Trendbarometer Handy
Die US-Firma Sense Networks wertet Mobilfunkdaten aus, um Handybesitzer anhand ihrer Aufenthaltsorte zu klassifizieren. Die gewonnenen Daten helfen nicht nur bei der Suche nach den besten Bars, sondern auch bei der Analyse ökonomischer Entwicklungen. Datenschützern könnte angesichts von so viel Präzision allerdings mulmig werden.
Als die US-Wirtschaft im letzten Jahr in Schwierigkeiten geriet, wusste Tony Jebara sofort, wie ernst die Lage war. Jebara ist Mitbegründer des New Yorker Start-ups Sense Networks, das in Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Mobilfunkanbietern Millionen von Kundendaten auswertet. Teil dieser Arbeit ist die Analyse der Mobilfunknutzung in San Francisco. Sense Networks konnte dort im vergangenen Herbst dramatische Veränderungen beobachten. Jebara dazu: "San Franciscos Banker kamen plötzlich sehr, sehr früh zur Arbeit."
Sense Networks kann solche Trends mit Hilfe der Verkehrsdaten der Mobilfunkkonzerne ermitteln. Wer jeden Tag neun oder zehn Stunden im Bankenviertel verbringt und sein Mobiltelefon dann abends in eine Gegend mit neuen, teuren Lofts bringt, ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein Banker.
Putzfrauen auf dem Radar
Wer dagegen jede Nacht ins Bankenviertel fährt und frühmorgens in eine ärmere Wohngegend zurückkehrt, ist vermutlich eher eine Putzkraft oder ein Hausbesorger. Jebara erklärt: "Wenn dein Mobiltelefon Ortsdaten ermittelt, entsteht dadurch ein Profil von dir. Einfach durch die Plätze, an denen du dich aufhältst. Wir schauen uns diese Daten an, und können dann sagen: Diese Person ist ganz offensichtlich ein Student oder ein Geschäftsreisender. Oder eine Mutter, die in Einkaufszentren geht."
Eine Goldgrube für Werber
Jebaras Firma nutzt diese Modelle, um Mobilfunknutzer in rund 20 Kategorien einzuteilen. Dazu gehören beispielsweise Gruppen wie die "jungen Nachteulen", die nachts viel ausgehen und eine Bar nach der anderen besuchen. Oder Menschen, die aufgrund ihrer Berufs- und Wohnorte schätzungsweise mehr als 100.000 Dollar pro Jahr verdienen. "Aufenthaltsorte verraten einem wirklich viel über eine Person", glaubt Jebara.
Für Werbetreibende sind derartige Daten Gold wert. So setzte eine Marketing-Firma auf Erkenntnisse von Sense Networks, um die Promotion für eine Biermarke in San Francisco zu koordinieren. Autohändler könnten damit ermitteln, ob ihre Kundschaft eher an teuren Neuwagen oder an gebrauchten Schnäppchen interessiert sei, erklärt Jebara. Mobilfunkkonzernen sei es möglich, ihre Angebote besser ans tatsächliche Nutzungsverhalten ihrer Kunden anzupassen.
Analyse und Datenschutz
Datenschützern mag angesichts solcher Datenanalysen mulmig werden. Jebara glaubt jedoch, dass Sense Networks helfen kann, Daten privat zu halten. "Wir brauchen für unsere Analysen keine exakten Aufenthaltsorte, sondern nur Kategorien von Orten", erklärt er. "Uns geht es nicht darum, wo jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt war, sondern ob er nachts lange ausgeht."
Sense Networks löscht für diese Analysen alle spezifischen Ortsangaben. Damit helfe man auch Mobilfunkfirmen, verantwortungsvoller mit Kundendaten umzugehen. "Diese Firmen haben all diese Daten, die sie nicht richtig nutzen. Unsere Strategie ist, die sinnvollen Daten auszuwerten und den Rest wegzuwerfen. Damit hilft man dem Datenschutz, da nicht mehr jeder Anruf und jeder Aufenthaltsort gespeichert wird."
Ausgehtipps für iPhone-Nutzer
Gleichzeitig erkannte man bei Sense Networks, dass man Verbrauchern für die Nutzung ihrer Daten auch einen Mehrwert bieten muss. Die Firma entwickelte deshalb ein Programm für iPhones und Blackberrys, das Nutzern beim Navigieren durch das Nachtleben hilft. Das Citysense genannte Programm weiß automatisch, welche Bars besonders belebt sind und wohin die Besucher eines Konzerts gehen, wenn die Zugabe vorbei ist.
In Zukunft soll Citysense Nutzern zudem mit Hilfe sozialer Filter mitteilen, welche Restaurants oder Bars ihnen gefallen könnten. Das Ziel sei es, ähnlich den von Amazon bekannten Buchempfehlungen Ausgehtipps für die Welt jenseits des Monitors zu geben. "Du kennst diese Leute nicht, aber du bekommst mit ihrer Hilfe relevante Empfehlungen, weil ihr ähnliche Interessen habt", erklärt Jebara.
Hotspot Notaufnahme
Das Beste daran sei, dass diese Empfehlungen auf implizit gewonnenem Wissen basierten. "Du musst nicht erst erklären, wer du bist oder wer deine Freunde sind", erläutert Jebara. "Du stimmst einfach mit deinen Füßen ab und machst, was du auch sonst so tust."
So ganz scheint das Auswerten der Mobilfunkdaten allerdings noch nicht immer zu klappen. Jebara weiß von einem Fall zu berichten, in dem sich das Sense-Networks-Team testweise in das Nachtleben San Franciscos stürzte. Nachdem die normalen Bars aufgrund der Sperrstunde dichtgemacht hatten, zeigte ihnen Citysense ein paar sehr belebte Alternativen an. "Wir dachten, dass das ganz tolle Afterhour-Bars sein müssen", erinnert sich Jebara, "Doch ihr Wirklichkeit waren es Krankenhäuser, und die Leute dort hatten einfach zu viel getrunken."
(Janko Röttgers)