Deutschland führt Internet-Sperrliste ein
Unter heftigen Protesten von Bürgerrechtlern hat die deutsche Bundesregierung Internet-Provider zur Unterzeichnung von Verträgen gedrängt, mit denen sich diese auf die Übernahme einer geheimen Sperrliste von Domains verpflichten, die vom BKA gewartet wird. Die Liste soll Domains enthalten, auf denen mutmaßlich kinderpornografische Inhalte zu sehen gewesen sein sollen.
Der Zugriff auf Kinderpornografie im Internet soll in Deutschland durch Einrichtung eines Sperrsystems erschwert werden. Spätestens in sechs Monaten werden Internet-Nutzer, die solche Seiten anklicken, ein rotes Stoppschild oder eine vergleichbare Warnung sehen.
Fünf große Internet-Anbieter, namentlich die Deutsche Telekom, Vodafone Arcor, Alice Hansenet, Telefonica und Kabel Deutschland, unterzeichneten am Freitag in Berlin auf Initiative von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) eine entsprechende Vereinbarung mit dem Bundeskriminalamt (BKA). In spätestens sechs Monaten soll das System einsatzbereit sein.
Die Veranstaltung wurde begleitet von Protesten von etwa 150 Vertretern von Internet-Verbänden und Datenschützern, die vor einer Internet-Zensur warnten. Die Vereinbarung steht bisher nicht auf einer gesetzlichen Grundlage, die in der Vergangenheit von den Providern immer wieder eingefordert worden war. Bisher existiert nur ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung.
Gesetzliche Regelung gefordert
Fast vier Monate haben acht große Provider mit Bundesregierung und BKA hart verhandelt. Die Deutsche Telekom, Vodafone/Arcor, Alice/Hansenet, Kabel Deutschland und Telefonica/O2 haben schließlich den Vertrag unterzeichnet. Nicht ohne Bauchschmerzen. Sie dringen auf eine rasche gesetzliche Regelung, die eng begrenzt auf Kinderpornografie sein muss. Anderen Anbietern war der Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Fernmeldegeheimnis ohne neues Gesetz zu groß. "Die Tür ist weiter offen", lud von der Leyen sie zu weiteren Gesprächen ein.
"Die Provider sehen sich nicht als Internet-Polizei", baute Vodafone-Sprecher Thomas Ellerbeck Kritik vor. Die Deutsche Telekom und Kabel Deutschland werden vorerst auch nicht das rote BKA-Stopp-Schild übernehmen, sondern einen eigenen Hinweis. Diese Warnungen sieht künftig jeder auf dem Bildschirm, wenn er gezielt oder aus Versehen eine der gesperrten Seiten anklickt. "Das ist die letzte Warnung - ab hier macht man sich strafbar", soll laut BKA-Chef Jörg Ziercke das Signal sein. Das BKA übernimmt in den Verträgen die komplette Haftung. Die großen Provider haben sich allerdings abgesichert. Die privaten Verträge haben eine dreimonatige Kündigungsfrist. 2010 laufen sie aus. Bis dahin muss das Gesetz gegen Kinderpornografie im Internet in Kraft sein.
Geheime Liste
Das BKA erstellt eine tagesaktuelle Liste von Kinderpornoseiten im Netz und übermittelt sie an die Internet-Provider. Diese Liste ist geheim, ihre Weitergabe ist verboten. Die teilnehmenden Provider blockieren auf dieser Grundlage den Zugang zu den Websites.
Wenn ein Nutzer versucht, eine gesperrte Seite aufzurufen, erscheint eine standardisierte Stopp-Seite. Das wird über einen Eingriff am DNS erreicht, dem System, das zwischen Adressen wie "www.website.de" und den "Hausnummern" von Computern im Internet übersetzt. Wer eine Adresse anwählt, die auf der Liste steht, wird nicht zu dem angewählten Rechner weitergeleitet, sondern zu besagtem "Stoppschild".
In einem im Februar veröffentlichten Gutachten hält der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages die DNS-Sperren für sinnlos. Sie seien wirtschaftlich schädlich und demokratiepolitisch hochproblematisch.
Einige Länder arbeiten schon seit längerem mit Kinderpornosperren. Dazu gehören Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland, die Niederlande, Italien, Großbritannien, die Schweiz, Neuseeland, Südkorea, Kanada, die USA und Taiwan. Die meisten verwenden die DNS-Sperre, Großbritannien blockiert die Seiten auf Basis einer Hybridtechnik. In Großbritannien kam es kürzlich zu Protesten, nachdem die Internet Watch Foundation, die Organisation, die dort für die Sperrlisten verantwortlich ist, ein inkriminiertes Plattencover der Band Scorpions in der Wikipedia auf den Index gesetzt hatte, was über technische Verwicklungen zur Folge hatte, dass alle britischen Wikipedia-Beiträger von der freien Enzyklopädie ausgesperrt waren.
Streit über Ausmaß des Problems
Im Rahmen einer umfangreichen Recherche hat die deutsche Fachzeitschrift "c't" nachgewiesen, dass sowohl von der Leyen als auch das BKA in ihrer Argumentation mit falschen oder gezielt übertriebenen Zahlen zum Umfang des Kinderpornoproblems operieren. So wurde die Anzahl der Verfahren im Rahmen der Anti-Kinderporno-Operation "Himmel" aus dem Jahr 2008 mit 12.000 Verdächtigen als Argument für die Einrichtung der Sperrliste benutzt.
Die "c't" recherchierte nach, dass beispielsweise die Staatsanwaltschaft Köln alle diesbezüglichen Verfahren eingestellt und die Staatsanwaltschaft Berlin bereits 400 von 500 "Himmel"-Fällen mangels Verdachtsmomenten ad acta gelegt hat. In der Statistik tauchen diese Fälle freilich weiterhin auf.
Ein weiteres Problem besteht in der Wartung der Sperrliste durch das BKA. Laut Gesetzesentwurf der Bundesregierung muss das BKA zwar Beweise dafür vorhalten, dass eine gesperrte Domain irgendwann inkriminierte Inhalte beherbergt hat, allerdings müssen die Beamten nicht zeitnah einen Richter konsultieren, bevor sie eine Domain auf die Sperrliste setzen.
Problem ausgeblendet
Der Chaos Computer Club (CCC) hält die geplante Sperrung von Kinderpornografieseiten im Internet für nutzlos. "Solche Filtermaßnahmen lassen sich leichtest umgehen", sagte der Experte Matthias Mehldau am Freitag dem Audiodienst der dpa. Zudem würden sich diejenigen, die damit am Zugang gehindert werden sollten, neue Konzepte und Mechanismen überlegen. "Hier wird ein großes Katz-und-Maus-Spiel aufgemacht", sagte Mehldau.
Sinnvoller als - wie geplant - Stoppschilder an Kreuzungen im Internet aufzustellen sei es, bei den Internet-Anbietern anzusetzen, wo die Inhalte liegen. Dort müssten die Angebote offline geschaltet werden, forderte Mehldau. Auf seiner Website schreibt der CCC, die Provider würden von der Regierung "knallhart erpresst", um "an einem offenen Verstoß gegen das Grundgesetz" mitzuwirken.
Österreich wartet ab
Zu befürchten ist auch, dass die geheime zentrale Filterliste Begehrlichkeiten der Medienindustrie weckt. In Schweden, wo ein vergleichbarer Mechanismus existiert, hatte die Polizei im April 2007 bereits versucht, diesen zur Sperrung der ungeliebten BitTorrent-Trackersite The Pirate Bay zu missbrauchen. Die "c't" zitierte bereits den deutschen Musikindustrie-Vertreter Dieter Gorny, der die Einführung der Sperrliste ausdrücklich begrüßte.
Die Initiativen gehen auf Absprachen der Innen- und Justizminister der Europäischen Union zurück, die sich im Jänner zu einer informellen Konferenz in Prag getroffen hatten. In Österreich wird die Kinderpornoagenda von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner vertreten. Mit der Einführung der Strafbarkeit des "bewussten Konsums" von Kinderpornografie im Rahmen der Verabschiedung des zweiten Gewaltschutzpakets sieht die Ministerin die EU-Standards einstweilen erfüllt.
(dpa/futurezone)