Reality Check Check: 2001
Besteigen Sie das Solarmobil für eine Rundfahrt durch die körperlose Corporation. Und vergessen Sie dabei auf keinen Fall, Ihr brandneues Satellitenhandy mitzunehmen! Die Voraussagen aus 1996 auf das Jahr 2001.
Betrachtet man die Vorhersagen der "Reality Check"-Autoren für das Jahr 2001, fällt dem Science-Fiction-Kundigen als Erstes der scharfe Kontrast zur klassischen Zukunftsvision "2001 - Odyssee im Weltraum" von Arthur C. Clarke und Stanley Kubrick auf.
Statt sauberer Pan-Am-Raumschiffe, Antigrav-Toiletten und Mondbasen gibt es bei den "Wired"-Autoren nur die mittlerweile ziemlich trüben Visionen des kalifornischen Hippie-Kapitalismus zu sehen.
Fragt sich nur, welche Zukunft besser gewesen wäre: Eine, die aussieht wie ein IBM-Buchhaltungszentrum in Mondkraterlandschaft, oder eine, in der bärtige Hippie-Milliardäre nicht mit ihrem Solarmobil zur Arbeit pendeln, weil ihr Megakonzern sich selbst ins Virtuelle verabschiedet hat.
Futuristisch wie Rohrpost, exotisch wie alkoholfreie Pina Colada: Unsere kurze Serie stellt eine Auswahl von Zukunftsvisionen vor, die 1996 in dem Hardwired-Band "Reality Check" veröffentlicht wurden. Heute: 2001.
Das Solarmobil
Die sechs für "Reality Check" befragten Verkehrsexperten trauten sich nicht, für 2001 alltagstaugliche Fahrzeuge vorherzusagen, die ausschließlich mit Solarstrom fahren.
Vielmehr würde es 2001 verstärkt Hybridfahrzeuge geben, die mit Erdgas und Elektrizität laufen und die Solarenergie entweder zum Aufladen ihrer Akkus oder - am Fahrzeug selbst montiert - für die Energieversorgung von Bordcomputern und anderen Geräten nutzen.
Das erste massenproduzierte Hybridauto, der Toyota Prius, kam zwar schon 1997 auf den japanischen Markt, wurde aber erst ab 2001 weltweit verkauft. Insofern hatten die "Reality Check"-Experten nicht völlig Unrecht.
Der US-Journalist Bradley Berman betreibt Hybridcars.com, eine Site rund um Fahrzeuge mit Hybridantrieb.
Virtuelles Unternehmen
2001, so die Autoren von "Reality Check", werde sich in der "Fortune"-Liste der 500 größten US-Unternehmen mindestens eine Firma befinden, die ohne physisches Hauptquartier auskommt.
Die "Virtual Corporation" werde dank moderner Kommunikationstechnologien überhaupt keine Räumlichkeiten mehr benötigen. "Das Hauptquartier wird sich dort befinden, wo sich der Chef gerade aufhält", orakelte der Experte Tom Newhouse.
Trotz Globalisierung hat sich dieses im Netz-Hype der 90er von diversen Beraterfirmen favorisierte Konzept nicht so richtig durchsetzen können. Die Experten wären in diesem Fall fast völlig danebengelegen, wenn nicht im Dezember 2001 der Enron-Skandal aufgeflogen wäre, der immerhin dazu geführt hat, dass sich eine netzgetriebene "Fortune"-500-Firma vollständig ins Nichts virtualisierte - allerdings nicht so, wie es sich die Consultants in "Reality Check" vorgestellt hatten.
Als virtuelle Firma könnten heute die lockeren Zusammenschlüsse freier Kreativer gelten, wie sie von den deutschen Autoren Holm Friebe und Sascha Lobo in ihrem Buch "Wir nennen es Arbeit" beschrieben werden.
Weltweite Erreichbarkeit via Mobiltelefon
2001, so "Reality Check", werde eine Elite von internationalen Managern weltweit über Mobiltelefone erreichbar sein. Die dabei befragten Experten stellten sich darunter allerdings eher ein weltumspannendes Netz eines einzelnen Konzerns vor als das heute gebräuchliche Roaming zwischen verschiedenen Netzwerken.
Leider erweist sich die Sichtweise der "Reality Check"-Autoren als stark US-zentriert, sodass sie den in Europa entworfenen GSM-Standard gar nicht erst erwähnen. Dabei konnten die über 50 Millionen GSM-Kunden von 1996 schon selbstverständlich roamen, und zwar in 94 Ländern und in den Netzen von 167 Mobilfunkunternehmen. Manchmal sind die viel geschmähten Europäer halt doch nicht so hinterwäldlerisch, wie die US-Evangelisten sie gerne haben würden.
Stattdessen hypeten die Kalifornier lieber das heimatliche Satellitentelefon-Start-up Iridium, das 1998 an den Start und 1999 gleich wieder Pleite ging. Iridium legte aber einen Neustart hin und ist nach eigenen Angaben seit Juli 2004 profitabel. Seine Dienstleistungen wurden lange Zeit hauptsächlich vom US-Militär in Anspruch genommen. Insgesamt hatte Iridium im November 2006 196.000 Kunden, davon, so das Unternehmen, nur ein Fünftel aus dem militärischen Bereich.
Ebenfalls nicht erwähnt wurde der Plan des Unternehmens Teledesic, das, mit der finanzkräftigen Unterstützung von Bill Gates, 1995 den Plan veröffentlichte, mit 840 Satelliten ein Kommunikationsnetz über die Erde zu ziehen. Teledesic stellte 2003 seine Geschäftstätigkeit ein, die Überbleibsel sind heute Teil des Satellitenkonzerns ICO Global Communications.
(futurezone | Günter Hack)