© Fotolia/Sven Hoppe, EU-Parlament

Richtervorbehalt wieder im Telekompaket

EU
21.04.2009

Überraschende Wende im EU-Parlament: Der Industrieausschuss hat den Richtervorbehalt bei Netzsperren wieder auf die Agenda der Verhandlungen über das Telekompaket gehoben. Das Parlament erteilte damit den Netzsperrplänen der französischen Regierung eine klare Absage. Ständige Vertreter, EU-Rat und Parlament einigten sich auch über die Details zum EU-Regulatorengremium BEREC.

Der Industrieausschuss des EU-Parlaments (ITRE) hat sich nach ersten Informationen, die ORF.at vorliegen, am Dienstagabend mit einer Mehrheit von 40 zu vier Stimmen bei zwei Enthaltungen dafür ausgesprochen, den stark umstrittenen Änderungsantrag der sozialdemokratischen Abgeordneten Guy Bono und Catherine Trautmann (Amendment 138 bzw. 46) zur Universaldiensterichtlinie in seiner ursprünglichen Form zu unterstützen.

Damit ist der Richtervorbehalt bei eventuellen Netzsperren wieder auf dem Tisch. Sprich: Internet-Sperren soll es nur auf richterlichen Beschluss geben dürfen, nicht nur auf Zuruf einer Behörde. In den vergangenen Wochen hatte die französische Regierung, die Urheberrechtsverletzern nach zweimaliger Warnung für bis zu ein Jahr den Internet-Zugang ohne richterlichen Beschluss sperren will, dafür gekämpft, den Änderungsantrag abzuschwächen, so dass auch eine "unabhängige Organisation" wie die geplante HADOPI die Netzsperre hätte verfügen können.

Unterstützung von ÖVP und SPÖ

In einer ersten Reaktion sagte der österreichische EU-Abgeordnete Hannes Swoboda (SPE/SPÖ) zu ORF.at, er stehe vollkommen hinter dem Vorgehen des Parlaments. Der freie Netzzugang sei in der Abwägung wichtiger als die Interessen der Medienindustrie. Die Netzsperren-Thematik ist damit nicht vom Tisch, aber das Signal des Parlaments an den Ministerrat ist deutlich. Bereits am Mittwoch läuft der Trilog, die Beratungen zwischen den EU-Institutionen über den Bericht des britischen Abgeordneten Malcolm Harbour zu Datenschutz- und Konsumentenschutzaspekten, weiter.

Auch ITRE-Mitglied Paul Rübig (EVP/ÖVP) teilte ORF.at mit, er stehe voll hinter der Entscheidung der Ausschussmehrheit. "Die Grundrechte und Freiheiten der Endnutzer, insbesondere gemäß Artikel 11 der Charta der Grundrechte der EU zur Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit, soll keinesfalls ohne vorherige Entscheidung der Justizbehörden eingeschränkt werden dürfen, es sei denn, die öffentliche Sicherheit ist bedroht; in diesem Fall kann die Entscheidung der Justizbehörden im Nachhinein erfolgen", so Rübig.

Die französische Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net begrüßte in einer Reaktion vom Dienstagabend den Beschluss des Ausschusses. "Die Bürger Europas werden sich an diese mutige Entscheidung erinnern", schrieb Jeremie Zimmermann, Mitgründer der Organisation. "Sie ist eine weitere Ohrfeige für das HADOPI-Projekt von Nicolas Sarkozy. Niemand in Europa will ein solches Gesetz."

Knackpunkt Internet-Sperren

Laut einem Mitarbeiter der deutschen Abgeordneten Angelika Niebler (EVP/CSU), der Vorsitzenden des Industrieausschusses, sind sich Rat und Parlament in den Fragen des Telekompakets, mit dem der Telekom- und Internet-Markt in der Union reguliert werden soll, "zu 99 Prozent einig". Letzter Streitpunkt sei tatsächlich die Frage, ob der Urheberrechtsaspekt mit ins Telekompaket aufgenommen werden sollte. Rat und Parlament hatten sich zuletzt nicht über einen Vorschlag einigen können.

Zuletzt hatte der Rat vorgeschlagen, einen Passus zur möglichen Verhängung von Netzsperren bei Urheberrechtsverstößen durch eine unabhängige Institution ohne Richtervorbehalt - wie im französischen HADOPI-Ansatz - in die Präambel der Rahmenrichtlinie aufzunehmen, hieß es aus Parlamentskreisen. Damit hätte der Passus keinen gesetzgebenden Status gehabt. Allerdings kann nur der in der Rahmenrichtlinie fest verankerte Richtervorbehalt bei Sperrung des Internet-Zugangs die Netzsperren-Initiative der französischen Regierung stoppen. Der Vorschlag des Rats wurde jedoch von Vertretern des Parlaments zurückgewiesen, woraufhin der ursprünglich mit großer Mehrheit im Plenum beschlossene Änderungsantrag einschließlich Richtervorbehalt wieder aktuell geworden ist.

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Gremium der Regulatoren

Am Dienstag einigte sich der Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten (COREPER) auf den Kompromissvorschlag von Rat und Parlament zur Einrichtung des Telekom-Regulierungsgremiums unter dem Namen Body of European Regulators for Electronic Communications (BEREC). Das Gremium wird dann eingerichtet, wenn sich die EU-Institutionen auf die übrigen Aspekte der Reform der Regeln für elektronische Kommunikationssysteme in der Union einigen können.

Der BEREC wird keine eigene Behörde der EU, sondern ein Gremium, das sich aus je einem Vertreter der nationalen Regulatoren der Mitgliedsstaaten zusammensetzt. Er ist damit eine Fortsetzung der 2002 installierten European Regulators Group. Die Kommission hat im BEREC lediglich Beobachterstatus. Das Gremium soll eine Schnittstelle zwischen den Institutionen der EU und den nationalen Regulatoren bieten und die Harmonisierungsbestrebungen in der Union unterstützen. Dabei hat es aber vorrangig beratende und informierende Funktionen, beispielsweise soll es dafür sorgen, dass alle nationalen Behörden über "Best Practice"-Verfahren zur Regulierung informiert werden.

Vertreter der Nationen statt Zentralregulator

Seine Entscheidungen trifft der BEREC-Vorstand mit Zweidrittelmehrheit. Die Mitglieder des Gremiums werden von den nationalen Regulierungsbehörden entsandt. Sie sollen, so heißt es im Kompromiss, von Weisungen der Regierungen, privater Gruppen und der Kommission unabhängig sein. Der Vorstoß von EU-Medienkommissarin Viviane Reding zu einem starken zentralen Regulator, der der Kommission verpflichtet ist, oder einer Behörde, die der Kommission ein Vetorecht einräumt, ist damit gescheitert.

BEREC muss über Gesetzesentwürfe im Telekombereich informiert und/oder hinzugezogen werden. Als konkrete Interventionsmöglichkeit bleibt der Körperschaft nur eins: Auf "berechtigten Wunsch" der Kommission kann sie Maßnahmen zur Durchsetzung von Roaming-Tarifen in der Union setzen. Aber auch das nur dann, wenn im BEREC Einstimmigkeit herrscht. Weiterhin ist die Gruppe damit beauftragt, einen jährlichen Bericht über die Entwicklungen im Telekomsektor der Union zu erstellen. Die regulären Treffen des Vorstands sollen viermal im Jahr stattfinden.

Gemeinsam finanziertes Zentralbüro

Als Schaltstelle zwischen BEREC und den EU-Institutionen wird ein Büro eingerichtet, das mit einer "streng begrenzten Anzahl von Mitarbeitern" auskommen soll, so der Entwurf. Das Büro setzt sich aus einem Manager und einem Managementkomitee zusammen, in das die Mitgliedsstaaten je eine Person entsenden. Auch hier gilt das Prinzip: eine Stimme pro Mitgliedsstaat. Im Gegensatz zur BEREC selbst ist das Büro eine Einrichtung der EU.

Finanziert wird das BEREC-Büro teilweise aus dem EU-Budget und teilweise durch Beiträge der nationalen Regulierungsbehörden. Letztere, so der Kompromiss, müssten von ihren Heimatstaaten budgetär in die Lage versetzt werden, das BEREC-Büro zu unterstützen. Die Kofinanzierung des Büros durch die nationalen Regulierer bietet diesen eine zusätzliche Möglichkeit der Einflussnahme.

Die Beschlüsse zum Telekompaket werden in der Sitzung des EU-Parlaments vom 4. bis 7. Mai in Brüssel im Plenum erwartet.

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(futurezone/Günter Hack)