Von Führerscheinen und Terroristen
Die EU hat eine Richtlinie verabschiedet, nach der es ihren Mitgliedsländern freigestellt bleibt, einen "Mikrochip" in den Führerschein im Scheckkartenformat zu integrieren. Smart-Card-Lobbyisten schlagen vor, RFID-Chips in die Führerscheine zu integrieren, deren Datenstruktur mit jener der Sicherheitspässe kompatibel ist.
Am 14. Dezember hat das EU-Parlament eine Richtlinie beschlossen, nach der die Mitgliedsländer der Union in Zukunft Vergabe und Gestaltung von Führerscheinen regeln müssen. Am Dienstag teilte die finnische EU-Ratspräsidentschaft mit, dass alle EU-Staaten der Richtlinie offiziell zugestimmt haben.
Die Richtlinie mit der Referenznummer COD/2003/0252 ist seit Oktober 2003 in Arbeit. Schon in der ersten öffentlich verfügbaren Fassung des Dokuments geht es den Autoren zunächst darum, die Fahrzeugklassen europaweit zu harmonisieren und regelmäßige Gesundheitschecks für Fahrer über 50 zu empfehlen.
Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Terrorbekämpfung nach den Ereignissen des 11. September 2001 zielt die Richtlinie aber auch darauf ab, das Identitätspapier Führerschein "sicherer" zu machen.
Wie das EU-Parlament am 14. Dezember beschlossen hat, dürfen die Mitgliedsstaaten der EU am 2013 nur noch Führerscheine im neuen genormten Kartenformat ausstellen. Dieses Format unterscheidet sich äußerlich kaum von den bekannten EU-Führerscheinen im Scheckkartenformat, wie sie in Österreich seit März 2006 ausgegeben werden. Bis 2032 sollen alle bisherigen Führerscheine gegen die neuen Modelle ersetzt worden sein.
Eine wesentliche Änderung der bisher gültigen Spezifikation besteht allerdings darin, dass die EU es ihren Mitgliedsländern freistellt, auch einen "Mikrochip" in die Karte zu integrieren.
Sichtbare und unsichtbare Daten
Auf diesem Chip sollen, so der ursprüngliche Vorschlag der Kommission von 2003, die auf dem Führerschein sichtbaren Daten gespeichert werden.
Schon in der ersten Lesung vor dem EU-Parlament taucht aber als Ergänzung 11 des Artikels 1 § 2a des Vorschlags der Passus auf, dass in den Mitgliedsländern "unter Rücksprache mit der Kommission" auf dem Chip auch "zusätzliche Daten" gespeichert werden dürfen, solange diese die Funktion des Chips nicht beeinträchtigen und die geltenden Datenschutzbestimmungen nicht verletzt werden.
Mit den "zusätzlichen Daten" können biometrische Daten gemeint sein, aber auch Informationen, die im Rahmen der Umsetzung der neuen Richtlinie erfasst werden.
Die Daten auf dem Chip sollen "durch eine geeignete Public-Key-Infrastruktur" gesichert und nutzbar gemacht werden.
Report on the proposal for a directive of the European Parliament and of the Council on driving licences.
~ Link: COM(2003 (http://COM(2003) ~
EU-Führerscheinnetz
"Die EU möchte den Führerschein-Tourismus unterbinden", sagt Eva Lichtenberger, Abgeordnete der österreichischen Grünen im EU-Parlament und Mitglied des für die Führerscheinrichtlinie zuständigen Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr. "Ergänzend richtet die Union ein EU-weites Führerscheinnetz für den Datenaustausch ein."
Früher, so Lichtenberger, seien beispielsweise deutsche Staatsbürger nach Verlust der Fahrerlaubnis mal eben nach Polen gefahren, um dort billig einen Führerschein zu ergattern. Damit wolle die EU nun Schluss machen. Außerdem gehe es darum, die Führerscheine aktuell zu halten, weswegen es einen neuen Rhythmus geben solle, in dem die Dokumente erneuert werden müssten.
"Heute fahren viele ältere Bürger noch mit einem Führerschein herum, in dem ein Foto klebt, das sie als 18-Jährige zeigt", sagt Lichtenberger. Die Führerschein-Updates sollten das in Zukunft verhindern.
Umsetzung ist Sache der Mitgliedsländer
"Im Ausschuss konnten sich die verschiedenen Länder nicht darauf einigen, ob der Chip im Führerschein nun Bestandteil der Richtlinie wird", sagt Lichtenberger. "In einigen Ländern wird der Führerschein als Identitätspapier im Rang eines Personalausweises verwendet, in anderen Ländern dagegen nicht. Deshalb überlässt es die EU den Mitgliedsländern, ob sie einen Chip in den Führerschein integrieren."
Eva Lichtenberger spricht sich deutlich dagegen aus, dass die Führerscheine zu Smart Cards werden. Wenn es sich nicht vermeiden ließe, sollten nur die auf dem Führerschein auch sichtbaren Daten auf dem Chip des Führerscheins untergebracht werden. Lichtenberger lehnt es außerdem ab, diese durch biometrische Erkennungsmerkmale nach Vorbild des Sicherheitspasses zu ergänzen. "Wenn es ein Dokument mit biometrischen Daten gibt, ist das völlig ausreichend."
Der "logische nächste Schritt"
Lichtenbergers Bedenken sind nicht ganz unbegründet. In einem Positionspapier von Eurosmart, der Lobby-Organisation der europäischen Smart-Card-Hersteller, wird die Integration von Chips in die neuen EU-Führerscheine als "logischer nächster Schritt" bezeichnet. Die Chips brächten "den höchsten Grad an Schutz für Sicherheit und Privatsphäre".
Eurosmart vertritt namhafte Hersteller und Nutzer von Chipkarten-Technologien, darunter Austria Card, die deutsche Bundesdruckerei, Fujitsu, Giesecke & Devrient, Infineon Technology, MasterCard, Philips Semiconductors oder Samsung. Eurosmart bezeichnet sich selbst als "die Stimme der Experten" in Smart-Card-Fragen.
Eurosmart schlägt auch vor, die Führerscheine mit RFID-Chips auszustatten, "um zusätzlichen Nutzen aus der Lesegeräte-Infrastruktur zu ziehen, die derzeit für die Sicherheitspässe aufgebaut wird."
Die Organisation bezeichnet die Sicherheitspass-Systeme hinsichtlich "Sicherheit, Schutz der Privatsphäre, Interoperabilität und Haltbarkeit" als "ausgereift".
Alle österreichischen Passbehörden sind mit dem ePassport Verification System des US-Herstellers 3M ausgestattet.
In seiner Empfehlung an die EU-Verkehrsminister drängt Eurosmart gerade darauf, die Führerscheine mit den bereits bestehenden Infrastrukturen für RFID-Pässe und eID-Karten kompatibel zu machen.
Auch in dem von Eurosmart referenzierten ISO-Führerscheinstandard 18013 sind schon RFID-Chips zur Datensicherung und -übertragung vorgesehen. In diesem Standard ist auch die Datenstruktur für die Führerschein-Chips festgeschrieben. Diese ist mit jener der Sicherheitspässe kompatibel - bis hin zur Integration biometrischer Daten.
Weltweiter Trend
Als Länder, die bereits einen Smart-Card-Führerschein nutzen oder testen, nennt Eurosmart El Salvador, Indien, Russland, Japan, Australien und die USA. Die OeNB-Tochter Austria Card stellt einen Smartcard-Führerschein für Tansania her.
No comment
Wie Österreich die neue EU-Richtlinie und damit auch die Chip-Integration in die neuen Führerscheine umsetzen wird, ist auch wegen des Regierungswechsels nicht sicher. Mehrere diesbezügliche Anfragen von ORF.at beim Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie blieben unbeantwortet.
(futurezone | Günter Hack)