Die Form des öffentlichen Todes

medien
21.11.2006

Für die Berichterstattung über Amokläufe an Schulen hat sich eine eigene mediale Ästhetik etabliert. Das macht es potenziellen Tätern einfach, ihr zu folgen.

Sonnenbrille, Kappe mit dem Schild im Nacken, Camouflage-Kleidung, Waffe: So sah Sebastian B. aus, der Amokläufer im deutschen Emsdetten. Schnell zogen Journalisten und Blogger die Bilder nach seiner Tat von einer seiner zahlreichen Websites ab.

Sonnenbrillen, Kappen mit dem Schild im Nacken, Camouflage-Kleidung, Waffen: So sahen Eric Harris und Dylan Klebold aus, die am 20. April 1999 das Massaker an der Columbine High School anrichteten.

Sonnenbrillen, Kappen mit dem Schild im Nacken, Camouflage-Kleidung, Waffen: So sahen die Darsteller der Amokläufer in Gus van Sants Film "Elephant" [2003] aus, der die Geschichte der Mörder von Columbine nacherzählt.

Das Script

Die Bilder gleichen einander - zum Teil bis ins Detail. Genauso wie ihre Verarbeitung in Mainstream-Medien und Blogs. Der Boulevard fährt sein Programm ab, die Politiker fordern, Experten wägen ab. Blogger, die beweisen wollen, dass sie Whois und Suchmaschinencaches bedienen können, stellen eifrig Post-mortem-Fahndungsdossiers zusammen.

Danach weiß die Welt so viel wie vorher: Schuld tragen die Medien, Schuld trägt der Staat. Schuld trägt die Schule, Schuld trägt die Polizei. Schuld tragen der Mörder und seine Eltern. Schuld tragen Computerspiele und Waffen.

Spätestens mit Michael Moores Welterfolg "Bowling for Columbine" haben sich öffentliche Reiz-Reaktionsmuster für den Umgang mit Schulmassakern etabliert. Medien und Gesellschaft folgen im Umgang mit den Amokläufen zunehmend standardisierten Schemata.

Die Uniform

In dem japanischen Film "Battle Royale" [2000], einem Streifen, der die Schulmassaker-Stilistik wesentlich geprägt hat, ist es noch die Regierung, die den jugendlichen Kämpfern die Uniformen anzieht.

Heute machen sich die Amokläufer selbst für ihre Tat zurecht, stellen sich ihre Uniform ebenso zusammen wie die bekannten Versatzstücke ihres Universums: "Counterstrike", Abschiedsbrief, Spuren in Foren und Websites. Gaben für die Nachwelt, für die offiziellen und privaten Fahnder.

Sie wissen ja, was kommen wird. Es ist, als ob sie die Effekte ihrer eigenen Tat nach dem Tod mitverfolgen könnten. Eine neue Variation für ein altes Thema jugendlicher Selbstmordfantasien: Man bringt sich um und sieht die Trauer der Zurückgebliebenen aus dem Jenseits.

Vorgespurte Pfade sind einfacher zu beschreiten als neue. Je tiefer der Schulmassaker-Stil in die Medienkultur einsickert, desto deutlicher ist der Weg aus der persönlichen Verzweiflung in den öffentlichen Tod vorgezeichnet.

Das Ende

Bleibt die Frage, wie Medien, Politik und Gesellschaft mit dieser Beobachtung umgehen könnten. Vielleicht, indem sie versuchen, sich den vorgestanzten Verhaltensmustern zu verweigern. Wenn die Mediengesellschaft aufhört, ihre Makros abzuspielen, werden auch die tödlichen Verhaltensmuster gestört. Vielleicht.

(futurezone | Günter Hack)