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EU-Lobbying der anderen Art

DEMOKRATIE
03.05.2009

Dass die Vorgänge rund um das Telekompaket, über das das Europäische Parlament kommende Woche abstimmen soll, an eine breitere Öffentlichkeit gelangt sind, ist zu einem großen Teil der französischen Bürgerinitiative La Quadrature du Net zu verdanken. ORF.at sprach mit Jeremie Zimmermann, einem der Mitbegründer der Initiative, über die schwierige Arbeit einer NGO für Bürgerrechte im digitalen Zeitalter.

Am Sonntag in Ö1:

Mehr zum Thema hören Sie am Sonntag um 22.30 Uhr unter dem Titel "Europa-net? Die EU und ihre Pläne für die IT-Gesellschaft" in der Sendung "matrix" in Ö1.

Die Quadratur des Kreises ist ein klassisches Problem der Geometrie. Es geht dabei darum, aus einem Kreis ein Quadrat mit demselben Flächeninhalt zu konstruieren. Der Begriff "Quadratur des Kreises" ist deshalb zu einer Metapher für eine unlösbare Aufgabe geworden. Nicht ganz unlösbar, aber sehr schwierig ist die Aufgabe, die sich La Quadrature du Net gestellt hat.

ORF.at: Herr Zimmermann, was ist La Quadrature du Net eigentlich?

Zimmermann: La Quadrature du Net ist eine Bürgerinitiative, die über Gesetzgebungsprozesse informiert, die schädlich für die Bürgerrechte im digitalen Umfeld sind. Wir haben unseren Sitz in Paris und organisieren Kampagnen in ganz Europa, um den Bürgern wieder eine Mitsprache bei Gesetzen zu ermöglichen.

ORF.at: Was sind für Sie die wichtigsten Themen derzeit?

Zimmermann: Wir haben die Initiative mit dem ersten Entwurf der französischen Netzsperre gestartet, die auch als "Three strikes and you're out"-Gesetz (Loi HADOPI, Anm.) bezeichnet wird. Die Unterhaltungsindustrie möchte damit Polizeiaufgaben im Internet übernehmen und vermeintlichen Filesharern den Netzzugang sperren. Dieses Gesetz wurde im Mai 2008 in das Telekompaket hineingeschmuggelt. Wir haben uns deshalb sozusagen in die Brüsseler Arena begeben und begonnen, uns in das Telekompaket zu vertiefen. Dabei haben wir immer mehr Gesetzes-"Hacks" der Unterhaltungsindustrie, der Sicherheitsindustrie und der Telekomindustrie gefunden, die alle sehr schädlich für die Netzneutralität und die Freiheit der Bürger waren. Gegen den Begriff "Netzneutralität" werden in Brüssel mittlerweile heftige Geschütze aufgefahren, weshalb wir mittlerweile von "Netzdiskriminierung" sprechen, das ist auch konkreter. Es geht dabei um Praktiken, die es den Betreibern erlauben würden, die Natur des Internets zu verändern, wonach bisher Informationen unabhängig davon, wer was an wen schickt, übermittelt wurden.

ORF.at: Sie sagten, La Quadrature du Net habe das Telekompaket analysiert. Wie umfassend ist es?

Zimmermann: Das Telekompaket ist ein riesiger Text. Es hat Hunderte von Seiten, und in der ersten Lesung wurden rund 800 Änderungsanträge gestellt. La Quadrature du Net ist im Grunde ein Werkzeugkasten für Bürger, mit dem sie den Gesetzgebungsprozess verstehen und damit dann in die Debatte einsteigen können. Für jeden Gesetzesentwurf, zu dem wir eine Kampagne starten, publizieren wir Wiki-Seiten, auf denen wir die Änderungsanträge analysieren und Empfehlungen für eine Abstimmung geben. Wenn es neue Anträge gibt, aktualisieren wir die Informationen, damit andere Aktivisten aus Europa sie sich ansehen können. Wir publizieren auch Zusammenfassungen unserer Analysen, damit man sich möglichst rasch ein Bild machen kann. Unser Analyst Gerald Sedrati-Dinet hat darüber hinaus dieses unglaubliche Werkzeug mit dem Namen "Political Memory" entwickelt, bei dem es für jedes Mitglied des Europäischen Parlaments eine Seite gibt mit den Ausschüssen, in denen sie sind, dem Stockwerk, in dem sich ihr Büro befindet, oder der Telefonnummer, die man mit einem Klick gleich mit Voice-over-IP anwählen kann. Und wir listen alle ihre früheren Abstimmungen zu den von uns behandelten Themen auf.

ORF.at: Auf der Website stehen bei den Abstimmungen auch Zahlen. Was haben die zu bedeuten?

Zimmermann: Wir geben den Abgeordneten Noten von 0 bis 100, wie in der Schule, je nachdem, wie weit ihre Abstimmung von unseren Empfehlungen entfernt war. Wir zeichnen damit die Geschichte der Abstimmungen für die von uns beobachteten Themen auf und zeigen an, welche Abgeordneten für unseren Kampf die besten - mit einem Wert von 100 - und die schlechtesten - mit 0 - sind. Wenn ein neuer Gesetzesantrag kommt und wir den Abgeordneten nicht kennen, können wir damit sofort feststellen, wer er ist, wie er sich bisher verhalten hat und ob er eher gleich gestimmt hat wie seine Fraktionskollegen. Das ist ein mächtiges Werkzeug, das auch von einigen Lobbyisten verwendet wird.

ORF.at: Wie können Sie diese Arbeit machen? Sind Sie und Ihre Mitstreiter Experten in Sachen EU, Politik oder Recht?

Zimmermann: Das Interessante ist, dass wir alle ursprünglich IT-Spezialisten waren. Ich habe eine duale Ausbildung in IT und Recht, Philippe Aigrain, der dritte Mitbegründer von La Quadrature, war neun Jahre lang Experte für den IT-Bereich in der Europäischen Kommission, aber wir waren alle schon jahrelang Aktivisten in diesem Bereich. La Quadrature du Net bietet für uns die Möglichkeit, unsere "Rezepte", die wir gelernt haben, zu zentralisieren und gemeinsam zu nützen. Die meisten von uns waren auch schon im Kampf gegen Software-Patente in den Jahren 2002 und 2003 im Europäischen Parlament aktiv, und so haben wir gelernt, wie die Prozesse im Europäischen Parlament ablaufen.

ORF.at: Woher kommen alle diese detaillierten Informationen über Parlamentarier und ihre Abstimmungen?

Zimmermann: Die meisten stammen von der unglaublich scheußlichen und unpraktischen Website des Europäischen Parlaments. Mindestens die Hälfte der Arbeit von Gerald ist, die Informationen aus schrecklichen Dateiformaten zu extrahieren, in denen die Abstimmungen protokolliert werden. Wir extrahieren diese Informationen, um ihnen mehr Bedeutung zu geben.

ORF.at: Die Bürger der EU haben oft den Eindruck, dass sie das alles nicht verstehen und ohnehin nichts dagegen machen können. Was würden Sie diesen Menschen empfehlen?

Zimmermann: Schalten Sie Ihren Fernseher aus, setzen Sie sich ans Internet, gehen Sie auf Laquadrature.net, machen Sie Ihre Arbeit, denken Sie, schauen Sie, analysieren Sie - und sagen Sie, was Sie zu sagen haben.

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(matrix/Sonja Bettel)