© Fotolia/Olivier Tuffé, Wahlurne

E-Voting: Blackbox statt Wahlkabine

DEMOKRATIE
17.05.2009

Am Montag startet die Internet-Wahl zur Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH). Im Mittelpunkt der Diskussionen über den Testlauf des E-Voting-Systems standen immer wieder die technischen Details. Vor allem sei es mit der elektronischen Stimmabgabe den meisten Bürgern nicht mehr möglich, Wahlergebnisse nachzuvollziehen, meinen Kritiker.

Sonntagabend in "matrix"

Den Radiobeitrag zu diesem Thema hören Sie am Sonntag um 22.30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix".

Die Probleme mit E-Voting beginnen schon beim Begriff selbst. Mit E-Voting ist nicht nur die Wahl via Internet gemeint, sondern auch eine Vielzahl elektronischer Wahltechnologien wie Wahlcomputer, Wahlstifte und Stimmszettelscanner. Verwiesen Kritiker immer wieder auf schlechte Erfahrungen etwa mit Wahlcomputern in anderen Ländern, so war es für die Befürworter ein Leichtes, darauf zu entgegen, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen würden. Bei der ÖH-Wahl, deren elektronische Stimmabgabe am Montag um 8.00 Uhr starten und bis Freitagabend laufen soll, kommt das umstrittene Internet-Wahlsystem zum Einsatz.

Egal ob Wahlcomputer oder Internet-Wahlsysteme im Einsatz sind, in einem wesentlichen Punkt sind sich beide gleich: Eine Software kommt zum Einsatz, und eine Blackbox wird installiert. Damit ist für Laien der Wahlakt nicht mehr nachvollziehbar. Das Wissenschaftsministerium, das für den Einsatz von E-Voting bei der ÖH-Wahl verantwortlich zeichnet, überlässt diese Debatte den Verfassungsjuristen.

Das Pentagon verzichtet

Gegen E-Voting sprechen aber auch andere Argumente. So kam das Pentagon bereits 2005 zu der Erkenntnis, dass sich private Computer und das Internet nicht zur Durchführung von elektronischen Wahlen eigneten. Damals wurde ein immerhin 22 Millionen US-Dollar schweres Projekt, das E-Voting für US-Soldaten ermöglichen sollte, wieder abgeblasen. Zum Einsatz hätte das Wahlsystem SERVE kommen sollen. Und damals gab auch die spanische Firma Scytl, die in Österreich im Rahmen einer umstrittenen Direktvergabe den Zuschlag erhielt, eine offizielle Erklärung zum Einsatz derartiger Wahlsysteme ab.

Ebenso stampften Großbritannien und Irland 2005 ihre Pläne zur Internet-Wahl wieder ein. Die Begründung dafür war in beiden Ländern dieselbe: Sicherheit und Vertraulichkeit der Abstimmung hätten nicht garantiert werden können. Darüber hinaus wären die Kosten zu hoch gewesen, und die Wahlbeteiligung hätte nicht gesteigert werden können.

Zahlenmaterial und Wahlbeteiligung

Das Wissenschaftsministerium ließ kürzlich verlauten, dass es bereits zufrieden wäre, wenn nur ein Prozent der wählenden Studenten ihre Stimme über das Internet abgeben würde. Die Erwartungen an die elektronische Teilnahme sind also eher niedrig angesetzt. In Zahlen ausgedrückt wären das 2.300 Studenten und damit ein knappes Viertel all jener, denen ein Kartenlesegerät gratis zur Verfügung gestellt wurde. Als Orientierung sollte die erste Internet-Wahl 2005 in Estland gelten. Das estnische Wahlkomitee registrierte damals, dass 1,9 Prozent der Stimmen über das E-Voting-System abgegeben wurden.

Umso höher fällt dafür die kolportierte Zahl der neu gewonnenen Bürgerkartenbesitzer aus. Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) zeigte sich kurz vor der Wahl darüber erfreut, dass mit der Gratisaktion der Anteil an Freischaltungen der Bürgerkarte um 30 bis 40 Prozent erhöht worden sei. Dass die Verbreitung der Bürgerkarte der eigentliche Grund für die Einführung von E-Voting sei, argwöhnten im Vorfeld so manche Kritiker wie etwa ARGE-Daten-Obmann Hans Zeger.

An die 30.000 Bürgerkarten, so Robert Krimmer, der das Wissenschaftsministerium bei der Abwicklung der ÖH-Wahl berät, seien im Umlauf. Im Bundeskanzleramt schätzt man auf Anfrage die Zahl auf 120.000 bis 150.000 freigeschaltete Bürgerkarten. Die Zahl 30.000 müsse sich auf die neue Generation der Bürgerkarte beziehen und nicht auf die Gesamtzahl, hieß es dort.

Gefragt oder ungefragt?

Sauer aufgestoßen ist einigen ÖH-Funktionären die Art und Weise der Umsetzung der E-Voting-Pläne, die per Verordnung des Ministers erfolgte. Wissenschaftsminister Hahn empfindet sein Vorgehen als normal und sieht darin einen Schlussakt einer bereits zehn Jahre andauernden Diskussion. Die Betroffenen sehen das anders, die ÖH-Funktionäre fühlen sich als Versuchskaninchen missbraucht. Der Wissenschaftsminister zeigte sich erstaunt und ließ ausrichten: "In 20 Jahren wird das vermutlich etwas unglaublich Normales sein."

Umsetzungsgrund Prestige

"Dabei (Online-Wahlen) geht es staatlichen Stellen nicht nur um eine kostengünstige, effiziente und effektive Implementation von Wahlen, sondern auch darum, internationalen Reputationsgewinn zu erzielen." (Norbert Kersting)

Analoge und elektronische Distanzwahl

Von Befürwortern wird die Einführung von Internet-Wahlen, wie sie jetzt bei der Wahl der Studentenvertreter an 21 Universitäten getestet wird, gerne mit der Briefwahl verglichen, deren elektronisches Abbild sie sei. Bereits 1985 aber kam der Verfassungsgerichtshof zu dem Schluss, dass die Briefwahl als Form der Distanzwahl nicht dem Prinzip der persönlichen und geheimen Wahl entspreche, schreibt Norbert Kersting in seinem Artikel "Online-Wahlen im internationalen Vergleich".

"Der Verfassungsgerichtshof argumentierte, dass der Wähler bei der Briefwahl zur Sicherung des geheimen Wahlrechtes vollkommen auf sich selbst gestellt bleibe und der Staat nichts zur Sicherung der geheimen Wahl beiträgt."

2007 beschloss der Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, Grünen und BZÖ das Wahlrechtsänderungsgesetz und damit die Briefwahl. Die Kritik der Juristen blieb dieselbe, und nicht nur für Reinhard Posch, Chief Information Officer des Bundes, gilt die Zulassung der Briefwahl als der wirkliche Sündenfall.

Die Entscheidung ist gefallen, meint hingegen Wissenschaftsminister Hahn. Für ihn spielen derartige Einwände im Zusammenhang mit E-Voting keine Rolle mehr. Gesetz ist Gesetz.

"A secure Internet voting system is theoretically possible, but it would be the first secure networked application ever created in the history of computers." (Bruce Schneier)

Spagat zwischen Anonymität und Identität

Es gebe dennoch zwei "Kritikrichtungen", so der Wissenschaftsminister, die er ernst nehme. Die erste betrifft den technischen Bereich, die Sicherheitsdiskussion, die unter Experten geführt werden müsse, und die zweite die juristische Frage, ob das geheime Wahlrecht gefährdet sei oder nicht. Letztere sei allerdings schon mit der Zulassung der Briefwahl beantwortet.

Peter Purgathofer vom Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung der TU Wien, ein profilierter E-Voting-Kritiker, verweist unterdessen auf die Intransparenz des gesamten E-Voting-Verfahrens: Der Spagat zwischen Anonymität und Identität lasse sich mit Software nicht bewerkstelligen, und damit könne E-Voting nicht funktionieren.

Internet-Wahlsysteme, so Purgathofer, funktionierten nur dann, wenn auf die Anonymität verzichtet werden kann - etwa bei Online-Petitionen und Volksbegehren. Dort könnten sie durchaus nützlich sein. Wissenschaftsminister Hahn warnt hingegen vor der Einführung einer "Volksabstimmungsdemokratie".

Zukunft ungewiss

Sich zu überlegen, wo und wie Technik demokratische Prozesse unterstützen kann, ist durchaus sinnvoll und technisch eine Herausforderung. Netzwerke, so der Physiker und Autor des Buches "Linked", Laszlo Barabasi, seien alles andere als demokratisch. Das belegen Algorithmen wie etwa jene für das Page-Ranking, die bei Google die Suchergebnisse ordnen: Wenige Stimmen bekommen die ganze Aufmerksamkeit.

Es gibt auch keinen triftigen Grund dafür, warum Technik immer nur im Zusammenhang mit der Stimmabgabe der Wähler diskutiert wird. Man könnte auch Überlegungen darüber anstellen, via Internet ganz andere Probleme bei Wahlen zu lösen. Purgathofer kann sich beispielsweise vorstellen, mit Internet-Technologien bekannte Missstände bei der Papierwahl auszuräumen, etwa indem man die Auszählung via Webcam ins Netz streamt.

Im Wissenschaftsministerium geht man davon aus, dass sich das gewählte System bewähren und auf jeden Fall bei der ÖH-Wahl 2011 wieder zum Einsatz kommen wird.

Kritiker haben hingegen schon im Vorfeld angekündigt, den digitalen Wahlakt anzufechten. Der Verfassungsgerichtshof gibt sich schon seit geraumer Zeit skeptisch. Und auch für Posch ist es fraglich, ob das gewählte System in ein paar Jahren noch einsatzfähig sein wird. Für die ÖH-Wahl 2009 sieht er allerdings kein größeres sicherheitstechnisches Problem.

(matrix/Mariann Unterluggauer)