Telekompaket: "Tribunal" statt Richter
Die Unterhändler des EU-Parlaments haben in der Frage des Richtervorbehalts in Sachen Netzsperren bei Urheberrechtsverletzungen gegenüber dem Rat nachgegeben. Der Weg für Netzsperragenturen nach Vorbild der französischen HADOPI ist damit in der ganzen EU frei, falls der Kompromiss durch das Parlament bestätigt werden sollte.
Am Dienstag haben die Berichterstatter des EU-Parlaments in Sachen Telekompaket, die französische Sozialdemokratin Catherine Trautmann und der britische Konservative Malcolm Harbour, mit dem EU-Ministerrat und den ständigen Vertretern der Mitgliedsstaaten (COREPER) einen Kompromiss ausgearbeitet, der die Sperrung von Internet-Anschlüssen durch "unabhängige Tribunale" - nicht ordentliche Gerichte - europaweit erlaubt. Das belegen Passagen aus dem Kompromiss, die ORF.at vorliegen. Laut Agenturmeldungen haben auch die Botschafter der 27 EU-Mitgliedsstaaten am Mittwoch Vormittag ihre Zustimmung zu dem Kompromiss gegeben. Die Zustimmung des Ministerrats gilt nun als Formsache.
Konkret bedeutet das, dass jeder EU-Mitgliedsstaat eine Netzsperragentur nach Vorbild der französischen HADOPI einrichten kann, wenn er sich dazu entscheidet. Der ursprünglich von Trautmann und ihrem Fraktionskollegen Guy Bono eingebrachte Änderungsantrag 138 (in neueren Fassungen 46) zur Rahmenrichtlinie ist jetzt Artikel 3a, der postuliert, dass "Maßnahmen, den Zugang von Endnutzern zu Diensten und Anwendungen in elektronischen Kommunikationsnetzwerken regeln, die Grundrechte natürlicher Personen respektieren müssen". Auch das Recht auf Privatsphäre, das Recht auf Zugang zu Informationen und das Recht auf freie Meinungsäußerung müssten dabei berücksichtigt werden.
Kein Richtervorbehalt
Die von den "Maßnahmen" betroffenen Nutzer haben das Recht auf ein "Urteil" durch eine "unabhängige und unvoreingenommene Schiedsstelle" (engl. "Tribunal"), die "in Übereinstimmung mit Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte" vorgehen solle. Im ursprünglichen Vorschlag der französischen Sozialdemokraten war vorgesehen, dass nur ein Richter die Netzsperre verhängen darf. Das ist die entscheidende Änderung, die den Vorschlag, der die Nutzer vor Internet-Sperren ohne richterlichen Beschluss schützen sollte, in sein Gegenteil umdreht und gleichsam das französische HADOPI-Modell ins Grundgesetz der EU-Telekommunikation einbrennt. Vor allem Frankreichs Regierung hatte im Ministerrat starken Druck ausgeübt, um diese Regelung gegen den hartnäckigen Widerstand des Parlaments durchzusetzen.
Trautmann ließ noch eine Erklärung (Recital) zur Rahmenrichtlinie einfügen, mit der das Parlament die Kommission auffordert, noch vor Ende 2009 dem Rat und dem Parlament einen Bericht zur Stellung der Grundrechte von Konsumenten im Internet zu präsentieren.
Netzneutralität beschädigt
Der ehemalige Zusatz 166 zur Universaldiensterichtlinie im Harbour-Bericht erlaubt dementsprechend "nationale Maßnahmen, die den Zugang von Endverbrauchern zur Nutzung von Diensten und Anwendungen in elektronischen Kommunikationsnetzwerken betreffen". Auch hier wieder ein Verweis darauf, dass die Grundrechte und die Menschenrechtskonvention eingehalten werden müssen, aber der Eingriff in die Netzneutralität ist damit erlaubt.
Für Frankreichs Regierungspartei UMP ist das eine Steilvorlage. Sie bringt am Mittwoch das HADOPI-Gesetz wieder in die Nationalversammlung ein. Die Hemmnisse auf EU-Ebene sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus dem Weg geräumt. Inwieweit die Verweise auf die Menschenrechtskonvention noch Auswirkungen auf die Details des HADOPI-Projekts haben werden, ist derzeit noch nicht abzusehen. Das EU-Parlament wird am 5. Mai in Straßburg über das Telekompaket debattieren. Die Abstimmung darüber wird voraussichtlich am 6. oder 7. Mai stattfinden.
Das Telekompaket umfasst nicht nur die Frage des Eingriffs in die Rechte der Nutzer, sondern regelt auch die Einführung einer Konferenz der Regulierungsbehörden in den EU-Mitgliedsstaaten, Regeln zur Frequenzvergabe und zahlreiche Aspekte des Konsumentenschutzes.
(futurezone/Günter Hack)