© ORF.at, Screenshot der Website seeqpod.com mit dem Hinweis

Musik 2.0 stürzt in die Krise

SOUND
05.05.2009

Die MP3-Suchmaschine Seeqpod ist seit knapp zwei Wochen offline. Zahlreiche auf Seeqpod basierende Mash-ups haben ebenfalls die Notbremse gezogen. Der Ausfall ist das letzte Symptom wachsender Probleme in der Musikecke des Web 2.0.

Alles wird gut: Mit dieser Botschaft tingelt Kasian Franks, Gründer und CEO der Musik-Suchmaschine Seeqpod, in diesen Tagen durch die Redaktionen amerikanischer Web-Magazine. Dabei hat Franks einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. Seeqpod wurde Anfang 2008 von Warner Music geklagt.

Die Plattenfirma war der Suchmaschine vor, nicht lizenzierte MP3s zum Abruf verfügbar zu machen. Seeqpod verteidigte sich dagegen mit dem Argument, keine Musik auf den eigenen Servern abzuspeichern. Stattdessen suche der Dienst nur auf MP3-Blogs nach Links zu Musikaufnahmen, die dann in den eigenen Such-Index aufgenommen werden. Im Prinzip mache Seeqpod damit nichts anderes als Google.

Die Musikwirtschaft wollte dieses Argument so nicht gelten lassen. Vor rund zwei Monaten sah sich Seeqpod mit einer zweiten Klage des Major-Labels EMI konfrontiert. Franks Firma meldete deshalb Anfang April Bankrott an. Vor knapp zwei Wochen stellte Seeqpod dann schließlich komplett den Betrieb ein.

Das Massensterben der Playlist-Sites

Franks versicherte Wired News jetzt jedoch, dass seine Suchmaschine bald wieder online sein wird. Er verhandle derzeit mit einem Käufer, der die Firma komplett übernehmen und anschließend Lizenzen mit den großen Plattenfirmen abschließen wolle. Der derzeitige Ausfall habe zudem überhaupt nichts mit den Klagen gegen seine Firma zu tun. "Die Site ist nicht erreichbar, weil wir mit ein paar Servern umziehen mussten", so Franks gegenüber Wired News.

Im Netz werden diese Erklärungen mit Skepsis aufgenommen. Seeqpod ist nicht die erste Website, die sich auf Druck der Musikindustrie über Nacht aus dem Netz verabschieden musste. Im vergangenen Sommer stellten die Betreiber der populären Playlist-Website Muxtape kurzerhand ihren Dienst ein, nachdem sie Klagedrohungen von der RIAA bekommen hatten.

Gefüllt wurde die durch Muxtapes Ende entstandene Lücke unter anderem von Websites wie Favtape.com und Streamzy.com. Beide nutzen Seeqpods API-Schnittstelle, um ihren Nutzern beim Finden von MP3s zu helfen. Streamzy hat sein Angebot seit dem Seeqpod-Ende stark eingeschränkt, Favtapes Dienst wurde komplett abgeschaltet. Ähnlich ging es Dutzenden von weiteren Musikdiensten und Mashup-Websites, die ebenfalls auf Seeqpods API basierten.

Dienste wie Muxtape, Favtape & Co. hatten sich allesamt der Idee des Mixtapes im Zeitalter des Mitmach-Webs verschrieben.

Ohne kostspielige Lizenzen

Dieser Dominoeffekt offenbart eine Schwachstelle einer neuen Generation von Musik-Websites, die im Netz auch unter dem Schlagwort "Music 2.0" bekanntgeworden ist. Im Gegensatz zu klassischen Tauschbörsen setzen diese neuen Dienste nicht mehr auf Downloads, sondern auf Streams. An die Stelle von ganzen Alben sind einzelne Songs getreten, die über Empfehlungsmechanismen oder Playlists entdeckt werden können.

Viele Musik-2.0-Dienste versuchen zudem, ohne kostspielige Lizenzverträge mit den großen Plattenfirmen zu operieren. Angebote wie Seeqpod setzen dazu auf MP3s, die von Bloggern und anderen Musikliebhabern auf Websites veröffentlicht werden. Websites wie Imeem.com verlassen sich dagegen auf ihre Nutzer, die Musik für sich und ihre Freunde hochladen.

Den großen Plattenfirmen gefällt all das überhaupt nicht. Warner Music klagte Imeem vor zwei Jahren. Imeem legte die Klage bei, indem es Warner an der eigenen Firma beteiligte. Zudem versprach man den großen Plattenfirmen Lizenzzahlungen für den Abruf jedes Streams.

Millionenschulden bei den Majors

Imeem war damit zwar juristisch aus dem Schneider, aber aus wirtschaftlicher Hinsicht erwies sich die Einigung als fatal. Imeems Werbeeinahmen reichen nicht aus, um die steigenden Rechnungen der Majors zu begleichen. Im März geriet das Unternehmen Medienberichten zufolge in derart akute Zahlungsschwierigkeiten, dass eine sofortige Schließung nur durch eine komplette Neuverhandlung der Lizenzverträge vermieden werden konnte. Imeem spielte die Lage der Presse gegenüber herunter, gab aber zu, den Majors mehrere Millionen Dollar zu schulden.

Hohe Lizenzkosten und andere Beschränkungen zeigen auch bei anderen Musik-2.0-Angeboten Folgen. So verlangt Last.fm seit kurzem von Nutzern in Österreich und zahlreichen anderen Ländern drei Euro pro Monat. Gleichzeitig sah sich Last.fm dazu gezwungen, die Nutzung von Handysoftware zum Empfang seines personalisierten Radiodienstes aufgrund seiner Verträge mit den großen Plattenfirmen erheblich einzuschränken.

Wie die Immobilienblase

Michael Robertson vom Musik-Start-up MP3Tunes.com sieht in den Problemen dieser Sites Parallelen zur derzeitigen US-Immobilienkrise. Zahleiche Hausbesitzer hätten sich in den letzten Jahren in den USA mit Hilfe variabler Hypotheken unerschwingliche Häuser geleistet, so Robertson, der im Netz durch die Gründung des Musik-Urgesteins MP3.com bekanntwurde.

"Online-Musik-Start-ups sind auf die gleichen finanziellen Tricks hereingefallen, wenn sie sich unter dem Druck schwebender Gerichtsverfahren auf Verträge eingelassen haben", schrieb er dazu kürzlich in seinem Blog. "Die anfängliche Euphorie verfliegt schnell, wenn sie feststellen, dass sie an den ausgehandelten Lizenzraten früher oder später bankrottgehen werden."

Chef vor dem Absprung

Robertson kennt den Druck derartiger Gerichtsverfahren nur zu gut. MP3Tunes.com wurde ebenfalls von EMI geklagt. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht wie bei Seeqpod eine Suchmaschine für MP3s. Robertson will das Verfahren bis zur letzten Instanz ausfechten.

Seeqpod-Chef Franks hat da offenbar andere Pläne. Er wolle das Unternehmen mit dem Verkauf verlassen, sagte er Wired News. Offenbar mag Franks selbst nicht so ganz an Seeqpods rosige Zukunft glauben.

(Janko Röttgers)