© Bild: ORF.at/Barbara Wimmer, Mädchen an der AHS Laaer Berg-Straße vor dem PC

Soziale Netzwerke als Schule der Zukunft

BILDUNG
04.05.2009

Schulunterricht muss heutzutage nicht zwingend langweilig sein: Im Rahmen von "E-Learning im Schulalltag" ist ein neuer Weg entstanden, Wissen zu vermitteln, der die Schüler motiviert und die Lehrer auf eine harte Probe stellt. Sie werden künftig nicht mehr die "Allwissenden", sondern nur noch die Coaches ihrer Schüler sein.

Die Schule ist im Umbruch: Alte Lernstrukturen werden aufgebrochen, die Kompetenzen, die Schüler erwerben sollen, anders verteilt. Es wird nicht mehr das Einmaleins heruntergebetet oder das dicke Schulbuch auswendig gelernt, sondern das Recherchieren im Internet geübt oder das Erstellen von Videos und Podcasts.

Lehrer schleppen nicht mehr 30 Hausübungshefte zum Korrigieren mit nach Hause, sondern lassen sich diese von ihren Schülern auf Lernplattformen stellen oder sie online gegenseitig korrigieren. "Nichts lieben Schüler mehr, als sich gegenseitig auszubessern", sagt Erika Hummer, Lehrerin am Gymnasium Erlgasse im zwölften Wiener Gemeindebezirk, zu ORF.at.

E-Learning im Schulalltag an über 100 Schulen

Was für viele Eltern und Lehrer noch wie eine Nachricht aus der Zukunft klingen mag, ist an etwa 100 Schulen in Österreich bereits Realität. Den Rahmen dazu bietet das Projekt "E-Learning im Schulalltag" (ELSA), das auf Schüler zwischen zehn und 14 Jahren abzielt. Das vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur finanzierte Projekt wurde 2002 an vier Schulen gestartet und aufgrund des großen Erfolges 2005 auf über 100 Schulen erweitert.

Anfangs ging es vor allem um das Implementieren von E-Learning-Plattformen im Unterricht. "Schon damals haben Lehrer erkannt, dass man damit individualisiert unterrichten kann. Es war plötzlich möglich, die guten Schüler zu fördern, damit sie vorauspreschen können und den anderen mit dem Stoff mehr Zeit zu lassen", berichtet Hummer über die Vorteile von virtuellen Lernplattformen.

Ziel: Die Web 2.0-Schule

"Die Internet-Welt hat sich in den letzten Jahren aber extrem verändert, deswegen setzt man jetzt auf Web 2.0-Facilitys", so Hummer. 23 der über 100 ELSA-Schulen werden bis Herbst nach einer genauen Prüfung des Schulangebots und der eingesetzten Methoden Zertifikate erhalten, um ins nächste Level aufzusteigen: die Web 2.0-Schule mit dem Ziel, vernetzt zu denken und den Unterricht nicht mehr auf eine Klassensituation zu begrenzen. "20 Geografieklassen der siebenten Schulstufe aus ganz Österreich arbeiten beispielsweise ein bestimmtes Kapitel übers Web gemeinsam auf", erklärt ELSA-Projektleiter Helmut Stemmer.

"Mehr Spaß als der normale Unterricht"

Das Gymnasium Laaer-Berg-Straße im zehnten Wiener Gemeindebezirk ist eine der Schulen, die an dem neuen Netzwerk teilnehmen werden. Die ELSA-Schule wurde am Donnerstag ausgezeichnet. Dort verwenden Schüler Soziale Netzwerke zum Vernetzen außerhalb des Unterrichts, innerhalb der Schule nutzen sie den Chat auf ihrer Lernplattform.

Bereits die Zehnjährigen lernen dort, wie man eine E-Mail mit Dateianhängen verschickt und eine Website zum Recherchieren benutzen kann. "Das macht viel mehr Spaß als der normale Unterricht", erzählt Jenny aus der ersten Klasse. "Davor hatte ich keine Ahnung von Computern, jetzt kenne ich mich schon ganz gut aus", sagt ihr Sitznachbar Matthias.

"Erstaunlich, wie leicht sich Kinder tun"

"Es ist immer wieder erstaunlich, wie leicht sich Kinder tun, solche Sachen zu lernen. Wenn ich zu einer Kollegin sage, mail mir diese Seite, kommt oft zurück, dass sie ja nicht weiß, wie man da was anhängt", erzählt ELSA-Expertin Hummer, die bei der Zertifizierung der Laaer-Berg-Schule anwesend ist und darauf aufmerksam macht, dass es ohne die Bereitschaft der Lehrer, sich gegenüber neuen Unterrichtsmethoden zu öffnen, nicht geht. "Teilweise erschütternd ist auch, dass viele Junglehrer nicht wissen, was ein Blog oder ein Podcast ist."

Nicht so am Laaer-Berg-Gymnasium: Das Internet wird dort auch fächerübergreifend im Unterricht eingesetzt. Die 14-Jährigen gestalten mit ihren Lehrern beispielsweise in Kleingruppen virtuelle Rundgänge über den Wiener Ring und lernen dabei etwas über die Geschichte der Stadt. Sie sehen die Gebäude wie Parlament und Rathaus via Google Earth und fügen die recherchierten Information daneben in einem Blog-Eintrag ein.

Die neuen Lernprozesse verstehen lernen

"Durch diese Art von Peer-Learning von Gruppe zu Gruppe kommt es zu intensiveren Auseinandersetzungen mit dem Lernstoff. Das 'Selbsttun' aktiviert das Gehirn, und die Behaltequote des Lernstoffs ist größer", lobt Stemmer diese Art des Unterrichtens. Doch dass das nicht jedem Lehrer leichtfällt, liegt auf der Hand. "Erwachsene haben früher anders gelernt und müssen solche Lernprozesse erst einmal verstehen lernen", bemerkt Stemmer.

Eltern werden sich fragen, warum man das Einmaleins oder das Schönschreiben auf Papier künftig weniger intensiv üben könnte, dafür aber das Tippen am PC. "Wenn ein technisches Gerät die Motivation der Kinder unterstützt, sollte man es nicht verteufeln. Da haben wir Erwachsenen noch viel und permanent zu lernen", meint Stemmer.

Rollenbild der Lehrer im Wandel

Auch nicht alle Lehrer sind bereit für den technologiegestützten Wandel des Schulunterrichts, der sie dazu bringt, ihre Unterrichtsmethoden umzustellen und ihre Macht, allwissend zu sein, an das Internet abzugeben. Die Aussicht auf ein offenes Klassenzimmer, wo jeder ihre Lehrmethoden verfolgen kann, schreckt viele Pädagogen ab. "Teamwork funktioniert unter den Lehrern meist nicht. Jeder hat sein eigenes System", so Hummer.

Infrastruktur wird zum Verhängnis

Oft scheitert der Versuch allerdings auch an der Infrastruktur: Wenn sich technische Probleme an PCs oder Beamern häufen, sind Lehrer rasch verunsichert. Oder es gibt einfach ein Platzproblem an Schulen. "Wir haben drei Informatikräume, doch eigentlich bräuchten wir noch einen. Das ist aufgrund unserer räumlichen Situation allerdings nicht möglich", erzählt Michael Steiner, E-Learning Schulkoordinator des GRG Laaer-Berg-Straße.

Wie es mit dem Projekt ELSA finanziell weitergeht, konnte ORF.at im Ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur niemand beantworten. Ein klarer Auftrag für technologieunterstütztes Lernen und Lehren an der Schule ist im Regierungsprogramm nicht erkennbar.

Virtuelle Welten und Soziale Plattformen

Die Schüler der ELSA-Schulen stört das freilich erst einmal nicht: Sie nutzen eifrig ihre Lernplattformen oder tummeln sich in ihren virtuellen Welten, die "Second Life" ähnlich sind und auf der Software Active Worlds beruhen. Oder sie schreiben sich bald Nachrichten in "young eLSA", einem Sozialen Netzwerk für Schüler, das im Gegensatz zum beliebten Facebook auch schon von unter 13-Jährigen genutzt werden darf. "Ab Herbst wird es getestet, dann schauen wir, ob es angenommen wird", so Hummer.

(futurezone/Barbara Wimmer)