Web-Videos gegen Politikverdrossenheit
Politik im Mitmachweb: Die österreichische Online-Videoplattform Ichmachpolitik.at lädt zum Frage-Antwort-Spiel im Netz mit heimischen Politikern von der Bundes- bis hin zur Gemeindeebene und will so Bürger zur politischen Teilnahme über das Internet ermutigen.
"Die Politikverdrossenheit kommt nicht von irgendwoher", meint Markus Kienast. "Viele Leute haben den Eindruck, dass sie auf die Politik ohenhin keinen Einfluss nehmen können." Um das zu ändern, hat Kienast mit seinem Mitstreiter Georg Schütz wenige Wochen vor der Nationalratswahl 2008 Wahltotal, eine Videoplattform für Politik, gegründet. Nutzer können dort via Web-Video Fragen an Kandidaten aller Parteien stellen, die dann an die Parteizentralen zur Beantwortung weitergeleitet wurden.
Mittlerweile wurde Wahltotal runderneuert und lädt seit Mitte April unter dem neuen Namen Ichmachpolitik.at Internet-Nutzer zur politischen Teilnahme ein. "Mit dem Namenswechsel wollen wir hervorheben, dass wir eine Plattform sind, die jeder Einzelne nutzen kann, um Politik zu machen", erläutert Kienast. Politische Partizipation sei nicht nur vor Wahlen wichtig. "Wir geben Bürgern Gelegenheit, direkt mit Politikern in Kontakt zu treten und auf die Politik Einfluss zu nehmen", so Kienast. "Die Themenherrschaft geht so wieder zurück zu den Wählern."
Fordern mit ihrer Online-Videoplattform zur politischen Mitwirkung auf: Markus Kienast (Bild links) und Georg Schütz von Ichmachpolitik.at.
Breites Themenspektrum
Das Spektrum der auf Ichmachpolitik.at gestellten Bürgerfragen reicht von wirtschafts- und europapolitischen Themen bis hin zu E-Voting und Bildungspolitik und unterscheidet sich in einigen Fällen wohltuend von der von den Massenmedien vermittelten Themenlandschaft. "Wir stecken so viel Geld in unser Bildungswesen. Warum werden unsere Jugendlichen eigentlich nur Europameister im Saufen?", wollen etwa die Nutzer "Herta&Norbert" wissen.
Natürlich würden nicht alle Fragen beantwortet, meint Kienast, der unter anderem für die Programmierung der Plattform verantwortlich zeichnet. In vielen Fällen sei es jedoch so, dass Politiker, die Fragen beantworten, auch ihre Konkurrenten in den anderen Parteien unter Zugzwang brächten, ergänzt Schütz.
Mit Ausnahme von FPÖ-Politikern beteiligten sich bisher Vertreter aller im österreichischen Parlament vertretenen Parteien an dem Frage-Antwort-Spiel. "Die Kommunikation mit den Parteizentralen hat erstaunlich gut funktioniert", so Kienast. Das Fehlen von FPÖ-Repräsentanten erklärt er sich damit, dass die wohl ihre Zielgruppen "über andere Kanäle erreichen".
"Neue Kommunikationswege"
Für das Videoformat habe man sich entschieden, weil es zeitgemäß sei und Kommunikationswege eröffne, die vorher nicht vorhanden waren, meint Schütz, der in Köln Medienkunst studiert hat. Bei der Gestaltung ihrer Videoplattform haben sich Kienast und Schütz auch durch vorhandene Angeboten aus dem angloamerikanischen Raum, etwa die Aktion "Face the candidates" auf YouTube vor der US-Präsidentenwahl 2008, inspirieren lassen: "Man schaut, was sonst so in der Welt geht, und adaptiert das dann für seine Zwecke."
"Nachvollziehbarkeit der Kommunikation"
Im Netz würden die Videos, anders als im Fernsehen, auch weiterhin abrufbar bleiben, betonen die Plattformgründer. Darüber hinaus könnten Nutzer, die mit der Antwort der Politiker nicht zufrieden sind, noch einmal nachhaken. "Es geht bei uns auch um die Archivierung und die Nachvollziehbarkeit der Kommunikation."
Videos von österreichischen Parteien auf YouTube und auf parteieigenen Plattformen beurteilen die Ichmachpolitik.at-Macher skeptisch: "Das ist die Wiederherstellung der Parteizeitung auf digitaler Ebene." Solche Angebote würden ohnehin nur von der eigenen Stammwählerschaft angesehen, vermuten Kienast und Schütz.
"Nicht nur Floskeln ablassen"
Ihren Dienst sehen sie hingegen als Mitmachmedium, bei dem sich jeder zu den Standpunkten der Parteien zu bestimmten Themen informieren könne: "So kann ich auch über Meinungen aus Parteien stolpern, denen ich sonst nicht zuhören würde, weil ich sicher nicht auf deren Website gegangen wäre und mir deren Videos angesehen hätte", meint Kienast.
Auch Politiker müssten ihre Präsentationsweise der Plattform anpassen: "Es macht einen Unterschied, ob ich die Frage einer Person beantworte, oder ob ich zur Masse spreche", so Schütz. "Der Kontakt ist bei uns persönlicher. Da tue ich mir als Politiker schwerer, nur ausweichende Floskeln abzulassen."
Von der Bundes- bis zur Gemeindeebene
Künftig wollen Kienast und Schütz ihre Plattform auch auf die Landes- und Gemeindeebene erweitern. "Wir wollen auch Gemeindepolitikern zeigen, wie sich Videos im Internet sinnvoll einsetzen lassen", erklärt Kienast. "Bei uns können sie ihre Projekte präsentieren und zeigen, was sie geschafft haben."
Für Nutzer der Plattform soll es dann auch die Möglichkeit geben, Beiträge aus ihrem Umfeld gezielt herauszufiltern. "Die Beiträge werden geogetagt, und ich kann mich informieren, was in meiner Ortschaft interessant und wichtig ist", kündigt Kienast an.
Auch bei der von Bloggern ins Leben gerufenen Initiative Grüne Vorwahlen, die grüne Kandidaten für die Wiener Gemeinderatswahl 2010 zu mehr Kommunikation mit ihren Wählern ermuntern will, soll die Videoplattform eine Rolle spielen: "Wir stehen mit den Leuten in regem Kontakt."
"EU-Wahl nur mäßig interessant"
Daneben werden auf Ichmachpolitik.at auch immer wieder Schwerpunkte gesetzt. Zuletzt stand etwa das Thema E-Voting im Fokus. Das Team führt auch in unregelmäßigen Abständen Interviews mit Politikern. Vor kurzem war man bei Herbert Scheibner (BZÖ) und Grünen-Chefin Eva Glawischnig zu Gast.
Die EU-Wahl sei für die Videoplattform wegen der zu erwartenden geringen Wahlbeteiligung nur mäßig interessant, meinen Kienast und Schütz: "Wir konzentrieren uns auf die Landtagswahlen in Vorarlberg und Oberösterreich, die im September stattfinden."
Videoschulungen und Profi-Accounts
Finanziert wird die Videoplattform für Politik vorerst von den Gründern. Geld verdienen wollen Kienast und Schütz künftig mit Schulungsdienstleistungen rund um Online-Video und mit kostenpflichtigen Accounts für Politiker. Auch über Werbung denken die Plattformgründer nach: "Wir sind noch ein bisschen am Durchprobieren, was sich langfristig durchziehen lässt."
(futurezone/Patrick Dax)