Drahtloses Breitband "killt die Kultur"
Nach Einführung des terrestrischen Digitalfernsehens geht es an die Verteilung des frei gewordenen Frequenzblocks. Telekomregulator Georg Serentschy findet eine Zuteilung des Bands von 790 bis 862 MHZ an die Mobilfunker am sinnvollsten. Doch dort senden seit eh und je die Funkmikrofone von der Bregenzer Seebühne bis zu den Festspielen in Mörbisch. Tontechniker und Produzenten zeigen sich entsetzt.
In der vergangenen Woche wurde nicht nur die Novelle zum Telekommunikationsgesetz ausverhandelt, die Österreich endlich richtiges Breitband bescheren soll: ein Glasfasernetz.
Ebenfalls in der letzten Woche ging die Einreichfrist für Stellungnahmen zur Neuverteilung des ehemals analogen TV-Frequenzbands zu Ende. Seitdem laufen die Verhandlungen, wie diese "digitale Dividende" zu verteilen sei.
Dicht gepackte Kanäle
Durch den Umstieg auf DVB-T, also das digitale terrestrische Fernsehen, konnten die TV-Kanäle wesentlich dichter in denselben Frequenzbereich gepackt werden als vordem auf analoge Weise. Dadurch wurde, wie beabsichtigt, ein Teil des Spektrums frei - und um den wird jetzt gerangelt.
"Man wird einen Kompromiss finden müssen" sagte Serentschy, Geschäftsführer der Regulationsbehörde (RTR) für Telekomangelegenheiten zu ORF.at. Nämlich einen Kompromiss zwischen den Bedürfnissen der Mobilfunker und jenen der digital-terrestrischen Rundfunkveranstalter. Diese sind die wichtigsten Interessensgruppen in diesem Frequenzbereich.
Novelle zum Telekomgesetz
Die Regierung stellt Weichen in Richtung Breitbandausbau und Bürokratieabbau unter Netzbetreibern. Gerade rechtzeitig, um bei der EU ein Förderansuchen einzureichen (Fristende 15. Juni). Eine Novelle zum Telekommunikationsgesetz ist bereits ausverhandelt. Sie besagt, dass Netzbetreiber ihre Glasfaserrohre zukünftig auch Mitbewerbern gegen Entgelt zur Verfügung stellen müssen.
Wenige Chancen für HDTV
Dabei geht es um den oberen Bereich des UHF-Fernsehbands von 790 bis 862 MHZ, der bisher mit analogen TV-Kanälen bespielt wurde. Hier könnte man natürlich auch einige HDTV-Kanäle übertragen, doch Serentschy hält das "nicht für eine effiziente Frequenznutzung" angesichts der "enorm hohen Penetration von Sat-TV und Kabelnetzen" in Österreich.
Das alles spreche dafür, diesen Bereich den Mobilfunkern zur Verfügung zu stellen, schließlich habe die "World Radio Conference" das strittige Band ab 2015 den Broadcastern zwar primär, den Mobilfunkern aber "koprimär" zugewiesen. Es liegt also im Ermessen jedes Staates, wie viel die Mobilfunker dann in der Praxis bekommen.
Die Begehrlichkeiten der Mobilfunker
Hinter diesen Frequenzen sind die Mobilfunker her, denn die Bedingungen für sie sind aus technischer Sicht ideal. Zum einen sind sie ganz nahe am 900-MHz-Band von GSM, das heißt, man kann die bestehenden GSM-Masten nutzen, um dort UMTS bzw. den Nachfolgedatendienst LTE zu senden.
Zum anderen trägt diese Frequenz deutlich weiter als die GSM-Kanäle auf 1.800 MHz oder UMTS (2.100 MHz). Außerdem ist die "Gebäudepenetration" besser, zumal die Radiowellen deutlich weniger stark von Gebäudefronten aus Stahlbeton und metallbedampften Fenstern reflektiert werden.
Die Kulturveranstalter
Das Problem dabei ist nur, dass da noch weitere "Stakeholder" existieren, die genau diesen oberen Bereich des analogen TV-Frequenzbands seit Jahrzehnten nutzen und auf ihn angewiesen sind.
Der österreichische Frequenznutzungsplan - und nicht nur der - weist Funkmikrofone in genau jenem Bereich, der bisher vom Analog-TV belegt war, als Sekundärnutzer aus. Und das sind Kulturveranstalter von der Seebühne Bregenz bis zum Novarock-Festival, Radio und TV-Studios, Filmsets und Konzertsäle.
Bei Liveübertragungen von Skirennen und Open-Air-Konzerten sowie Aufführungen von Musicals kommen schon einmal fünf bis sechs Dutzend Funkmikros zeitgleich zum Einsatz. Die wurden ehedem zwischen die analogen TV-Kanäle verteilt, je nachdem, welche Frequenzen regional gerade frei waren.
Dicht gepackte Bänder
Der untere Teil des ehemaligen Spektrums ist mittlerweile von dicht gepackten digitalen TV-Kanälen besetzt, dort ist die Sekundärnutzung durch Funkmikros praktisch nicht mehr möglich. Nach Einführung von DVB-T wich man in die oberen Frequenzbänder aus.
Wenn davon 75 MHZ an die Mobilfunker abgegeben werden, bleibt für die Kulturveranstalter einfach nichts mehr übrig.
Geplante Absiedlung
Telekomregulator Serentschy ist sich dessen durchaus bewusst, sieht aber eine Lösung für das Problem: "Outdoor-Veranstalter und Studiotechnik müssen in einen anderen Teil des Spektrums abgesiedelt werden. Technisch ist das lösbar."
ORF.at fragte bei mehreren betroffenen Unternehmen nach. Die Aussagen Serentschys lösten bei ihnen entschiedenen Widerspruch aus.
Frequenzbedarf bei Liveauftritten
"In den letzten 40 Jahren konnte sich die Unterhaltungsbranche auf ein Service praktisch immer verlassen, nämlich die störungsfreie, drahtlose Audioübertragungstechnik mit bester Broadcastqualität", schreibt Alexander Kränkl von Grothusen AV.
"Bei den Bregenzer Festspielen beispielsweise werden gleichzeitig um die 60 Funkmikrofone in die Tonanlage eingespeist, dazu kommen Monitoringstrecken der Regie, für die ebenfalls Frequenzen benötigt werden", so Kränkl.
"Novelle killt Kultur"
Die Qualität aber müsse so hoch sein, so dass ein Kritiker noch aus 150 Metern Abstand die Koloratur der Hauptdarstellerin beurteilen könne, während daneben eine High-End-DVD produziert werde, so Kränkl. Dass die Mobilfunker die Audiospezialisten aus ihrem angestammten Spektrum einfach vertreiben würden, sei nicht hinnehmbar.
Noch deutlicher formuliert es Brigitta Eichinger von Eichinger - Professional Sound Systems: "Diese Novelle hat gravierende Auswirkungen, weil heutzutage jeder kleine Filmdreher, Veranstalter und Vortragende mit Funkmikrofonen arbeitet. Diese Novelle killt die Kultur." Ganz ähnlich äußerten sich mehrere andere von ORF.at befragte Tontechniker und Audioexperten.
Hohe Kosten zu erwarten
Die deutsche Bundesregierung beschloss Anfang März eine "Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung", die das Spektrum zwischen 790 und 862 MHz den Breitbanddiensten widmet. Eine Zuweisung neuer Frequenzen für die Kulturveranstalter fand bisher nicht statt.
Serentschy konnte ebenfalls noch keine Auskunft darüber geben, wo dieser neue Frequenzbereich für die Kulturveranstalter in Österreich angesiedelt sein könnte.
Fest steht, dass ein Frequenzwechsel - wohin auch immer - Geld kosten wird, und das nicht zu wenig. Die gesamte Funkausrüstung von Kulturveranstaltern, Ton- und TV-Studios muss nämlich ausgetauscht werden. Produzenten wie Sennheiser und die österreichische AKG müssen neue Geräte entwickeln.
Da in jedem Frequenzbereich andere Ausbreitungsbedingungen, Störquellen, Bandbreiteneinteilungen bzw. verschiedene maximale Sendestärken erlaubt sind, ist mit beträchtlichen Entwicklungszeiten zu rechnen. Das wird sich auf die Produktpreise niederschlagen.
In Deutschland geht die Interessensgemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen von Kosten zwischen 2,5 und 3,3 Milliarden alleine für Theater im kommunalen Besitz aus.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Jahrgang '06 Journalismus und Unternehmenskommunikation an der FH Joanneum.
(futurezone / Erich Moechel)