Die Wirklichkeit soll schöner werden
Computerwissenschaftler arbeiten seit vielen Jahren an Augmented Reality, also an Geräten und Anwendungen, die es ermöglichen, die reale Umgebung mit virtuellen Bildern und Informationen anzureichern. Forschung und Entwicklung stehen dabei vor großen Herausforderungen. Reale und virtuelle Sinneseindrücke sollen nahtlos miteinander verbunden werden.
Steven Feiner ist einer jener Wissenschaftler, die sich um die Lösung dieser Probleme bemühen. Er ist Professor für Computerwissenschaften an der Columbia University in New York und leitet dort das Labor für Computergrafik und User Interfaces.
Am Sonntag in "matrix"
Mehr zu diesem Thema hören Sie am Sonntag um 22.30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix".
Das Interessante an Augmented Reality (AR) sei, so Feiner:
"Es gibt uns die Möglichkeit, zusätzliche Informationen zu erhalten, ohne die Sache, die wir gerade erledigen, weglegen zu müssen - zum Beispiel, um ein Handbuch zu Rate zu ziehen, wenn man etwas repariert, oder einen Reiseführer aufzuschlagen, wenn man ein Tourist ist. Stattdessen kann ich weiterhin auf das schauen, was ich gerade mache, und bekomme darübergelegt die Informationen, die ich dafür brauche, wenn ich beispielsweise etwas montiere. Oder wenn ich unterwegs bin und etwas sehe und mich frage, was das ist, dann muss ich nicht in den Reiseführer schauen und dann wieder aufschauen und wieder hinunterschauen und so weiter. Ich kann das Gebäude oder die Statue weiterhin anschauen und erhalte dazu eine Ebene eingeblendet, die mir die Informationen dazu liefert."
Smarte Telefone, schlaue Umgebung
Ein erstes Beispiel für eine derartige AR-Anwendung ist Wikitude, der mobile Reiseführer für das Google-Smartphone G1, das vom Salzburger Philipp Breuss entwickelt wurde. Wikitude basiert auf standortbezogenen Wikipedia- und Qype-Artikeln und Panoramiofotos. Damit können rund 350.000 Artikel über Orte und Bauten in aller Welt nach Adresse und GPS-Position durchsucht und auf einer Karten-, Satelliten-, Listen- oder AR-Kameraansicht dargestellt werden. Wikitude bildet derzeit nur kleine Textmengen ab und ist erst der Anfang. Zukünftige Anwendungen werden weit mehr leisten können sollen, doch dafür sei noch viel Entwicklungsarbeit nötig, so Feiner.
Die großen Vorteile von AR-Anwendungen für Mobiltelefone sind, dass diese ohnehin weit verbreitet sind, und es einfacher ist, wenn man nur Anwendungen, aber kein neues Endgerät entwickeln muss. Mobiltelefone sind aufgrund der großen Stückzahlen, die produziert werden, derzeit auch billiger als ein Datenhelm und eine Datenbrille. Bei neueren Smartphones sind außerdem viele Bestandteile, die man für AR-Anwendungen braucht, bereits standardmäßig eingebaut: Ein ausreichend großes Display, eine Kamera, eine CPU und manchmal auch eine GPU - also eine Graphics Processing u
Unit, (A)GPS, ein Kompass und ein Beschleunigungsmesser.
Vorhandenes besser nutzen
Als AR-Entwickler könne man auch die Algorithmen verwenden, die für diese Bestandteile entwickelt wurden, sagt Feiner: "Wir können damit die Position eines Gerätes in der Umgebung feststellen und die Richtung, in die es schaut - einerseits ganz grob mithilfe von GPS und Kompass, andererseits sehr fein abgestuft mit Hilfe dessen, was die eingebaute Kamera sieht. Und weil die Mobiltelefone auch ausreichend Leistung liefern können, können wir eine Informationsebene über das legen, auf das die Kamera schaut."
Es sei also naheliegend, AR für ein Mobiltelefon zu entwickeln, meint der AR-Forscher. Trotzdem glaubt er nicht, dass sich das auf die Dauer durchsetzen wird, denn: "Man muss dafür ja das Gerät am ausgestreckten Arm irgendwo hinhalten, damit die Kamera den erwünschten Gegenstand sieht, und das ist nicht sehr bequem."
Suche nach der besten Anwendung
Insgesamt habe das Mobiltelefon als Form an sich viele Vorteile, so Feiner, "weil man es nicht auf dem Kopf trägt, muss man sich nicht sorgen, dass man lächerlich damit aussieht, oder dass es zu schwer ist. Und weil das Display nur einen Teil meines Gesichtsfeldes einnimmt, muss man sich nicht sorgen, dass es die Sicht behindert und man deshalb zum Beispiel nicht sieht, dass ein Auto auf einen zukommt. Wenn man ein Display entwickeln möchte, das man auf dem Kopf trägt, dann sind die Anforderungen sehr hoch. Es muss bequem sein, es muss gut aussehen, und die Auflösung muss ausreichend sein, damit man beim Herumgehen nicht sich selbst oder andere gefährdet. Es ist sehr schwierig, all das zufriedenstellend zu lösen. Ich glaube trotzdem, dass wir eines Tages so etwas haben werden."
Bei den Anwendungen von Augmented Reality sind der Fantasie auf jeden Fall keine Grenzen gesetzt. Früher habe man immer gefragt, was die "Killer-Anwendung" für den Computer sein werde, erinnert Feiner. Heute sei der Computer einfach ein selbstverständliches Werkzeug geworden, und wofür Menschen ihn einsetzen würden, sei sehr unterschiedlich, je nachdem, welche Wünsche und Bedürfnisse jemand habe.
"Ich glaube, wir werden diese Entwicklung auch bei Augmented Reality erleben. Die Idee, Informationen in der Umgebung zu haben, ohne woanders hinschauen zu müssen, ohne sich von dem, was man gerade tut, abwenden zu müssen, wird zur Selbstverständlichkeit werden."
(matrix/Sonja Bettel)