Telekompaket: Sarkozy brüskiert die EU
Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy will mit aller Macht seine Netzsperrenpläne durchsetzen. Deshalb blockiert er im Ministerrat die Umsetzung des Telekompakets und verzögert damit die Neuordnung des Telekommunikationsmarkts und die Einführung neuer Technologien in der ganzen EU.
Am Donnerstag hat der Rat der EU-Verkehrsminister wie üblich zu verschiedenen aktuellen Themen der Verkehrs- und Telekommunikationspolitik getagt. Es war ein informelles Treffen und fand daher hinter verschlossenen Türen statt. Noch informeller, weil in der offiziellen Agenda nicht einmal aufgeführt, gestaltete sich der 5.00-Uhr-Tee am Donnerstagnachmittag.
Zu dieser Gelegenheit erörterten die Minister die missliche Situation, in die das Telekompaket und damit der gesamte Regulierungsrahmen der Netze in der Europäischen Union geriet. Das Vorhaben wird nämlich von der französischen Regierung blockiert. Schuld daran sind Urheberrechtsstreitigkeiten, die eigentlich mit dem ursprünglichen Vorhaben der Neuordnung des EU-Telekommarkts überhaupt nichts zu tun haben.
Wirbel in Frankreich
Der französischen Regierung Sarkozy waren in den letzten Tagen zunehmend die Felle davongeschwommen. Am Mittwoch hatte das französische Verfassungsgericht den zentralen Teil des in Verabschiedung befindlichen Gesetzes über Internet-Sperren (Loi HADOPI) als verfassungswidrig befunden.
Kernaussage: Die vorgesehenen Netzsperren widersprechen der Kommunikationsfreiheit und damit der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte.
Über einen solch schweren Eingriff dürfe nur ein Richter entscheiden und nicht eine von der Pariser Regierung geplante Kontrollbehörde, ein Tribunal, das Benutzer abmahnt, ohne sie von der Art des angeblichen Verstoßes gegen Urheberrechte überhaupt zu unterrichten.
Abmahnungen sollen beginnen
Am Donnerstagabend beschlossen die beteiligten französischen Ministerien, das Netzsperrengesetz Loi HADOPI im Laufe der kommenden Tage ohne die von den obersten Verfassungsrichtern Frankreichs beanstandeten Passagen zu verabschieden. Damit kann schon einmal die Behörde HADOPI mit den Abmahnungen beginnen, die der Provider an die Nutzer weiterleiten soll.
Das Gesetz soll dann um neue Passagen ergänzt werden, in denen die Sanktionen gegen Übermittler urheberrechtlich geschützter Dateien festgelegt werden. Dahinter stehe laut AFP die Absicht von Staatspräsident Sarkozy, das Gesetz zu verabschieden, und zwar "koste es, was es wolle".
EU-Parlament, Ministerrat
Genau das aber ist der Streitpunkt zwischen EU-Parlament und Ministerrat. Während das Parlament mit wachsenden Mehrheiten wiederholt für einen Richtervorbehalt gestimmt hatte, beharrte der Ministerrat darauf, dass ein nicht näher definiertes "Tribunal" genüge, um Internet-Sperren auszusprechen.
Da Entschlüsse im Ministerrat aber einstimmig sein müssen, hat jedes Land ein Quasivetorecht, das freilich selten genug ausgeübt wird. Angesichts der Entscheidung des französischen Verfassungsgerichts, das im Wesentlichen genau dasselbe gesagt hatte wie das EU-Parlament, hätte man annehmen können, dass die französische Regierung und Sarkozy dem nun auch Rechnung tragen.
Das sagt das BMVIT
Aus dem Büro der österreichischen Verkehrsministerin Doris Bures war jedoch Gegenteiliges zu erfahren.
Da es ein informelles Treffen gewesen sei, gebe es keine offizielle Reaktion des Ministerrats. Herausgekommen sei bei dem Treffen aber, dass das gesamte Telekompaket in den Vermittlungsausschuss zwischen Parlament und Rat gehen müsse, hieß es aus dem BMVIT am Freitag zu ORF.at. Der Rat habe die Kommission - die vermittelt nämlich - um ein Papier gebeten, das die "Grundrechte im Internet" definiert.
Blockade aufrecht
Übersetzt heißt das: Sarkozy blockiert auch weiterhin eine der umfangreichsten und wichtigsten Richtliniennovellen in der jüngeren EU-Gesichte zum Thema Telekommunikation, um seine Pläne für Internet-Sperren bei mutmaßlichen Urheberrechtsverletzungen durchzudrücken.
Das Telekompaket soll eine neue Gesetzesgrundlage für den Telekomsektor schaffen. Es besteht aus mehreren Richtlinien. Darunter sind auch Bestimmungen zur neuen EU-Regulierungsbehördenkonferenz (BEREC) und Vorgaben über die Verteilung freiwerdender Frequenzen, die "Digitale Dividende".
Telekoms "not amused"
Daraus wird vorerst einmal nichts. Denn während in den anderen Punkten längst Einung erzielt werden konnte, drehte sich die Diskussion zuletzt einzig und allein um die Frage: Unter welchen Umständen kann einem Benutzer der Internetzugang gesperrt werden?
Auf Zuruf Dritter Abmahnschreiben an ihre Kunden verschicken zu müssen bzw. den Internet-Zugang zu deaktivieren, missfiel den Netzbetreibern generell. Schließlich besteht deren Geschäft darin, den Zugang zum Netz zu ermöglichen, nicht ihn abzuschalten.
Unsicherheit bei UMTS
Ganz besonderes missfällt die Blockade und die damit verbundene Rechtssicherheit jedoch den Mobilfunkern. Das Telekompaket enthält nämlich auch einen Passus, der die Widmung des Bandes GSM-900, die bisher ausschließlich GSM-Telefonie zuließ, dahingehend abzuändern, dass dort auch UMTS-Breitband gesendet werden darf.
Die Standards sind fertig, das Equipment wird auf die neue Frequenz modifiziert, allein, die zugehörige Richtlinie ist nicht in Kraft.
Das weitere Procedere
Auf die Frage von ORF.at, wie denn der weitere Zeitplan sei, hieß es aus dem BMVIT: Man rechne damit, dass die kommende EU-Ratspräsidentschaft Schwedens für eine schnelle Einigung sorgen werde.
Dazu hat die Ratspräsidentschaft maximal vier Monate Zeit, gerechnet ab dem Parlamentsbeschluss, der Anfang Mai gefallen war. Es kann also September werden, bis das Telekompaket endgültig verabschiedet wird - sechs Monate, nachdem über alle anderen Punkte Einigung erzielt worden war.
(futurezone/Erich Moechel)