Vorpremiere für Wolfram Alpha
Das Expertensystem Wolfram Alpha soll nach dem Willen seines Erfinders irgendwann dazu fähig sein, von selbst neue mathematische Modelle zu generieren, die uns wiederum dabei helfen sollen, die Welt besser zu verstehen. Am Freitag ging die englischsprachige Version von Alpha in den Testbetrieb.
Am Freitag (Ortszeit) ist die englischsprachige Testversion des Expertensystems Wolfram Alpha ans Netz gegangen. Am Samstagvormittag (MEZ) kam es aufgrund temporärer Überlastungen der Server zu kurzen Systemausfällen. Der offizielle Starttermin von Alpha ist nach wie vor auf den 18. Mai fixiert.
Zu Beginn oft fälschlicherweise als Google-Konkurrent bezeichnet, soll Alpha keine Suchmaschine sein, sondern einen neuen Zugang zu zahlenbezogenem Wissen und dessen Verarbeitung schaffen. Beispielsweise soll das System dazu in der Lage sein, auf Fragen wie "Was ist die 1.050. Stelle der Kreiszahl Pi?", "Wie stand die Aktie von Microsoft am 1. April 2005?" und "Wie viele Regentage gibt es in Sydney?" korrekt zu antworten. Die Daten dazu hat Wolfram Research nach eigenen Angaben aus verlässlichen Quellen zusammengetragen.
Datenbanken und Kombinationen
Bei Fragen, die sich nicht aus dem Datenbestand beantworten lassen, muss Alpha passen. Ebenso bei Fragen, die bestimmte Verknüpfungen der vorhandenen Daten voraussetzen, wie der Künstliche-Intelligenz-Experte Douglas Lenat schreibt, der Alpha schon vor dem Start ausprobieren durfte. Eine solche Frage wäre etwa, wie alt Barack Obama war, als Francois Mitterrand zum französischen Präsidenten gewählt wurde.
Zur Berechnung greift Alpha auf Algorithmen und Prinzipien zurück, die aus dem Software-Paket Mathematica und dem theoretischen Werk "A New Kind of Science" (NKS; 2002) stammen, die beide auf Ideen des Physikers und Informatikers Stephen Wolfram zurückgehen. Der in Eton, Oxford und am renommierten Caltech ausgebildete Brite hatte 1987 die Firma Wolfram Research gegründet, um sein 1986 begonnenes Projekt Mathematica zu vermarkten, was ihm auch mit Erfolg gelang.
Einfachheit und Komplexität
"A New Kind of Science" handelt davon, wie komplexe Naturphänomene auf einfache mathematische Prinzipien rückgeführt werden können - und wie aus einfachen Formeln komplex anmutende Systeme entstehen können. Alpha soll diese Prinzipien nun auch über Anfragen in natürlicher menschlicher Sprache abseits von Formeln zugänglich machen.
In "A New Kind of Science" beschreibt Wolfram den Ausgangspunkt für seine Überlegungen folgendermaßen: "Ich habe etwas gemacht, was in gewisser Weise eines der einfachsten Experimente am Computer darstellt. Ich habe eine Reihe einfacher Programme geschrieben und dann systematisch nachgesehen, wie diese sich verhalten. Und was ich - zu meiner großen Verwunderung - herausgefunden habe, war, dass das Verhalten der Programme trotz der Einfachheit der in sie eingeschriebenen Regeln oft alles andere als simpel war. Tatsächlich brachten gerade die einfachsten Programme oft denkbar komplexe Ergebnisse hervor."
Rechenmaschine für neue Ideen
"Alpha ist die erste Killer-Anwendung für NKS", schrieb Wolfram am Donnerstag zum ersten Start seines Expertensystems, der auch mit dem siebenten Jahrestag des ersten Erscheinens von NKS zusammenfällt. "Da draußen in der Welt gibt es ein unglaublich komplexes Netz von Wissen, das in systematische Zusammenhänge gebracht werden kann. [...] Aus NKS haben wir gelernt, dass sogar hochkomplexe Zusammenhänge ihren Ursprung in einfachen Regeln und simplen Programmen haben können. Das hat mich zu der Überzeugung geführt, dass Wolfram Alpha gebaut werden kann."
Als eines der wichtigsten Merkmale von Alpha bezeichnet Wolfram, dass das System Kommandos in natürlicher Sprache entgegennehmen und diese in deren exakte symbolische Entsprechung von Rechenvorgängen überführen könne. Aus einfachen Sätzen werden Formeln. Problematisch dabei sei aber, dass die in NKS dargelegten Prinzipien so neu seien, dass es dafür in der natürlichen menschlichen Sprache noch keine eingeführten Begriffe gebe, die so klar und eindeutig seien, dass sie einfach in Code übersetzt werden könnten.
Neue Modelle aus alten generieren
Das wiederum führe zuallererst dazu, dass die wenigen übersetzbaren Begriffe, die zumeist aus der traditionellen Wissenschaft stammten, als Erstes identifiziert und in Alpha nutzbar gemacht werden könnten. Viel von dem, was heute in Alpha stecke, stamme daher aus der "alten Wissenschaft" und demonstriere somit das Niveau der Leistungsfähigkeit, das man mit dieser erreichen könne.
Wenn aber erst mehr NKS-Algorithmen in Alpha stecken, so Wolfram, dann würde es auch möglich werden, damit neue wissenschaftliche Modelle ad hoc zu generieren und auf deren Grundlage Berechnungen zu tätigen. "Science on the fly" nennt Wolfram das - und fragt sich, ob die derzeit verfügbaren Computer leistungsfähig genug dafür sind, das "automatische Entdecken" neuer mathematischer Modelle zu ermöglichen. Stephen Wolfram wird im August 50 Jahre alt. Er hat noch viel vor.