Freier Zugang zu geförderter Forschung
Unter dem Stichwort Open Access kämpfen Wissenschaftler und Bibliothekare oft gegen große Widerstände für eine offene Publikationskultur im Internet. Das Motto: Mit öffentlichen Geldern geförderte Forschungsergebnisse sollen auch frei zugänglich sein. Armin Medosch sprach mit Falk Reckling vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) über Open Access in Österreich.
Mit öffentlichen Geldern geförderte Forschungsergebnisse sollen auch öffentlich zugänglich sein. Das meinen viele Wissenschaftler und Bibliothekare, die unter dem Begriff Open Access eine Vielzahl von Initiativen zum Publizieren wissenschaftlicher Fachartikel im Web gestartet haben. Open Access kolliderte in der Vergangenheit häufig mit der Praxis vieler Wissenschaftsverlage, die auch die Online-Versionen von Fachzeitschriften nur gegen hohe Gebühren zugänglich machen.
Kunden dieser Verlage sind vor allem die Universitätsbibliotheken und Forschungsinstitute, die zunehmend ein Problem damit haben, sich diese Abonnements noch leisten zu können. Das hat auch Auswirkungen auf die Arbeit der Wissenschaftler.
Seit der Berliner Erklärung vom 23. Oktober 2003 sind auch die großen Institutionen der Forschungsförderung auf den Open-Access-Zug aufgesprungen, so beispielsweise das Max-Planck-Institut in Deutschland und der FWF in Österreich.
Der FWF ist die wichtigste Einrichtung zur staatlichen Förderung der wissenschaftlichen Grundlagenforschung in Österreich. Reckling ist Abteilungsleiter für Geistes- und Sozialwissenschaften beim FWF und gleichzeitig für strategische Agenden wie Open Access zuständig. Armin Medosch sprach für ORF.at mit Reckling über Chancen und Probleme von Open Access.
ORF.at: Können Sie uns ganz grundsätzlich erklären, worum es bei Open Access geht?
Reckling: Open Access meint den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen, die ein Qualitätsprüfungsverfahren durchlaufen haben. Open Access ist als Bewegung unter Wissenschaftern entstanden, und zwar aus zwei Gründen. Erstens hat es in den neunziger Jahren eine Preisexplosion bei den Wissenschaftsverlagen gegeben. Gleichzeitig hat das Web den Wissenschaftern eine neue Form der Kommunikation geboten. Man muss dazu sagen, dass die wissenschaftlichen Verlage zum Großteil private Firmen sind, die faktisch zu über 90 Prozent durch öffentliches Geld finanziert werden. Das heißt, ein Wissenschafter geht zu einer Zeitschrift, die einem Verlag gehört, reicht dort seine Arbeit ein, die von anderen Wissenschaftern begutachtet wird, die meist ebenfalls durch öffentliche Gelder finanziert werden; die Forschungsarbeit selbst, auf der der wissenschaftliche Artikel beruht, ist auch mit öffentlichen Geldern finanziert, und das Produkt, die Zeitschrift mit diesen wissenschaftlichen Artikeln, wird wieder an die öffentliche Hand - also in der Regel wissenschaftliche Bibliotheken und Forschungsinstitute - verkauft. Im ganzen Kreislauf bewegt sich größtenteils immer öffentliches Geld. Der Sinn von Open Access ist nun, dass, wenn man schon dieses ganze System finanziert, es zumindest gut wäre, wenn auch die Ergebnisse für jedermann frei zugänglich sind. Das hat in vielen Bereichen auch für die allgemeine Öffentlichkeit hohe Relevanz, beispielsweise dass sich Mediziner und Ingenieure über aktuelle Forschungsergebnisse informieren können.
ORF.at: Können Sie uns die Hintergründe der Open-Access-Idee vielleicht noch etwas im Detail erklären?
Reckling: Die Wissenschaftsverlage, von denen es mittlerweile noch fünf oder sechs große Anbieter gibt, verkaufen den Universitäten nicht einzelne Zeitschriften, sondern Bündel von Zeitschriften. Die sagen, wenn du die Zeitschrift XY haben willst, dann bieten wir dir die im Rabatt an, wenn du noch die Zeitschrift AB nimmst. Es werden große Bündel verkauft, die oft Zeitschriften enthalten, die Forschungsinstitute gar nicht haben wollen. Und die Preise für diese Bündel sind enorm explodiert. Nun ist praktisch keine Bibliothek der Welt mehr in der Lage, wirklich alle Zeitschriften, die sie brauchen, auch zu kaufen, weil diese so teuer geworden sind. Auch Wissenschafter, die an sehr guten Institutionen arbeiten, haben schon lange nicht mehr Zugriff auf alle Zeitschriften, die sie eigentlich benötigen würden. Da ist das Problem entstanden. Was viele Wissenschafter getan haben, um überhaupt noch einen Austausch von Information zu ermöglichen, war, seitdem es das Internet gibt, elektronisch Versionen ihrer Artikel dort abzulegen. Das war rechtlich nicht ganz korrekt, weil ein Autor oder eine Autorin faktisch alle Rechte dem Verlag übergibt, wenn sie den Artikel in einer Fachzeitschrift veröffentlichen. Aber es ist passiert. Damit haben die Wissenschafter enormen Druck auf die Verlage ausgeübt, einerseits ihre Preispolitik zu ändern und andererseits es zu ermöglichen, dass diese neuen Möglichkeiten des Publizierens im Web genutzt werden können. Eigentlich ist die Entstehung des WWW selbst nichts anderes als eine Form des akademischen Austausches. Es wurde am CERN in Genf erfunden, weil die Wissenschafter große Datenmengen austauschen wollten, die an verschiedenen Orten existieren. Ähnlich haben sie es mit Zeitschriftenartikeln getan, es wurden sogenannte Preprint-Server gegründet, in denen Artikel gespeichert wurden, die Autoren dann später in Zeitschriften veröffentlichen wollten. Es wurden auch Zeitschriften direkt im Internet gegründet, das sind sogenannte Open-Access-Zeitschriften. Davon gibt es mittlerweile über 4.000, das ist, bei schätzungsweise 25.000 Fachzeitschriften, ein ganz enormer Anteil. Es wurde den Verlagen Schritt für Schritt abgerungen, als Autor das Recht zu haben, eine Kopie des eigenen Zeitschriftenartikels, den man in einer normalen Zeitschrift veröffentlicht hat, nach der Veröffentlichung selbst nochmal auf der eigenen Homepage oder in anderen Ablagesystemen zu veröffentlichen - das sind die sogenannten Postprints. Das hat jetzt zu einer Situation geführt, dass in einigen Wissenschaftsdisziplinen, gerade in der Physik, Mathematik, in den Life-Science-Disziplinen ein großer Teil der Publikationen für jedermann frei zugänglich sind. Die bekanntesten sind Arxiv, das ist ein Preprint-Server für die Naturwissenschaften, PubMedCentral , das ist ein Postprint-Repository für die Life Science Disziplinen sowie die beiden Preprint-Server RePec und SSRN für die Wirtschafts-, Rechts-, Sozial- und Geisteswissenschaften.
ORF.at: Wie hat sich das in Österreich entwickelt?
Reckling: In Österreich ist die Entwicklung sehr langsam vorangegangen, es gibt kaum Initiativen. Die Institutionen, die Wissenschaft fördern, sind Anfang der 2000er-Jahre auf Open Access eingegangen. Zu der Zeit gab es mehrere Erklärungen, eine davon war die sogenannte Berliner Erklärung, die unser damaliger Präsident, Georg Wick, unterschrieben hat. Darauf hin hat der FWF eine Open-Access-Policy entwickelt.
ORF.at: Wie geht der FWF mit Open Access um?
Reckling: Die FWF-Policy besagt erstens, dass die Autoren auf ihre Rechte gegenüber den Verlagen insofern Acht geben sollten, dass es ihnen möglich, ist eine elektronische Kopie ihrer Arbeiten frei zugänglich zu machen. Die anfallenden Kosten dafür übernimmt der FWF. Auch bei Open-Access-Zeitschriften fallen Kosten an; die finanzieren sich nämlich dadurch, dass sie nicht mehr an Bibliotheken verkauft werden, sondern dass der oder die Autorin selbst den Anteil der Kosten trägt. Die Zeitschrift muss sich finanzieren, sie muss ja ein Peer-Review-Verfahren durchführen, sie hat andere Kosten, und das wird über die Autoren erhoben. Die bezahlen das nicht aus ihrer Privatschatulle, sondern die Förderorganisationen wie der FWF, die hinter ihnen stehen, übernehmen die Kosten. Wir fördern im Moment im Umfang von rund 50.000 bis 60.000 Euro im Jahr Open-Access-Publikationen. Wobei man sagen muss, dass viele Open-Access-Zeitschriften bisher keine Publikationskosten erheben oder aus dem Globalbudget der FWF-Projekte bezahlt werden. Eine andere Variante wäre, dass man sich gegenüber dem Verlag das Recht vorbehält, dass man eine Kopie seiner Arbeit im Internet ablegen möchte. Auch das ist möglich, es gibt verschiedene Varianten, beispielsweise ist es in den Life-Science-Bereichen durchaus üblich, dass Zeitschriften Embargo-Zeiten einführen. Wenn man dieses Modell wählt, dann darf man den Artikel erst ein halbes Jahr, manchmal auch ein Jahr nach Veröffentlichung ins Internet stellen.
ORF.at: Das heißt, der FWF kauft die Beiträge der Wissenschaftler sozusagen frei?
Reckling: Das ist richtig, ja, so kann man es sagen.
ORF.at: Wie sehen die Reaktionen seitens der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus?
Reckling: Also, negative Reaktionen haben wir bisher noch nie bekommen. Aber es ist natürlich ein langfristiger Prozess. Die Anträge für Kostenübernahme sind Jahr für Jahr gestiegen. Wir haben jetzt noch Aktionen in Planung, die das auch für Buchpublikationen möglich machen werden. Wir hatten letztens eine Veranstaltung mit Verlagen, bei der wir ihnen angeboten haben, einen Open-Access-Zuschuss zu zahlen, wenn sie das Buch zeitgleich oder zeitnah veröffentlichen. Das haben auch die Verlage sehr positiv aufgenommen. Der FWF diskutiert jetzt gerade, ob er sich an dem großen Repositorium der Life-Science-Fächer, PubMedCentral, beteiligt. Das würde den Antragstellern die Sache sehr vereinfachen, weil dieses Repositorium Verträge mit den Verlagen hat, so dass jeder Artikel, der dort abgelegt wird, sicher ist, dass er auch die Coyprights einhält.
ORF.at: Was ich interessant finde, ist, dass Sie sagen, dass Open Access in den Naturwissenschaften schon sehr verbreitet ist. Wie sieht es in den Sozial- und Geisteswissenschaften aus?
Reckling: Das ist sehr differenziert. Man kann vielleicht so sagen: die Disziplinen, die sehr zeitschriftenorientiert sind, bei denen ist das relativ verbreitet. Das gilt bei den Sozialwissenschaften auch für die Ökonomen, zum Teil auch für die Psychologen. Dort, wo eher die Buchkultur oder eine Sammelbandkultur vorherrscht, ist es auch physisch und technisch etwas schwerer, und beginnt erst, sich zu verbreiten. Aber gerade im angelsächsischen Raum gibt es auch Initiativen, es gibt Buchverlage, die zeitgleich nicht nur eine Hardcopy zur Verfügung stellen, sondern auch eine elektronische Vollversion. Bisher wurde dort immer argumentiert, dass wenn etwas frei zur Verfügung steht, es dann nicht mehr gekauft wird. Dafür gibt es bisher geringe empirische Erkenntnisse. Es gibt sogar kleinere Untersuchungen, die besagen, dass die freie Zurverfügungstellung einer Monografie den Verkauf befördern kann, weil offensichtlich doch niemand ein 300-Seitenbuch im Internet liest. Es ist eine Generationsfrage, es ist zum Teil auch eine Kulturfrage zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften, es ist aber kein Grundwiderspruch und es gibt auch in den Geisteswissenschaften vielversprechende Initiativen, die das Open-Access-System nutzen.
ORF.at: Es gab aber jüngst große Aufregung um den sogenannten Heidelberger Appell. Dort heißt es, durch Open Access würde die Freiheit der Forschung, die Freiheit der Autoren eingeschränkt. Wie sehen Sie das?
Reckling: Das ist eine etwas sonderbare Diskussion gewesen. Zunächst wurden in diesem Appell zwei unterschiedliche Sachen kritisiert, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben: einerseits das Einscannen von Büchern durch Google; da waren eben einige Bücher dabei, auf denen immer noch Copyrights von Autoren lagen, das war nicht legal, was Google da gemacht hat, offensichtlich; die andere Sache war, dass Open Access kritisiert wurde und zwar als Zwangsmaßnahme der Forschungsorganisationen gegenüber den Wissenschaftern und Wissenschafterinnen. Da muss man sagen, genau das Gegenteil ist richtig, weil Open Access eben nicht eine Idee von Forschungsorganisationen ist, sondern von Wissenschaftern, es ist eine Initiative einer großen Zahl von sehr prominenten Wissenschaftern, und die Forschungsorganisationen sind relativ spät eingestiegen und haben das dann unterstützt. Was den Zwang zur Publikation betrifft, da muss man unterscheiden. Niemand wird gezwungen, in einer bestimmten Zeitschrift oder bei einem bestimmten Verlag zu publizieren. Die Leute werden aber sehr wohl aufgefordet zu schauen, wie sie mit öffentlichen Geldern umgehen, denn die Forschung ist ja mit öffentlichen Geldern finanziert. Daher sollten sie darauf achten, dass sie sich weitere Verwertungsrechte für ihre Publikationen vorbehalten, dass sie auch eine elektronische Version der Öffentlichkeit zugänglich machen. Mehr ist es nicht. Niemand wird gezwungen, jetzt nur auf Open-Access-Plattformen zu publizieren. Aber eine gewisse Aufforderung, mit öffentlichen Geldern sorgsam umzugehen und auch der Öffentlichkeit die Ergebnisse zur Verfügung zu stellen, die gibt es schon.
ORF.at: Was ist der Vorteil von Open Access für die Wissenschaft?
Quelle:
Michael Norris, Charles Oppenheim and Fytton Rowland 2008: The Citation Advantage of Open-Access Articles: In: Journal of the American Society for Information Science and Technology, Volume 59, Issue 12 (p 1.963 bis 1.972)
Reckling: Erst einmal natürlich der freie Informationsaustausch, man kommt an viele Publikationen viel einfacher heran. Auch ist es für Wissenschafter, wie für andere Autoren auch, wichtig, gelesen zu werden. Mittlerweile gibt es sehr gute valide Erkenntnisse darüber, dass Publikationen, die gleichzeitig auch im Internet frei verfügbar sind, eine weitaus größere Aufmerksamkeit genießen. Das misst man in den Naturwissenschaften oder teilweise auch in den Sozialwissenschaften damit, wie häufig eine Arbeit zitiert wird. Und interessanterweise erweist sich gerade in einigen sozialwissenschaftlichen Disziplinen die Nutzung von Open Access als vorteilhaft. In der Soziologie ist es beispielsweise so, dass Artikel, die unter Open Access publiziert werden, doppelt so oft zitiert werden, wie Arbeiten, die nicht frei zur Verfügung stehen, wie Norris, Oppenheim und Rowland gezeigt haben. Ein nicht direkter aber langfristiger Vorteil ist, dass der Preis für Publikationen sinken soll. Diese Sache wird natürlich heiß diskutiert, denn im Moment haben wir ein zweigleisiges System, wir haben das alte System, in dem Bibliotheken viele Zeitschriften im Bündel kaufen müssen, und wir haben das Open-Access-System, das auch Geld kostet. Wie so oft bei Reformen ist es so, dass in den Übergangsphasen Dinge mehr kosten.
ORF.at: Welche Position nehmen die Wissenschaftsverlage in diesem System ein?
Reckling: Man kann im Prinzip drei Arten von Verlegern unterscheiden. Es gibt die Independent Publisher, das sind meist kleine Gruppen von Wissenschaftlern, die eine Zeitschrift herausgeben. Es gibt die Veröffentlichung über akademische Fachgesellschaften, und es gibt die großen Fachverlage. Bei denen hat in den letzten Jahren ein enormer Konzentrationsprozess stattgefunden, wie gesagt, es gibt fünf große.
ORF.at: Welche sind das?
Reckling: Das sind Elsevier, ein internationaler Verlag, der in den Niederlanden sitzt, dann gibt es noch Springer, Taylor & Francis, Whiley-Blackwell und Sage. Für Wissenschafter ist die Frage eigentlich nicht, wo sie publizieren, sondern in welcher Qualität. Verlage haben eigentlich immer die Rolle, ob sie jetzt kommerziell oder nichtkommerziell sind, diese Qualitätssicherung zu übernehmen, oder diese zu organisieren, denn die Qualitätssicherung übernehmen ja auch wieder andere Wissenschafter, unbezahlt. Das Problem, das wir in den letzten Jahren gehabt haben besteht darin, dass gerade diese kleinen, unabhängigen Zeitschriften oder diese Verlage von akademischen Gesellschaften eigentlich im Durchschnitt eine viel höhere Qualität produziert haben als die Wissenschaftsverlage. Die sind im wesentlichen an großen Massen interessiert, die sie dann absetzen können. Nichtsdestotrotz ist es legitim, damit auch Geld zu verdienen. Aber die Wissenschafter haben schon die Aufgabe, diesen Verlagen auf die Finger zu sehen, dass sie die Qualität, die gefragt ist, auch zu einem vernünftigen Preis produzieren. Interessanterweise fängt Open Access an, auch den Markt neu aufzumischen, weil es heute weit einfacher ist, als kleine unabhängige Gruppe eine Open-Access-Zeitschrift zu gründen, als eine Hardcopy-Zeitschrift. Die Einstiegskosten sind dafür relativ gering. Ein Problem der Open-Access-Zeitschriften ist im Moment noch die Reputation.Um als Zeitschrift sehr prominent zu werden, um viel zitiert zu werden, braucht man eben viel Zeit. Die meisten Open-Access-Zeitschriften sind ca. vier bis fünf Jahre alt. Es braucht viele Jahre, um in der Community wahrgenommen zu werden.
ORF.at: Es gibt ja das Argument mit der Auffindbarkeit. Bei traditionellen Magazinen habe ich alles an einem Platz, da weiß ich: Wenn ich etwas zu einem bestimmten Fachbereich suche, habe ich hier die relevanten Beiträge. Wenn jeder seine Artikel auf der eigenen Homepage publiziert, dann ist das viel zu verstreut.
Reckling: Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings entwickeln sich wie gesagt fachspezifische Ablagesysteme, Repositorien genannt, die sehr gute Suchsysteme haben. Und selbst ein System wie Google Scholar ist schon relativ verlässlich heute, um die wirklich relevanten Ergebnisse zu finden.
ORF.at: Das heißt, diese Publikationstätigkeit ist total internationalisiert, da gibt es keine Österreich-spezifischen Repositorien.
Reckling: Nein, das wäre auch absurd. Im wesentlichen wenden sich ja wissenschaftliche Artikel an andere Wissenschafterinnen, und die sind grenzübergreifend. Es wäre sinnlos, ein Ablagesystem für Medizin in Österreich zu gründen, denn die wissenschaftlichen Arbeiten werden beispielsweise von einer österreichischen Gruppe in Zusammenarbeit mit einer Gruppe in USA oder England geschrieben. Wissenschaft ist sehr internationalisisert und das Publizieren läuft nur auf internationaler Ebene.
ORF.at: Wenn man sich Websites über Open Access ansieht, gewinnt man sehr stark den Eindruck, es geht vor allem um Standards, bibliothekarische Fragen, was sich für Uneingeweihte etwas mühsam ausnimmt.
Reckling: Das Problem ist die sogenannte Sustainability, die Haltbarkeit von Formaten. Wir haben das große Problem, dass sich die Formatzyklen, also die benutzten Formate, sehr schnell geändert haben. Dann konnten Artikel nicht mehr formatiert werden und waren plötzlich nicht mehr vorhanden. Nur: dieses Problem haben sie auch bei Büchern gehabt. Es gibt Schätzungen, nach denen deutsche Bibliotheken zwei bis drei Milliarden Euro benötigen würden, um ihre Bestände zu sichern. Ironischerweise tun sie das in der Regel durch Digitalisierung. Und diese Formate müssen kompatibel gehalten werden, damit man die auch noch in zehn Jahren lesen kann. Das Problem ist noch nicht völlig gelöst, aber was im Moment getan wird, ist Redundanzen zu schaffen, eine Publikation in mehreren Formaten abzulegen, das klassische PDF-Format, XML oder noch andere Formate, und dadurch zu sichern, dass eines dieser Formate langfristig überlebt.
ORF.at: Gibt es Wissenschaftler, die Open Access besonders stark fördern?
Reckling: Es gab diese berühmte Bethesda-Erklärung aus dem Jahr 2003. Bethesda ist eine Stadt in den USA, in der Nähe liegt auch das National Institute of Health (NIH). Da haben sich einige sehr prominente Wissenschafter zusammengetan, um diesen Gedanken zu unterstützen. Einer davon ist der ehemalige Direktor des National Instititute of Health, Harold Varmus, Nobelpreisträger der Medizin, und mittlerweile auch Berater von Barack Obama in Wissenschaftsfragen; einer der sehr prominent ist und in der Öffentlichkeit auch oft mit einer sehr aggressiven Rhetorik auftritt, ist Stevan Harnad, Psychologe aus Southampton; Peter Suber ist ein Philosoph, also auch ein Geisteswissenschafter, der eine sehr übersichtliche Informationsplattform zu Open Access betreibt; John Willinsky, auch ein Geisteswissenschaftler. Eine Person, die dafür kämpft, dass die Copyrights nicht weiter verlängert werden, ist Lawrence Lessig. Im deutschen Bereich sind es vor allem Institutionen, die es von Anfang an unterstützt haben, wie die Max-Planck-Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, ja und in Österreich ist es der FWF, würde ich sagen.
ORF.at Wie sieht es in den USA aus, geht man nun weiter in diese Richtung?
Reckling: In den USA hat es auch einen großen Widerstand seitens der Lobby-Organisationen der Verlage gegeben und die Situation war unter der Bush-Regierung weitestgehend offen. Denn zum Beispiel das NIH, das ein Budget von über 30 Milliarden Euro hat, hat seine Wissenschafter dazu verpflichtet, elektronische Kopien abzulegen. Das war für die Wissenschafter selbst kein Problem, nur haben die Lobby-Gruppen versucht, das zu verhindern. Mit der neuen Regierung gibt es nun eine ausdrückliche Unterstützung seitens des Präsidenten und seiner Berater, dass diese Vorgehensweise des NIH befürwortet wird, und dass der Gedanke des Open Access hochgehalten wird. In Deutschland sieht die Situation jetzt nach diesem unglücklichen Heidelberger Appell etwas anders aus, weil Open Access mit anderen Aktivitäten wie den Massenscans von Google in einen Topf geworfen wurde. Ich glaube, jetzt muss man erst einmal wieder die Wogen glätten und darauf hinweisen und genau erklären, was Open Access bedeutet. Andererseits hat dieser Heidelberger Appell auch dazu geführt, dass es einer viel breiteren Öffentlichkeit erst klar geworden ist, worum es eigentlich geht. Open Access hätte ohne diesen Appell wahrscheinlich nie so viel Publizität bekommen, insofern hat das auch positive Auswirkungen.
(Armin Medosch)