - jenseits der üblichen Google-Paranoia - dennoch für Werber und Marketingexperten durchaus interessant sein, da sich über geschickt gesetzte Fragen nicht nur die Einstellung der User zu bestimmten Produkten herausfinden lässt, sondern auch Einstellungen, die hoch mit diesen korrelieren. Gerade die vielen kleinen Entscheidungsspuren, die die User bei Hunch hinterlassen, können viel über eine bestimmte Gruppe aussagen. Und wer genügend anonymisierte Datenaggregate hat, braucht gar keine individuellen Daten mehr, um ausreichend präzise Schlüsse daraus ziehen zu können.

"Wenn wir unsere Schnittstellen öffnen, dann werden wir die Nutzung unserer Daten vorerst nur zu nichtkommerziellen Zwecken erlauben", so Hunch-Sprecher Ford zu ORF.at. "Was die kommerzielle Verwendung angeht, so werden wir uns das von Fall zu Fall ansehen."

(futurezone/Günter Hack)