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Mit dem Web die Zukunft vorhersagen

TRENDFORSCHUNG
09.05.2009

MIT-Informatiker Peter Gloor möchte die Trends von morgen schon heute kennen. Dafür hat er Methoden und Tools entwickelt, mit denen sich die Zukunft dank wachsender Transparenz im Web tatsächlich in gewissen Bereichen - etwa bei politischen Wahlen und Oscar-Abstimmungen - ein wenig besser vorausahnen lässt.

Kreative Ideen verbreiten sich am besten im Schwarm: Wenn Menschen gut miteinander vernetzt sind und ihr Wissen miteinander teilen, sind das die besten Voraussetzungen dafür, dass ein neuer Trend das Licht der Welt erblickt.

Peter Gloor, Informatiker am Center for Collective Intelligence (CCI) des Massachusetts Institute of Technology (MIT), untersucht mit der "Social Network Analysis" (SNA), wie Menschen miteinander vernetzt sind. Dabei kombiniert er Methoden aus Soziologie, Mathematik und Informatik.

Peter A. Gloor ist Wissenschaftler am Center for Collective Intelligence des MIT in Cambridge, Massachusetts, USA.

Gloor entwickelte das Data-Mining-System "Condor", um damit öffentliche Blogs, Soziale Netzwerke, Foren und Mailing-Listen nach Spuren zu durchsuchen, die ihn zu besonders kreativen Menschen, den "Coolfarmern", führen. "Coolfarmer" sind gut vernetzt und, wie Gloor es nennt, schwarmkreativ. Rund um sie entstehen "kollaborative Innovationsnetzwerke", in denen im Idealfall jeder mit jedem kommuniziert und es keine hierarchischen Strukturen gibt.

Die Ergebnisse dieser Netzwerkanalysen sind für Wirtschaft und Politik natürlich interessant. So können Unternehmen etwa die Kommunikationsstrukturen von Mitarbeiternetzwerken analysieren und verbessern, und es lassen sich Meinungen und Trends im Web herausfinden.

ORF.at: Herr Gloor, was hat es mit Ihren Coolfarmern auf sich?

Gloor: Da muss man unterscheiden zwischen den Coolhuntern, die Trends suchen, und den Coolfarmern, die selbst Trends setzen. Die sind meist auch gute Coolhunter. Die tummeln sich auf den richtigen Blogs und Websites in der virtuellen Welt, aber gelegentlich trifft man sie auch in der realen Welt an. Überall da, wo es Gruppen von innovativen, kreativen und intrinsisch motivierten Menschen gibt. An der Wall Street eher nicht.

ORF.at: Warum nicht an der Wall Street?

Gloor: Die Leute an der Wall Street sind zwar gut im Geldhorten, aber nicht unbedingt darin, neue Trends zu kreieren. Das machen andere, die Ideen haben und dann möglichst viele Leute suchen, die mit ihnen zusammenarbeiten. Als Beispiele könnte man Open Source nennen, Linux, das World Wide Web, aber auch Firmen wie Procter & Gamble. Wir suchen mit unserem Verfahren nach kreativen Schwärmen, nach Collaborative Innovation Networks (COINS). Wir haben bestimmte Kriterien dafür entwickelt, mit denen wir diese Netzwerke lokalisieren können. Wir glauben, dass bereits durch den Kommunikationsstil klar wird, wer ein Trendsetter ist.

ORF:at: Glauben Sie, dass sich Twitter als Netzwerk für Coolfarmer und Coolhunter durchsetzen wird?

Gloor referierte im Mai in Salzburg im Rahmen der fünften Interdisziplinären EduMedia-Fachtagung über "Coolhunting und Coolfarming durch Schwarmkreativität".

Gloor: Es hat schon immenses Potenzial. Ich kenne auch einige Twitterer, CEOs von Hightech-Firmen. Das ist wirklich unterhaltsam, weil die etwas zu sagen haben. Wir haben auch ein Twitter-Feed für unser Tool, da findet man manchmal schon ganz überraschende Dinge heraus. Im Moment scheint es mir aber, dass Facebook die Spitze ist.

ORF.at: Sie haben eine Software namens Condor entwickelt, mit der Sie diese Trendsetter identifizieren. Wie gehen Sie da vor?

Gloor: Das Ganze basiert auf der sozialen Netzwerkanalyse. Condor ist die Software, mit der die Ergebnisse ausgewertet werden. Um ein Beispiel zu nennen: Wir haben vor drei Jahren Innovationsteams von Ford analysiert. Da haben wir uns angesehen, wie jene Teams kommunizieren, die besonders erfolgreich sind. Dabei haben wir nur die E-Mail-Kommunikation analysiert, das hat aber in diesem Fall gereicht. In anderen Fällen genügt das nicht, weil die Chefs etwa nur telefonieren. Dann ist es notwendig nachzusehen, wie verschiedene Kommunikationsmittel in der Kommunikation der Teams eingesetzt werden.

ORF.at: Und wie sieht die Kommunikationsstruktur bei besonders erfolgreichen Teams aus?

Gloor: Je mehr hierarchieübergreifende Kommunikation in einem Projekt stattfindet, desto erfolgreicher ist es. Diese informelle Kommunikation ist ein ganz klares Zeichen dafür. Als zweites wichtiges Zeichen gilt, wenn die Kommunikationsstruktur öfters zwischen einer demokratischen und einer hierarchischen Kommunikation wechselt, dann ist es ein besonders kreatives Team. Wenn die Kommunikation immer konstant bleibt, ist es ein sehr effizientes, aber nicht besonders kreatives Team. Wir haben das auf verschiedenste Arten gemessen, auch mit "Social Badges", die sich die Teilnehmer an den Projekten um den Hals hängen. Das sind kleine Geräte, die messen, ob wir einander in die Augen sehen, während wir reden, wie weit wir in Gesprächen voneinander entfernt sind, ob die Stimme hinauf- oder hinuntergeht, ob ich mich bewege und gestikuliere. Wenn man das erfasst und analysiert, bekommt man recht genaue Informationen über die Persönlichkeit des Trägers. Man kann Aussagen darüber treffen, ob er neurotisch, offen für Neues, extrovertiert und umgänglich ist. Wenn man sich die ganze Struktur ansieht, findet man heraus, wie kreativ ein Team ist. Wir haben das etwa bei Krankenschwestern getan und nachgesehen, wie nahe sie an den Betten stehen, wie sie mit den anderen Krankenschwestern kommunizieren. Das ist ein gutes Anzeichen dafür, ob eine Station gut organisiert ist. Dinge, die man nur implizit weiß, können mit den "Social Badges" aufgedeckt werden. Das haben wir auch bei Kreativteams gemacht.

ORF.at: Zurück zur sozialen Netzwerkanalyse und Condor. Für welche Bereiche eignet sich die Methode, Inhalte aus dem Web zu analysieren, besonders gut?

Gloor: Besonders genau lassen sich Ergebnisse bei politischen Wahlen und Oscars vorhersagen. Wenn 500 einflussreiche Leute etwas Positives über den Bürgermeister von Wien sagen, vermuten wir, dass er gute Wahlchancen hat. Vorhersagen von Sportergebnissen sind allerdings problematisch.Ob ein Tennisspieler namens Federer jetzt gewinnt oder nicht, hängt nicht von der Meinung von Leuten ab, sondern von ihm selbst.

ORF.at: Wie sieht es etwa mit Wirtschaftsprognosen aus?

Bear Stearns ist eine US-Investmentbank mit Hauptsitz in New York. Die Bank wurde am 30. Mai 2008 nach einer Insolvenz im Zuge der US-Bankenkrise vom Konkurrenten JPMorgan Chase & Co. übernommen.

Gloor: Wir können nicht alles vorhersagen, aber wir verfolgen das, was über die Banken gesagt wird, seit etwa zwei Jahren. Uns sind etwa schon im Jänner 2008 Probleme bei der Investmentbank Bear Sterns aufgefallen, die dann im März darauf pleitegegangen ist. Wir wussten auch bereits vorzeitig, dass Hillary Clinton gegen Barack Obama nie eine Chance hatte, weil Obama viel mehr Leute cool fanden. In den führenden Politblogs Huffington Post und Daily Kos haben viel mehr einflussreiche Leute über Obama als über Clinton geredet. Natürlich macht man solche Analysen nicht nur anhand von Blog-Einträgen. Wir nehmen bei politischen Themen vor allem News-Websites als Grundtenor her, anhand der Blogs messen wir dann die Stimmung für oder gegen eine Person.

ORF.at: Benutzen Sie auch semantische Inhaltsanalysen bei Ihren Auswertungen mit Condor?

Gloor: Nein, wir machen keine natürliche sprachliche Analyse. Wir haben aber eine Stimmungsanalyse, wir sehen nach, ob positiv oder negativ über einen Politiker gesprochen wird. Wobei ich mittlerweile erkannt habe, dass man das nicht einmal brauchen würde. Wir tun es, weil es die Analyse noch genauer macht und man damit sehr zeitgenaue Abfragen tätigen kann. Über negative Dinge etwa redet man zwar, aber nicht lange, die bringt man gerne hinter sich.

ORF.at: Google setzt bei seiner Suche auch auf Page-Ranking. Was macht Condor?

Gloor: Unser Unterschied ist, dass wir nicht Page-Ranking machen, sondern auf "Betweeners" setzen. Wir konstruieren pro Abfrage ein lokales Netzwerk und schauen dann, wer für dieses spezielle Gebiet am wichtigsten ist. Es gibt Dinge, die sind immer wichtig, wie etwa die Wikipedia. Aber gerade in der Politik ist es wichtig, dass wir immer separate Netze nehmen für Blogs, Online-Foren, Social-Networking-Sites etc.

ORF.at: Woran arbeiten Sie im Moment?

Gloor: Mein Ziel ist immer noch das gleiche, ich möchte gerne die Zukunft vorhersagen. Herausbekommen, was wir morgen tun werden, auf Grundlage dessen, was wir heute sagen. Auf der mathematischen Ebene versuchen wir, Reputation und Vertrauen noch besser zu gewichten, um die Genauigkeit unserer Vorhersagen noch besser zu machen. Im Moment läuft es auf allen Schienen sehr erfeulich.

ORF.at: Wie wird es mit der Wirtschaftskrise weitergehen, gibt es da schon einen erkennbaren Trend?

Gloor: Wir haben viele europäische, weltweit tätige Banken, die uns diese Frage stellen. Wir sehen uns daher mit unseren Tools beispielsweise an, wie derzeit die Begriffe "Hoffnung" und "Furcht" im Netz verwendet werden. Da kann man mittlerweile sagen, dass wir eine starke Verschiebung weg von der Furcht hin zur Hoffnung festgestellt haben. Und wenn man die Investoren beobachtet, kann man sagen, dass es am Anfang nur ums Halten, dann um die Erholung und jetzt schon wieder um neue Möglichkeiten geht. Wenn man das alles kombiniert, kann man sagen, dass es wieder aufwärtsgeht. Ob das heute oder erst in einem Jahr der Fall ist, ist sehr schwer zu sagen.

ORF.at: Was ist Ihrer Meinung nach die nächste große Innovation in der Computerwelt?

Gloor: Das "Very Big Thing", auf ein paar Jahre hinausgedacht, ist, dass wir einen Computer haben, der die Gedanken liest, und dann genau das macht, was wir wollen. Allzu weit sind wir nicht mehr davon entfernt. Es gibt Studien, basierend auf Scans mit dem Magnetresonanztomographen, der schöne Farbkarten vom Gehirn erstellt. Man hat das mit Mäusen gemacht, und da sieht man, ob die Mäuse schlafen, fressen oder an Sex denken. Vom Mäuse- zum Menschengehirn ist der Schritt nicht mehr so weit. Es wird eine ganz andere Art des Umgangs mit Menschen sein, wenn der andere weiß, was man eigentlich will. Es führt zu einer neuen Art der Kreativität.

(futurezone/Barbara Wimmer)