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WordPress als Facebook-Konkurrent

MEDIEN
28.04.2009

Weltweit werden über 15 Millionen Blogs mit der freien Software WordPress betrieben. Mit einer Erweiterung können sie seit kurzem in ein Soziales Netzwerk verwandelt werden. Im Gespräch mit ORF.at erklärt Initiator Matt Mullenweg, warum Google dank offener Datenstandards existiert und Blogs immer öfter die Aufgaben klassischer Medien übernehmen.

"Wir brauchen eine Erklärung der Menschenrechte im Internet, um die Daten und die unzähligen Stunden der Mühe zu schützen, die wir in Online-Dienste wie Facebook und Last.fm einbringen", schreibt WordPress-Chef Matt Mullenweg in seinem Blog mit einem Verweis auf freie Software und offene Datenstandards.

Matt Mullenweg, Gründer von WordPress.com, wurde 2008 von "BusinessWeek" unter die Top 25 der einflussreichsten Personen des World Wide Web eingereiht. Im Alter von 19 Jahren hatte er die Blogging-Software b2/cafelog komplett neu geschrieben und damit die freie Software WordPress geschaffen.

Netzwerken mit BuddyPress

Sein neues Projekt BuddyPress setzt auf bestehenden WordPress-Installationen auf und verwandelt sie in verteilte Soziale Netzwerke - Mullenweg nennt es "Facebook in a Box". Die dafür grundlegende Software WordPress erscheint demnächst in der Version 2.8 und setzt verstärkt auf "Widget"-Komponenten und bietet mehr Anknüpfungspunkte zu Diensten wie Flickr und Twitter.

Mullenwegs Firma Automattic stellt auf WordPress.com einen kostenlosen Blogging-Dienst zur Verfügung, die freie Software kann aber auch auf eigenen Servern eingesetzt werden. Infolge der kürzlich erfolgten Übernahme von Serverhersteller Sun durch Oracle würde sich nun auch die für WordPress notwendige Datenbanktechnologie MySQL im Eigentum eines kommerziellen Anbieters befinden, so die Befürchtungen vieler Anwender.

Mullenweg entgegnete dieser Sorge vieler privater Blogger mit dem Hinweis auf die weiterhin gültige Freie-Software-Lizenz (GNU General Public License) von MySQL und forderte generell zum Engagement in Open-Source-Projekten auf, "um den Kindern unserer Kinder einmal etwas Wertvolles zu hinterlassen".

ORF.at: Allein auf WordPress.com sind sechs Millionen Blogs untergebracht, die Anzahl aller Weblogs im Internet wird auf über 180 Millionen geschätzt. Wie kann man bei dieser Informationsflut noch den Überblick bewahren?

Mullenweg: Mit Filterung, vor allem im Kontext unserer eigenen Sozialen Netzwerke. Menschen, die wir kennen und denen wir vertrauen, helfen uns, wichtige Informationen herauszupicken. Mit jedem neu kreierten Inhalt steigt die Relevanz dieser Empfehlungen.

ORF.at: Wie funktioniert die persönliche Filterung?

Mullenweg: Google ist generell ein großartiger Filter für Websites, und die Suchergebnisse werden nun auch personalisiert - etwa indem die Klicks auf die Suchergebnisse gewertet werden, denen man folgt. Der nächste Schritt wäre das, was Facebook bereits für die Personensuche einsetzt. Wenn ich dort jemanden mit einem weit verbreiteten Namen suche, wird das Ergebnis aufgrund gemeinsamer Freunde gereiht. Das ist ziemlich schlau, und ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt.

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Facebook hat kürzlich angekündigt, seine Schnittstellen für den Datenaustausch weiter öffnen zu wollen.

ORF.at: Wie kann man auch außerhalb von Sozialen Netzwerken diese Daten nutzen?

Mullenweg: Mit offenen Datenstandards. Das würde auch die Filterung verbessern, da mehr Menschen etwas beitragen könnten. Mit den Daten bei Facebook kann bisher nur Facebook selbst etwas anfangen. Hätte in den Anfangsjahren des Web nur Yahoo die Daten im Internet auslesen können, würde es Google heute nicht geben. Bevor Google in den Markt einstieg, hatte man sich bereits mit den vorhandenen Suchmöglichkeiten abgefunden. Doch da das Internet an sich offen ist und Webcrawler nicht am Sammeln von Daten gehindert werden, können jederzeit bessere Methoden erfunden werden.

ORF.at: Wie funktionieren offene Datenstandards?

Mullenweg: Voraussetzung ist, dass die eigentlichen Daten in einem maschinenlesbaren Format verfügbar sind. Es ist dabei nicht einmal notwendig, dass sie eine logische Struktur aufweisen. Die meisten Angebote im Web sind nicht strukturiert, und trotzdem hat Google Lösungen gefunden, damit die Suche funktioniert. In einem zweiten Schritt brauchen Plattformen einen Mechanismus für die Authentifizierung. Es gibt Dinge, die man nicht preisgeben möchte, und andere, die man weltweit verbreiten will. Meine Software soll sagen können: "Hi, ich bin Matt und ich möchte mit dir Daten austauschen." Das ist zwar ein komplexes technisches Problem, aber man kann es auf jeden Fall lösen.

ORF.at: Was ist der Vorteil einer freien Software wie WordPress?

Mullenweg: Mit WordPress kann man nicht nur die Daten wieder auslesen, sondern die Software auch komplett auf einem eigenen Server installieren. Ehrlich gesagt ist es auch keine große Sache, dass man bei Facebook die Daten nicht auslesen kann. Wo sollte man sie denn auch abspeichern? Man könnte Facebook sowieso nicht alleine betreiben. Das wird sich aber ändern, etwa mit der neuen Entwicklung BuddyPress.

ORF.at: Könnten zentral verwaltete Plattformen wie Facebook zu Zensur führen?

Mullenweg: Absolut, man braucht sich nur die Internet-Kontrolle in China anzusehen oder die Vorhaben der australischen Regierung (sowohl Deutschland als auch Australien planen die Einrichtung von Internet-Sperrlisten, Anm.). Die Mittel, die verwendet werden, um etwas zu kontrollieren, können auch dazu benutzt werden, etwas zu manipulieren.

ORF.at: Der Internet-Skeptiker Andrew Keen meinte unlängst, dass generell alle Web-2.0-Projekte "verflucht" seien und keinen Profit machten.

Mullenweg: Das glaube ich nicht. Es gibt viele Beispiele, in denen sich freie Projekte gegen einstige Marktführer letztlich durchgesetzt haben. Etwa die Wikipedia gegenüber Microsoft Encarta oder der Encyclopaedia Britannica. Man kann auch nicht sagen, dass Twitter als einziger Microblogging-Dienst eine Überlebenschance hat. Das unter freier Software betriebene Identi.ca könnte zum Beispiel Jahre später auch noch zulegen.

ORF.at: Ist Google die einzige Firma, die im Internet kommerziell überleben kann?

Mullenweg: Ich glaube, dass Google momentan einen überproportional großen Anteil an den Einkünften in unserer Welt hat. Denn je breiter Inhalte verteilt werden, desto wertvoller werden die Aggregatoren, die sie sammeln und aufbereiten. Daran soll man aber nicht verzweifeln, es wurde nur die Messlatte höher angesetzt. Entscheidend ist schlicht das bessere Ergebnis für den User, denn der Mitbewerb ist immer nur einen Klick entfernt.

ORF.at: Was wird die Zukunft bringen, werden traditionelle Medien aufhören zu existieren?

Mullenweg: Nichts verschwindet für immer. Das Fernsehen hat Radio nicht umgebracht und das Radio nicht die Zeitung. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich die Geschäftsmodelle ändern müssen. Zeitungen sind immer noch sehr anziehend als Format. Vielleicht nicht für Leute unter 40, aber sie sind es auf jeden Fall in bestimmten Ländern und Einzugsgebieten. Was sich jedoch ändern müsste, ist ihre Preispolitik, die eng mit den Produktionskosten verbunden ist. Außerdem ist es für Werbekunden sehr reizvoll, in ein einfacher messbares Medium wie das Internet abzuwandern.

ORF.at: Wird es für sie notwendig sein, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln?

Mullenweg: Es gibt keine Evolution, es wird einfach so weitergemacht wie bisher. Einkünfte werden mit Kleinanzeigen und Ähnlichem erzielt, was leicht durch Internet-Medien ersetzt werden kann und daher starke Gewinneinbußen erlebt. Werbung als Geschäftsmodell ist nicht von Grund auf falsch, dabei verpassen traditionelle Medien aber die Einkünfte möglicher weiterer Einkommensquellen.

ORF.at: Wirkt sich das derzeitige große Zeitungssterben in den USA negativ auf die Verfügbarkeit von Information aus?

Mullenweg: Das glaube ich nicht. Menschen finden immer einen Weg zu kommunizieren. Ich glaube auch nicht, dass jeweils ein weiteres kommerzielles Medium die Aufgaben ihrer bankrotten Konkurrenten übernimmt. Vielmehr wird der Informationsbedarf ganz woanders gestillt, nämlich über Blogs.

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(Richard Pyrker)