Das Finale zum Telekompaket
Das EU-Parlament hat am Dienstagvormittag das Telekompaket in zweiter Lesung diskutiert. Nach gut einem Jahr seiner Genese ist nun ein voluminöses Richtlinienpaket zu "Elektronischen Kommunikationsnetzen" reif für die Verabschiedung, die für Mittwoch vorgesehen ist.
Nicht weniger als drei veraltete Richtlinien werden damit auf den neuesten Stand gebracht, die so unterschiedliche Themenfelder wie die Neuvergabe der frei werdenden analogen Frequenzbänder sowie die Schaffung einer europäischen Regulationsbehörde und einer einheitlichen EU-weiten Notrufnummer beinhalten.
Der Knackpunkt
In der Debatte am Dienstag zeigten sich namentlich die Vertreter der beiden großen Fraktionen im EU-Parlament zufrieden. Bis zuletzt hatte sich die Verabschiedung dieses Großvorhabens nur noch an einem Punkt gespießt: unter welchen Bedingungen nicht näher spezifizierte "Maßnahmen" bei nicht näher spezifizierten Verstößen staatlicherseits gegenüber den Internet-Usern verhängt werden können.
Übersetzt: Unter welchen Voraussetzungen darf der Staat einem Bürger "das Internet abdrehen"?
Der Kompromiss
Am vergangenen Dienstag hatten zwei der vier Berichterstatter des EU-Parlaments in Sachen Telekompaket, die französische Sozialdemokratin Catherine Trautmann und der britische Konservative Malcolm Harbour, mit dem EU-Ministerrat und den ständigen Vertretern der Mitgliedsstaaten (COREPER) einen Kompromiss ausgearbeitet.
Dieser macht "Maßnahmen" - etwa die in Frankreich geplante Sperre von Internet-Anschlüssen - vom Beschluss eines "unabhängigen Tribunals" abhängig, so die Formulierung im "Kompromiss".
Der von den Berichterstattern Harbour und Trautmann mit dem Ministerrat ausgehandelte Kompromiss findet sich in den beiden Richtliniennovellen.
Davor hatte dieselbe Passage die Formulierung "ordentliche Gerichte" enthalten, doch dagegen hatte man etwas im mitentscheidenden Ministerrat, wo Einstimmigkeitspflicht herrscht. Also wurden aus einem "ordentlichen Gericht" eben "unabhängige Tribunale".
Die deutsche Fassung (siehe Kasten links) ist etwas klarer, die Rede ist da von einem "unabhängigen und unparteiischen, rechtmäßig eingesetzten und unter Achtung der Verfahrensordnung gemäß Artikel 6 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten agierenden Gericht".
Swoboda bekennt sich zu Kompromiss
Der Leiter der SPÖ-Delegation, Hannes Swoboda, sagte ORF.at, er stehe "persönlich voll und ganz hinter diesem Kompromiss. Es hätte für mich einen Eingriff in die Gewaltenteilung dargestellt, wäre es Verwaltungsbehörden ermöglicht worden, den Internet-Anschluss abzutrennen."
Der Kompromisstext beinhaltet für Swoboda, "dass es keine Beschränkungen des Zugangs zum Internet geben darf, die nicht auf einer richterlichen Entscheidung beruhen".
ÖVP-Abgeordnete zufrieden
Ganz ähnlich äußerte sich der österreichische Abgeordnete Paul Rübig (ÖVP) gegenüber ORF.at: "In Österreich wird weiterhin ein Richter über Maßnahmen, die in Zusammenhang mit dem Internet-Zugang bzw. der Nutzung des Internets stehen, entscheiden können. Die Grundrechte und Freiheiten der Endnutzer sowie geistiges Eigentum werden also geschützt bleiben."
Ins selbe Horn stieß auch Rübigs Fraktionskollege Othmar Karas: "Einschränkungen des individuellen Zugangs zum Internet sind nur durch den Beschluss eines Gerichts möglich.
In Österreich kann weiterhin nur ein unabhängiger Richter entscheiden, ob bei Rechtsverstößen einem User der Internet-Zugang gesperrt wird. Nur unter dieser Voraussetzung kann der ÖVP-Europaklub dem Kompromiss zustimmen."
Grüne Lichtenberger warnt vor "Tribunal"
Strikt gegen alle Arten von Netzsperren ausgesprochen hatte sich stets Eva Lichtenberger, Abgeordnete der Grünen, die nicht der Meinung Swobodas und Rübigs ist. Die Umformulierung im "Kompromiss" erlaube die Einrichtung einer Internet-Sperrbehörde mit pseudorichterlichen Befugnissen wie der französischen HADOPI, wenn die seitens des Gesetzgebers den Status eines "unabhängigen Tribunals" verordnet bekomme.
Da sei die vom EU-Parlament erarbeitete Version, die der Ministerrat beeinsprucht hatte, schon wesentlich eindeutiger formuliert gewesen: "Ein 'unabhängiges Gericht'- Punkt, aus."
Rechtsmeinung aus Österreich
Auf österreichische Verhältnisse umgelegt entspreche ein "unabhängiges Tribunal einer Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag", schrieb der auf Internet-Belange spezialisierte Richter Franz Schmidbauer an ORF.at. Idealerweise sei das mit "Fachleuten besetzt, die mehr von Grundrechtseingriffen verstehen als der durchschnittliche Richter".
Realistischerweise sei nämlich davon auszugehen, "dass das Wunschträume sind", so Schmidbauer. "Der Vorteil eines solchen Tribunales für die Regierung liegt gerade darin, dass es nicht wirklich unabhängig und damit mehr oder minder den Einflüsterungen der Regierung zugänglich ist. Bei einem echten Richter muss man befürchten, dass ihm das egal ist." Daher kursiere in Juristenkreisen für derartige "Tribunale" die boshafte Bezeichnung "Feigenblatt".
"Im Übrigen bin ich aber der Meinung, dass das Kappen von Internet-Anschlüssen nur bei Menschen zulässig ist, die über das Internet schwere Verbrechen begehen, also eventuell bei Terroristen und Verbreitern von Kinderpornografie, keinesfalls aber bei Urheberrechtsdelikten", so Schmidbauer.
Was sich während der Erarbeitung des Richtlinienpakets an Lobbying-Dreistigkeiten abgespielt hatte, war schon erstaunlich. Die französische Ratspräsidentschaft hatte mit quasireligiösem Fervor ihr Internet-Sperrprojekt (HADOPI) auf ganz Europa ausdehnen wollen.
Dazu kamen nicht viel mehr als ein Dutzend Abgeordnete aus mehreren Fraktionen, die aber an ihrem Engagement für die Interessen der Unterhaltungsindustrie insofern keine Zweifel aufkommen ließen, als sie durch sämtliche Instanzen und Lesungen mit immer neuen Änderungsanträgen festschreiben wollten, dass Internet-Provider die totale Kontrolle über ihre Kunden ausüben müssten, um Urheberrechtsverstöße zu unterbinden.
An der von EU-Kommissarin Viviane Reding und mehreren Parlamentariern gepriesenen "Rechtssicherheit" bleiben also erhebliche Zweifel. Der Kompromiss lässt durch seine Wortwahl vor allem in anderen Legislaturen als der deutschen und österreichischen großen Interpretationsspielraum offen. Im Zeitalter des Internets, das weder legislative noch geografische Grenzen kennt, ist das spätestens dann von Bedeutung, wenn plötzlich das erste diesbezügliche Rechtshilfeersuchen an Österreich aus Frankreich kommt.
(futurezone/Erich Moechel)