"Kontrolle über Technologie zurückgewinnen"
Der Science-Fiction-Autor Cory Doctorow stellt seine Bücher unter einer Creative-Commons-Lizenz zum kostenlosen Download ins Netz und macht sich für digitale Bürgerrechte stark. ORF.at hat mit ihm über Technologie und Überwachung, E-Books, freie Lizenzen und Internet-Sperren nach wiederholten Urheberrechtsverletzungen gesprochen.
In seinem jüngsten Roman "Little Brother" beschreibt Doctorow, wie ein Teenager in die Mühlen eines technologisch hochgerüsteten Überwachungsapparates gerät und sich durch den kreativen Umgang mit Technologien aus den Fängen seiner Unterdrücker befreit. Ebenso wie die anderen Veröffentlichungen des in London lebenden kanadischen Science-Fiction-Autors wurde auch "Little Brother" im Netz unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht und kann kostenlos heruntergeladen werden. Den Verkaufszahlen seines Buches tat das keinen Abbruch. Es erreichte vor kurzem die neunte Auflage und ist für mehrere Preise nominiert.
Anfang April war Doctorow bei der Berliner Social-Media-Konferenz re:publica zu Gast, wo er unter anderem das Verhältnis der Medienindustrie zum Internet kritisch kommentierte und neue Geschäftsmodelle in Verbindung mit freien Lizenzen zur Sprache brachte. Mit ORF.at sprach er in Berlin über "unverhältnismäßige Maßnahmen" gegen Urheberrechtsverstöße, den aktuellen E-Book-Boom, Creative Commons, die Transparenz der US-Regierung unter Barack Obama und warum politisches Engagement wichtig ist.
Zur Person:
Cory Doctorow veröffentlichte seit 2000 zahlreiche Sachbücher, Romane und Kurzgeschichten. Seit 2001 ist er Mitautor des Weblogs Boingboing. Seine journalistischen Arbeiten erschienen unter anderem in der "New York Times". Er war für die Bürgerrechtsbewegung Electronic Frontier Foundation (EFF) für europäische Belange zuständig und arbeitet derzeit an zwei Dokumentarfilmen und einem neuen Roman.
ORF.at: Deutsche Buchhändler haben vor kurzem schärfere Maßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen im Netz gefordert und sich auch für Internet-Sperren nach wiederholten Urheberrechtsverstößen ausgesprochen. Wie stehen Sie als Autor zu solchen Forderungen?
Doctorow: Ich glaube, dass der Ruf nach Internet-Sperren eine sehr unverhältnismäßige Forderung ist. Das Internet wird nicht nur dazu genutzt, um sich kostenlos Zugang zu E-Books, MP3s und Filmen zu verschaffen. Es steht auch für freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Pressefreiheit und vieles mehr. Wir nutzen das Internet zur Arbeit, um mit unseren Familien in Kontakt zu bleiben, uns Gesundheitsinformationen zu besorgen und uns an der Demokratie zu beteiligen. All diese Rechte wegen des Vorwurfs der Urheberrechtsverletzung infrage zu stellen ist schlicht unverhältnismäßig. Ich habe vor kurzem im Londoner Magazin "Time Out" eine Geschichte über britische Straftäter gelesen, die in Hochsicherheitsgefängnissen sitzen. Fast alle diese Leute haben über das Internet Kurse belegt und nutzten ihre Zeit im Gefängnis zur Weiterbildung. Wir haben also einerseits verurteilte Straftäter, die Zugang zum Internet haben. Wenn andererseits jemand beschuldigt wird, Urheberrechtsverletzungen begangen zu haben, dann soll ihm der Internet-Zugang gekappt werden? Ich glaube, dass dieses Beispiel besser als alles andere die Unverhältnismäßigkeit eines solchen Ansinnens illustriert. Aber warum drehen wir den Spieß nicht um? Was wäre, wenn jeder Verleger, der jemanden dreimal fälschlicherweise beschuldigt hat, Bücher unautorisiert aus dem Netz geladen zu haben, der Internet-Zugang gekappt würde? Das wäre so etwas wie ein Todesurteil für diesen Verlag, denn Autoren könnten ihre Manuskripte nur noch per Post einreichen, und wenn dieser Verlag Bücher drucken will, muss er seine Vorlagen der Druckerei mittels einer Floppy Disk übermitteln.
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ORF.at: Sie stellen Ihre Bücher seit Jahren unter Creative-Commons-Lizenzen zum kostenlosen Download ins Netz. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Doctorow: Meine Erfahrungen damit sind sehr, sehr gut. Die Verkäufe meiner Bücher haben bisher immer die Schätzungen meiner Verleger übertroffen. Alle meine Bücher mussten nachgedruckt werden. "Little Brother", mein jüngstes Buch, hat bereits die neunte Hardcover-Auflage erreicht und wurde bisher in elf Sprachen übersetzt. Es war auf der "New York Times"-Bestsellerliste und ist für zahlreiche Preise nominiert. Ich glaube, es hat meinen Büchern gutgetan, dass sie auch als kostenloser Download verfügbar sind. Auch meine Tantiemenzahlungen haben darunter keinesfalls gelitten. Auf der nichtkommerziellen Seite wird durch die Veröffentlichung meiner Bücher unter Creative-Commons-Lizenzen die Bindung zu meinen Lesern erhöht. Vor allem für junge Leute ist der Zugang zu Creative-Commons-Werken wichtig. Sie empfehlen die Bücher ihren Freunden weiter und können sie remixen und so die Geschichten mehr zu ihren eigenen Geschichten machen. Etwas Schöneres kann es für einen Autor nicht geben.
ORF.at: Wie hat Ihr Verlag reagiert, als Sie das vorgeschlagen haben?
Doctorow: Ich hatte mit meinen Verlegern sehr viel Glück. Mein Verlag Tor Books, der zur Holtzbrinck-Gruppe gehört, ist der größte Science-Fiction-Verlag der Welt. Mein Herausgeber dort ist Patrick Nielsen Hayden, er ist sehr "geeky". Als ich ihm vorgeschlagen habe, meine Bücher in elektronischer Form kostenlos im Netz anzubieten, hat er sehr enthusiastisch reagiert. Er hat das auch als Experiment betrachtet, aus dem sich auch für den Verlag wertvolle Erkenntnisse gewinnen lassen.
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ORF.at: Mit Inhalten lässt sich im Netz kaum Geld verdienen. Wie könnten erfolgreiche Geschäftsmodelle aussehen?
Doctorow: Meine Bücher sind das beste Beispiel für ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Ich habe ein physisches Objekt, das ich verkaufe, das ist mein Buch. Und ich habe ein digitales Objekt, das ich verschenke, das sind meine E-Books. Solange die E-Books mehr Verkäufe generieren, als sie ersetzen, mache ich also einen Gewinn.
ORF.at: Seit Amazon Ende 2007 den E-Book-Reader Kindle in den USA auf den Markt gebracht hat, haben E-Books und E-Book-Lesegeräte einen Popularitätsschub erfahren. Wie macht sich diese Entwicklung für Sie bemerkbar?
Doctorow: Ich biete meine Bücher nicht auf dem Kindle an, weil dort Kopierschutzbeschränkungen zum Einsatz kommen. Ich liebe es, meine Bücher über Amazon zu verkaufen, aber ich bin von der E-Book-Vertriebslösung Amazons wegen des Digital Rights Management (DRM) nicht überzeugt. Ich glaube nicht, dass E-Book-Reader notwendigerweise unautorisierte Downloads von digitalen Büchern nach sich ziehen. Wenn man 300 Dollar für ein solches Gerät ausgibt, dann ist es auch keine große Sache, 15 Dollar für ein E-Book zu bezahlen. Darüber hinaus verfügt gerade erst einmal ein Bruchteil der Leser über ein solches Gerät. Aber selbst wenn sich herausstellen sollte, dass dadurch meine Verkäufe in Mitleidenschaft gezogen werden, glaube ich, dass ich durch die Erfahrungen, die ich mit der Veröffentlichung meiner Bücher im Netz gemacht habe, eine Art Fingerspitzengefühl für die Möglichkeiten des elektronischen Vertriebs entwickelt habe.
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ORF.at: Lesen Sie eigentlich Bücher lieber elektronisch oder in gedruckter Form?
Doctorow: Ich lese Bücher fast ausschließlich in gedruckter Form. Das hat verschiedene Gründe. Ich verwende in Situationen, in denen ich zum E-Book-Reader greifen könnte, lieber einen Laptop, weil ich viel zu arbeiten habe. Am Laptop kann ich mich aber auf längere Texte nicht konzentrieren. Es passiert zu viel rundherum. Ich beantworte E-Mails, schaue in meinen RSS-Reader und so weiter. Ich kann ein Buch zwar auf dem Laptop anlesen, zur eigentlichen Lektüre greife ich aber zu gedruckten Büchern.
ORF.at: Die US-Autorenvereinigung Authors Guild hat zuletzt gegen den Kindle mobilgemacht. Sie sieht in der Vorlesefunktion des Geräts einen Copyright-Verstoß. Sie haben das scharf kritisiert.
Doctorow: Ich denke, dass die Authors Guild verrückt ist, wenn sie glaubt, dass durch die Vorlesefunktion des Kindle das Copyright verletzt wird. Zum einen ist es keine Copyright-Verletzung, wenn die Vorlesefunktion zum privaten Gebrauch genutzt wird. Zum anderen kann die Vorlesefunktion auch für Bücher genutzt werden, die gemeinfrei sind oder von ihren Autoren freigegeben wurden. Der Oberste US-Gerichtshof hat 1984 im sogenannten Betamax-Fall entschieden, dass Geräte, die zu Tätigkeiten verwendet werden können, bei denen keine Copyrights verletzt werden, nicht illegal sein können. Ginge es nach den Vorstellungen der Authors Guild, müssten auch E-Mail-Clients, Kopiermaschinen und Web-Browser verboten werden, denn auch sie werden dazu genutzt, um Urheberrechte zu verletzen. Die Authors Guild liegt damit aber komplett falsch. Es wäre allerdings auch gar nicht notwendig, dass die Authors Guild exotische Theorien über das Copyright entwickelt. Sie könnte auch ganz einfach darauf verzichten, ihre Bücher für den Kindle zu lizenzieren.
ORF.at: Sie waren auch für die Electronic Frontier Foundation (EFF) tätig. Wie beurteilen Sie die Entwicklung in den vergangenen Jahren in Bezug auf digitale Bürgerrechte?
Doctorow: Die vergangenen Jahre haben unterschiedliche Entwicklungen in Bezug auf digitale Bürgerrechte gebracht. Der sogenannte "Krieg gegen den Terror" hat sicherlich dazu beigetragen, dass unsere Rechte und unsere Privatsphäre eingeschränkt wurden. Die Überwachung ist in den vergangenen acht Jahren aggressiv in den elektronischen Raum ausgeweitet worden. Dazu haben auch Rechteinhaber beigetragen, die auf diesem Weg Copyright-Verstöße ahnden wollen. Gleichzeitig wurden aber auch immer bessere Werkzeuge zum Schutz der Privatsphäre im Netz entwickelt. Auch das öffentliche Bewusstsein für die Gefahren der elektronischen Überwachung ist gestiegen.
ORF.at: Was erwarten Sie eigentlich von der Obama-Regierung?
Doctorow: Die Obama-Regierung hat angekündigt, Unterlagen und Dokumente öffentlich zugänglich zu machen. Damit verbinde ich große Hoffnungen. Denn dadurch ergibt sich das Potenzial, gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Ich glaube nicht, dass Transparenz allein genügt. Wenn man aber weiß, was die Regierung macht, kann man auch etwas dagegen unternehmen. Die Bush-Regierung hat sehr stark auf Geheimhaltung gesetzt. Jetzt scheint es so, als würde sich eine Kultur der Offenheit durchsetzen.
ORF.at: Ihr jüngstes Buch "Little Brother" ist ein Jugendbuch rund um das Thema Technologie und Überwachung. Was war Ihre Motivation, ein Buch zu diesem Thema für Jugendliche zu schreiben?
Doctorow: Als ich jung war, hat es mir die Technologie ermöglicht, mehr Kontrolle über mein Leben zu erhalten. Das Internet hat mir Zugang zu neuen Gemeinschaften und Ideen verschafft. Das hat sich geändert. Viele junge Leute machen heute die Erfahrung, dass Technologie vorwiegend dazu genutzt wird, um sie zu kontrollieren und zu beobachten. Das alles geschieht im Namen des Kampfes gegen Pädophilie und Terrorismus, aber auch um Copyright-Verstöße zu sanktionieren. Ich wollte ein Buch darüber schreiben, wie Jugendliche die Kontrolle über die Technologie zurückgewinnen können.
ORF.at: Die Hauptperson des Buches, Marcus, ist ein Geek, der gegen das System kämpft. Seine Eltern sehen der Beschneidung ihrer Rechte hingegen tatenlos zu. Muss man eigentlich ein Geek sein, um sich gegen die zunehmende Überwachung wehren zu können?
Doctorow: Wenn wir unsere Beziehung zur Technologie ändern wollen, müssen wir drei Dinge tun. Zuerst müssen wir die Kontrolle über die Technologie zurückgewinnen. Man muss kein Geek sein, um das zu tun. Es ist heute nicht schwierig herauszufinden, wie man seine Internet-Verbindung anonymisieren kann oder wie in Geräte eingegriffen werden kann, damit sie nicht nur eingeschränkt genutzt werden können. Es genügt zu wissen, dass etwas möglich ist. Der Rest findet sich über Google. Man kann es sich natürlich auch von Leuten erklären lassen. Die beiden wesentlich schwierigeren Punkte sind, sich an den Debatten zu beteiligen und politisch aktiv zu werden. Da ist man als Geek möglicherweise sogar im Nachteil. Viele Geeks haben diesen Nerd-Determinismus. Sie sagen: "Unsere Technologie ist besser als eure Gesetze." Sich in die Politik einzumischen ist wohl der wichtigste Punkt. Denn wenn sich jemand nicht in die Politik einmischt, heißt das noch lange nicht, dass sich die Politik nicht bei ihm einmischt.
(futurezone/Patrick Dax/Anna Masoner)