Vorboten des 3-D-Internets

14.12.2006

Der Computerkonzern IBM prophezeit virtuellen Welten wie "Second Life" eine große Zukunft. Um die Metaversen auch geschäftlich interessant zu machen, müssen jedoch noch einige Schwachstellen beseitigt werden.

Ähnlich wie die Dienste Darpa, AOL und Prodigy den Weg für das World Wide Web geebnet haben, könnten virtuelle Welten wie "Second Life" und "World of Warcraft" als Vorboten des 3-D-Internets gelten, sagte Anton Fricko, Experte für Emergent Technologies bei dem Computerkonzern IBM.

Eine 3-D-Welt, wie sie sich in "Second Life" darstellt, ermöglicht neue Möglichkeiten, die vom Online-Handel über E-Learning bis hin zur Wissenschaft reichen: "Wir glauben, dass sich hier Gewaltiges tun wird", sagte Fricko im Rahmen einer von IBM veranstalteten Führung durch das Metaversum "Second Life" am Mittwoch gegenüber ORF.at.

Virtuelle Welt mit "realer Ökonomie"

"Second Life" ist eine virtuelle 3-D-Welt, die vom kalifornischen Unternehmen Linden Lab. betrieben wird und seit 2003 öffentlich zugänglich ist. Derzeit zählt die virtuelle Welt rund 1,9 Millionen Nutzer. Die Mitgliederzahl wächst jeden Monat um fast 30 Prozent. Die Spieler können ihre "Welt" weitgehend selbst gestalten. Um Grundstücke und Einrichtungsgestände im Metaversum hat sich ein reger Handel entwickelt.

Als Währung fungieren Linden-Dollars, die auch gegen US-Dollar umgetauscht werden können. Täglich wechseln auf diese Art rund 135,5 Millionen Linden-Dollar [500.000 US-Dollar] ihren Besitzer. Die Wirtschaft der virtuellen Welt wächst monatlich um zehn bis 15 Prozent.

Welten überschneiden sich

Schon heute werde die virtuelle Welt zunehmend mit der realen Welt verbunden, meint Fricko. Als Beispiel nennt er die Konvertierbarkeit der in "Second Life" gebräuchlichen Währung Linden-Dollar in "echtes" Geld.

Wirtschaftliches Potenzial

Auch die Wirtschaft hat das Potenzial des Online-Spiels bereits erkannt. Rund 40 Konzerne - darunter General Motors, Adidas, Sony BMG und Toyota - sind bereits in "Second Life" präsent.

Der Bekleidungshersteller American Apparel präsentiert in "Second Life" etwa neue Kollektionen und verkauft auch T-Shirts an Avatare. Für jedes virtuelle T-Shirt bekommen die Käufer Gutscheine, die in "realen" Geschäften eingelöst werden können.

IBM in "Second Life"

Auch IBM unterhält in der virtuellen Welt elf "Inseln". Dort können die Mitarbeiter des Konzerns mit den Möglichkeiten des Online-Spiels experimentieren. Daneben werden die virtuellen Latifundien auch zum internen Gedankenaustausch genutzt. Insgesamt tummeln sich weltweit bereits mehr als 800 Mitarbeiter des Konzerns in "Second Life".

"Virtuelle Welten kann man im Labor nicht erforschen. Das muss man miterleben, und deshalb sind wir auch jetzt dabei", erklärte Fricko. Konkrete Geschäftsideen verfolge der Konzern im Metaversum jedoch noch nicht.

Schwachstellen

Als Spielumgebung sei "Second Life" schon akzeptiert, um die virtuelle Welt jedoch auch abseits des Marketings als Geschäftsumgebung interessant zu machen, weise "Second Life" noch zu viele Schwachstellen auf, meinte Fricko.

"Die Qualität und Stabilität der Software ist im Moment für E-Business nur bedingt geeignet", sagte er. Auch rechtliche Fragen müssten noch geklärt werden. Vor kurzem sorgte etwa das Programm Copybot, das das Kopieren virtueller Gegenstände ermöglicht, für Aufsehen im Metaversum.

Standards fehlen

"Was uns aber vor allem Sorgen macht, sind fehlende offene Schnittstellen und Standards", sagte Fricko.

Unternehmen müssten aus "Second Life" auch auf ihre Geschäftsdaten zugreifen können, das sei noch unbefriedigend gelöst, meinte Fricko: "'Second Life' ist eine von Linden Labs kontrollierte proprietäre Umgebung, und das ist ein Modell, das IBM in der Geschäftswelt nicht vertreten könnte."

Offene Standards würden es den Spielern auch ermöglichen, zwischen verschiedenen virtuellen Welten zu wechseln, skizzierte Fricko mögliche Entwicklungen.

In einem solchen "Internet-Metaversum" könnten sich die Avatare virtuell durch das Netz bewegen und dabei auch miteinander kommunizieren und sich über die Inhalte austauschen. Und das, meinte Fricko, wäre ein wesentlicher Unterschied zum heutigen "Web-Surfing".

(futurezone | Patrick Dax)