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ICANNs schwerer Weg in die Unabhängigkeit

NETZPOLITIK
04.06.2009

Die Internet-Adressverwaltung ICANN möchte aus dem Aufsichtsvertrag mit dem US-Handelsministerium entlassen werden. Dazu betont ihr Geschäftsführer Paul Twomey anlässlich einer Anhörung, dass sich nach Ablauf des entsprechenden Vertrags nur wenig ändern werde. Vertreter der Registrare und Provider fordern mehr Kontrolle. Sie kritisieren den Prozess zur Einführung neuer gTLDs als intransparent.

Die Internet-Adressverwaltung (ICANN), die dafür zuständig ist, dass die schwer zu merkenden Ziffernkolonnen der IP-Adressen mit Domains wie whitehouse.gov oder google.com verknüpft werden können, steht vor einem historischen Umbruch. Am 30. September nämlich läuft nach elf Jahren das Memorandum of Understanding (MOU) aus, mit dem die ICANN als gemeinnützige Organisation mit der Verwaltung der Internet-Adressen betraut und unter die Aufsicht des US-Handelsministeriums gestellt wurde.

Am 4. Juni fand in Washington eine Anhörung zu diesem Thema vor dem Unterausschuss für Kommunikation, Technologie und Internet statt. Geladen waren neben ICANN-Geschäftsführer Paul Twomey und Fiona M. Alexander von der Kommunikationsabteilung des US-Handelsministeriums auch Kenneth J. Silva, CTO von VeriSign, Christine N. Jones, Anwältin des Registrars GoDaddy, Sarah Deutsch, Anwältin des Mobilfunkers Verizon und Thomas N. Leonard vom Think Tank Technology Policy Institute.

Kritik an gTLD-Einführung

Fiona Alexander skizzierte in ihrer Rede den Prozess der Gründung und Entwicklung der ICANN. Sie wies darauf hin, dass ihr Haus bis zum 8. Juni 2009 noch Stellungnahmen seitens der DNS-Nutzerschaft zum weiteren Vorgehen akzeptiere. Am wichtigsten sei dem Ministerium die weitere Sicherheit und Stabilität des Netzes. Alexander wies darauf hin, dass auch nach einem Ende der Oberaufsicht des Ministeriums über die ICANN ihr Haus noch einen Sitz im Gremium der Regierungsvertreter innehabe und somit die Beziehung weiterhin bestehen werde.

Zudem sei die ICANN noch über den - nicht auslaufenden - Vertrag über die Internet Assigned Names Authority (IANA) an das Handelsministerium gebunden. Aus Alexanders Kommentaren zur bevorstehenden Einführung neuer generischer Top-Level-Domains (gTLDs) lässt sich herauslesen, dass die Vorgehensweise der ICANN dem Ministerium zu hastig war. Tatsächlich musste die gTLD-Einführung vor allem wegen rechtlicher Probleme hinausgezögert werden. Weiterhin begrüßte Alexander die Entscheidung der ICANN, gemeinsam mit VeriSign so schnell wie möglich DNSSEC einzuführen und die Root Zone Server zu signieren.

Alles beim Alten

ICANN-Geschäftsführer Paul Twomey betonte in seiner Stellungnahme, dass seine Organisation als gemeinnützige Körperschaft nach kalifornischem Recht bereits formal unabhängig sei. Der bisherige Erfolg - die Stabilität des DNS - gebe ICANN recht. Twomey: "In einfachen Worten: Es funktioniert." Das Handelsministerium habe auch nie eine Aufsichtsfunktion ausgeübt, so der ICANN-CEO, man reguliere sich erfolgreich selbst und sei auch dabei, ein neues unabhängiges Aufsichtsgremium zu berufen: "Wir wollen nicht weniger Verantwortlichkeit zeigen. Wir bemühen uns aktiv darum, hierfür mehr zu tun."

Twomey bekannte sich auch zum Standort USA: "Unser Hauptquartier wird immer in den Vereinigten Staaten liegen." Auch der Gerichtsstand der ICANN werde sich damit weiterhin in den USA befinden. Die Kontrollmechanismen folgen dem kalifornischen Recht. Die Rolle der Regierungen sei bereits ausreichend in der Struktur der Organisation festgeschrieben: im Governmental Advisory Board (GAC). Auch Twomey verwies auf den IANA-Vertrag, der der ICANN die Verantwortung über die DNS-Root und die IP-Ressourcen gibt und nicht auslaufen werde. Auch hier bleibe die Oberaufsicht weiterhin beim US-Kongress.

Was die neuen gTLDs betreffe, so werde man beim ICANN-Meeting, das vom 21. bis zum 26. Juni in Sydney stattfinden wird, einen soeben veröffentlichten Bericht zum Thema diskutieren. Twomey sagte, dass die Erweiterung des Adressraums zu den Gründungsaufgaben der ICANN gehöre.

Die Geschäfte

Kenneth Silva von VeriSign nutzte die Gelegenheit, auf die bisherige hundertprozentige Verlässlichkeit der beiden von seiner Firma verwalteten Root-Server im Lauf der vergangenen zehn Jahre hinzuweisen. Silva betonte, dass es wichtig sei, das Internet vor Kräften und politischem Druck zu schützen, die im Namen der Stabilität seine Innovationskraft lähmen wollten. Aus der Sicht von VeriSign sollte sich an der derzeitigen Situation so wenig wie möglich ändern.

Silva nannte auch Zahlen. Vor zwei Jahren hätten die VeriSign-Server, die für Anfragen bei .com- und -.net-Domains zuständig seien, bereits 30 Milliarden Abfragen täglich bewältigt. Heute seien es bereits über 50 Milliarden. VeriSign wolle im Lauf der nächsten Jahre die Kapazitäten für diese Anfragen mehr als verhundertfachen. Der VeriSign-CTO ging nicht auf die Probleme mit den neuen gTLDs ein, er plädierte aber für die Einführung von DNSSEC und IPv6.

Scharfe Kritik seitens des Registrars

Christine Jones, Vertreterin des nach eigenen Angaben weltgrößten Registrars GoDaddy, übte äußerst scharfe Kritik an der ICANN: "Von Grund auf gemeinsame Koordination und Repräsentation sollten die Leitprinzipien in den Entscheidungsfindungsprozessen der ICANN sein. Wir haben die ICANN wiederholt dazu aufgefordert, diese Prinzipien aufrechtzuerhalten, aber sie hat es vorgezogen, stattdessen ihre Geschäfte hinter verschlossenen Türen und ohne Rückmeldung aus der Gemeinschaft abzuwickeln." Jones legte nach: "Die ICANN hat sich leider noch nicht dazu bereit oder in der Lage gezeigt, Offenheit, Transparenz und Verantwortungsbewusstsein an den Tag zu legen."

Jones plädierte unter anderem dafür, die internen Überprüfungsmechanismen der ICANN einem externen unabhängigen Kontrollprozess zu unterziehen. Die bisherigen Kontrollmechanismen liefen darauf hinaus, dass die ICANN sich selbst überprüfe. Das Abkommen Joint Project Agreement (JPA) mit dem Handelsministerium müsse so umgeschrieben werden, so dass unabhängige Kontrolle und Transparenz garantiert seien. Der Prozess zur Einführung der gTLDs sei ein Musterbeispiel für die Entscheidungsfindung hinter verschlossenen Türen. Das zeige, dass die ICANN noch nicht ohne Regierungsaufsicht funktionieren könne.

EU will mitreden

EU-Medienkommissarin Viviane Reding, die wegen des Europawahlkampfs mittlerweile aus der Kommission ausgeschieden ist, hatte Anfang Mai US-Präsident Barack Obama dazu aufgefordert, die ICANN unter ein "G-12-Kontrollgremium" zu stellen. Die US-Business-Gemeinde fürchtet sich dagegen vor mehr Einflussnahme durch die Politik.

Problem gTLDs

Sarah Deutsch, Vertreterin des US-Kommunikationskonzerns Verizon, kritisierte das Vorgehen der ICANN bei der Einführung der neuen gTLDs scharf. In der ersten Runde seien 500 Anträge für neue gTLDs angenommen worden, in weiteren Runden sollen potenziell unendlich viele mehr dazukommen. Die erste Runde werde über 90 Millionen US-Dollar in die Kassen der ICANN spülen, die jährlich zu erneuernden Kosten von 75.000 US-Dollar pro gTLD plus eine Gebühr von 25 US-Cent pro registrierter Domain würden über das in den Regeln der gemeinnützigen ICANN festgeschriebene Kostendeckungsprinzip weit hinausgehen. Deutsch sprach auch die Bedenken der Inhaber von Markenrechten an.

Während Deutsch gar nicht auf die Verfasstheit der ICANN einging, schlug der Berater Thomas Lenard vor, die Organisation dadurch zu mehr Offenheit und Verantwortlichkeit zu zwingen, indem man sie von der Gemeinde der Registrare verwalten lasse. Bisher sei die ICANN niemandem verantwortlich. Da die Probleme bei der Einführung der gTLDs nicht bis September gelöst werden könnten, so Lenard, sei es sinnvoll, den Vertrag mit dem Handelsministerium abermals zu verlängern und weiter auf Reformen bei der ICANN hinzuarbeiten.

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(futurezone/Günter Hack)