© Bild: Minus, Richie Hawtin im Club

Gezwitscherte Playlists aus den Clubs

MUSIK
16.06.2009

Dass Technikinnovationen nicht vor der DJ-Kultur haltmachen müssen, die sich jahrzehntelang um eine runde Scheibe aus Vinyl gedreht hat, beweist die neue Entwicklung Twitter DJ. Damit ist es möglich, dass Musikfans die Titel der soeben gespielten Songs direkt im Club auf ihrem Handy abrufen können. Warum das allerdings nicht, wie erhofft, die Tantiemenverteilung revolutionieren wird, erklärt der Berliner DJ Tanith.

Seit knapp einem Monat ist der in Kanada aufgewachsene Techno-DJ Richie Hawtin mit der neuen Anwendung Twitter DJ in den Clubs rund um die Welt unterwegs. Bei seinen Auftritten werden die Tracks, die er gerade spielt, in Echtzeit aufgezeichnet und auf einem eigens dafür eingerichteten Twitter-Account publiziert.

Die musikinteressierten Clubbesucher können mit ihrem Handy die Playlists noch während seines Auftritts abrufen oder später einen favorisierten Track mit der aufgezeichneten Uhrzeit richtig zuordnen. Entwickelt wurde diese Anwendung von Bryan McDade für das Berliner Musiklabel Minus.

"Twitter kennt man bereits"

"Bisher haben wir eine sehr gute Resonanz", so McDade gegenüber ORF.at. "Die Leute wollen die Tracks nach den Auftritten wiederfinden. Und obwohl sie Twitter nicht in ihrem täglichen Leben verwenden, finden sie die Playlists dort relativ rasch."

Den Microbloggingdienst Twitter habe man gerade deswegen für das Projekt ausgesucht, weil ihn die Menschen bereits kennen, erklärte McDade. Vor allem in Kanada und USA sei der Dienst sehr beliebt, doch auch in Europa nehme die Zahl der Nutzer weiter zu, so McDade.

Streaming im 30-Sekunden-Takt

Technisch funktioniert die Anwendung folgendermaßen: Sie empfängt die Daten der einzelnen Musikstücke von der Internet-Broadcasting-Funktion der Traktor-Pro-Software und lädt sie in regelmäßigen Abständen - bestenfalls im 30-Sekunden-Takt - in den Twitter-Kanal von Hawtin hoch. Bei Traktor Pro handelt es sich um eine DJ-Software des Berliner Unternehmens Native Instruments, welches auf Software für elektronische Musik spezialisiert ist. Die erste Version von Traktor erschien bereits 2001.

Kooperation mit Software-Konzern

Native Instruments erweiterten für McDades Anwendung die Internet-Broadcasting-Funktion ihrer Software. McDade versuchte dann im Anschluss, die Tracklists erstmals via UMTS-Modem zu streamen. Doch das erwies sich als komplizierter, als er ursprünglich angenommen hatte. "Ich habe es wochenlang getestet und bin immer wieder zu Native Instruments zurückgekommen, weil ich mehr Informationen gebraucht habe", beschreibt McDade die Entwicklungsphase.

Die technologische Zusammenarbeit hatte letztlich zu Verbesserungen der Broadcasting-Funktion von Traktor Pro geführt, die in der für Juli vorgesehenen Version 1.2. verfügbar gemacht werden soll. Zum selben Zeitpunkt kommt auch die Anwendung Twitter DJ als kostenloser Download auf den Markt.

Mehr Anerkennung für unabhängige Künstler

Doch warum wurde die Anwendung überhaupt erfunden? Reicht die Begründung, mit den Playlists Musikfans glücklich machen zu wollen? Freilich steckt da etwas mehr dahinter: Man möchte unabhängigen Plattenlabeln und Künstlern zu mehr Anerkennung verhelfen, indem ihre Tracks in den digitalen Playlists aufscheinen und abrufbar sind, heißt es seitens Minus.

Man möchte zwischen Fans, die oft auch selbst als DJs agieren, und Musikschaffenden vermitteln und somit auch die Musikverkäufe ankurbeln. Gerade DJs sind nach wie vor fleißige Käufer von Musik. "Die meisten DJs, die ich kenne, würden niemals Vinylripps spielen, weil diese qualitativ minderwertig sind. Wenn jemand selbst sein Geld mit Musik verdient, sieht er den Wert von Musik eher ein", meint dazu Thomas Andrezak aka Tanith, Berliner DJ und Musikproduzent, der selbst bei seinen Auftritten gerne mit neuen Technologien experimentiert.

Tantiemenverteilung soll revolutioniert werden

Doch das Label Minus möchte mit Twitter DJ noch ganz andere Gefilde aufbrechen: Durch das Abrufen von Trackinformationen, die in Clubs gespielt werden, sollen Verwertungsgesellschaften wie die GEMA, PRS und die AKM dazu bewegt werden, die Tantiemen für Künstler gerechter als bisher aufzuteilen.

Ein großes Vorhaben also, welches allerdings an der 140-Zeichen-Limitierung von Twitter scheitern könnte. "Die GEMA verlangt ja viel mehr an Daten als nur Track- und Künstlernamen, wie etwa eine Artikelnummer oder einen ISRC- und Labelcode. Da gibt es klare Anweisungen", erklärt Tanith.

Fehlende Metadaten und Pauschale

"Außerdem: Warum sollte die GEMA auf Twitter schauen? Damit so etwas GEMA-relevant werden würde, müsste Native Instruments bei Traktor Pro eine Funktion in der History einbauen. Doch selbst dann wären noch die Online-Vertriebe gefragt. Denn selbst bei den offiziell gekauften MP3s steht kein Label- und ISRC-Code dabei, und als DJ sucht man sich so etwas nicht extra zusammen", fährt der Berliner DJ mit seiner Kritik fort, um sogleich noch ein schlagkräftiges Argument zu liefern, warum dieser Teil des Plans mehr nach einer PR-Strategie klingt als nach einer tatsächlich realisierbaren Lösung.

"Die meisten Veranstalter bezahlen in den Clubs eine Pauschale", so Tanith. Das bedeutet, dass die Tracks gar nicht einzeln abgerechnet werden. Tanith hat auch hier einen Vorschlag abseits von Twitter DJ zur Hand: "Wenn ein Club etwa nur elektronische Musik spielt, müsste es eigentlich einen Fonds geben für Künstler, die diese produzieren."

"Wir wollen Möglichkeiten aufzeigen"

Der Entwickler von Twitter DJ bezog zu den Vorwürfen Stellung: Es stimme, dass man mit Twitter das derzeit nicht erfüllen könne. "Allerdings muss man auch einmal an die Zukunft denken. Vielleicht ebnet die Erfindung in ein, zwei Jahren den Weg dafür. Wir sind gerade erst am Anfang, und wir wollen damit zumindest die Möglichkeiten aufzeigen, die es in er Zukunft geben könnte - wenn genug Leute dahinter stehen, die etwas verändern wollen", so McDade.

McDade arbeitet derzeit gerade daran, dass die Playlists nicht nur live gestreamed, sondern auch intern aufgezeichnet werden, um sie im Falle einer fehlenden oder instabilen Internet- oder UMTS-Verbindung auch nachträglich online stellen zu können. Diese Funktion wird bei der Veröffentlichung im Juli schon implementiert sein. Auch Vorschläge von Fans nahm er sich zu Herzen: Man werde demnächst zu Beginn eines DJ-Sets den Ort des Geschehens einblenden.

"Ist nur etwas für Fans"

Tanith, der selbst mit Traktor Pro auflegt und Twitter seit etwa einem Jahr aktiv nutzt, wird die Anwendung aus dem Hause Minus trotz aller Kritik bei Gelegenheit testen. "Klar bringt das etwas. Da entfallen Fragen wie 'Wie heißt der dritte Track aus dem Mix, als du damals in Frankfurt gespielt hast?' Das ist allerdings nur etwas für Fans." Seinen bisherigen Twitter-Account möchte er damit allerdings nicht belasten. "Da lege ich einen eigenen Account dafür an. Auf meinem normalen Account schreibe ich, was mich bewegt. So eine unkommentierte Tracklist würde mir nur meine Timeline kaputt machen."

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(futurezone/Barbara Wimmer)