© Reuters, Spieler vor Computerbildschirm

Computerspielsucht als Krankheit

STUDIE
16.06.2009

Psychologen der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien haben eine neue Studie zum Thema Computerspielsucht vorgestellt. Die Autoren der Studie schlagen vor, Computerspielsucht als Krankheit zu betrachten und die Therapie dagegen von den Krankenkassen bezahlen zu lassen.

In Kooperation mit der Ambulanz für Spielsucht Mainz führte die Uni ein Forschungsprojekt zum Computerspielverhalten bei Wiens Jugendlichen durch. Demnach gaben 72 Prozent der Befragten an, sich regelmäßig mit Computerspielen zu beschäftigen, das heißt, entweder täglich oder zwei- bis dreimal in der Woche zu spielen.

Insgesamt wurden 1.061 Fragebögen von Schülern aus Gymnasien, Realgymnasien und kooperativen Mittelschulen in Wien ausgefüllt. Die Schüler besuchten die dritte, vierte oder fünfte Schulstufe und waren im Durchschnitt 14 Jahre alt. Der Frauenanteil der Befragten lag bei 45 Prozent.

Krankhaftes Spielverhalten: Zwölf Prozent

131 Schüler (zwölf Prozent) wiesen laut Studie ein pathologisches, also krankhaftes, Spielverhalten auf, so Studienleiter Dominik Batthyany bei der Präsentation am Dienstag in Wien. Die Schüler mussten für diese Einstufung mindestens drei der üblichen Kriterien erfüllen, wie sie auch bei der Messung von Suchterkrankungen angewendet werden.

Im Bereich der pathologischen Spieler wurde wiederum zwischen Missbrauch und Abhängigkeit unterschieden. Schließlich lasse sich bei 2,7 Prozent der Schüler eine Abhängigkeit feststellen, wobei wiederum 90 Prozent davon männliche Jungendliche seien. Während der Anteil der Mädchen im Bereich des Missbrauchs noch bei 31 Prozent liege, seien es bei der Abhängigkeit nur noch zehn Prozent.

4,5 Stunden täglich sind "krankhaft"

Die täglichen Spielstunden lagen bei etwas mehr als zwei Stunden täglich bei den nicht krankhaften Spielern. Gefährdete Personen würden sich im Durchschnitt über 4,5 Stunden täglich am Computer spielend aufhalten. Besonders hoch sei die Spieldauer bei abhängigen Spielern, diese würden an Schultagen etwa sechs Stunden täglich spielen, am Wochenenden steige die Zahl auf durchschnittlich acht Stunden pro Tag.

Die negativen Folgen seien kognitive Schwächen. Pathologische Spieler hätten demnach häufiger angegeben, Konzentrationsschwierigkeiten in der Schule zu haben. Bei Spielabhängigen lag der Wert bei 41 Prozent, bei jenen, die Missbrauch betreiben, bei 32 Prozent, während nur 18 Prozent der Schüler mit regelmäßigem Konsum bzw. 15 Prozent mit unregelmäßigem Konsum darunter leiden würden.

Bei krankhaften Spielern sei auch eine erhöhte Schulangst zu finden. Bei Abhängigen waren es 28 Prozent, bei jenen mit Spielemissbrauch waren es zwölf Prozent der Schüler, die meinten, unter Schulangst zu leiden. Bei Schülern mit regelmäßigem bzw. unregelmäßigem Konsum lag der Wert lediglich bei vier Prozent.

Einflussfaktoren zu Hause

Signifikant sei bei krankhaften Computerspielern, dass sie im Durchschnitt ein Jahr früher mit dem Konsum von Videospielen begonnen haben, so Batthyany. Zudem würden sie häufiger aus einer "Broken Home"-Situation kommen, wie sie etwa durch das dauerhafte Fehlen eines Elternteiles gekennzeichnet sei. "Möglicherweise ist hier die elterliche Kontrolle nicht so da", meint Batthyany.

Auffällig sei auch, dass pathologische Computerspieler auch zumeist aus Familien mit signifikant höherem Spielverhalten kämen. "Eltern und Geschwister, die Computer spielen, können als Rollenvorbilder auf das Kind Einfluss nehmen", so Batthyany.

Charakteristika für Sucht

Krankhafte Spieler würden, so Batthyany, schlechter mit erlebten Stresssituationen umgehen können und ein geringeres Maß an funktionalen Bewältigungsstrategien aufweisen. "Charakteristisch für jede Suchtform ist, dass, wenn man sich in einer negativen Situation befindet, sich in die Sucht flüchtet, weil diese entlastet", so Batthyany. Knapp 36 Prozent gaben an, sich als Reaktion auf Ärger oder Traurigkeit "immer" Computerspielen zuzuwenden. 23 Prozent würden das "meistens" machen.

Charakteristisch für krankhaften Spielkonsum sei auch der Zuwachs der Gereiztheit und Langeweile, nachdem das Spiel beendet wurde. "Ein Symptom, das bei der Gruppe der nicht pathologischen Spieler nicht der Fall ist", erklärt Batthyany. "Es geht darum, zunächst positive Gefühle zu haben, um die negativen zu vermeiden. Dieses Verhältnis verschiebt sich aber mit der Zeit, was zur Steigerung der Sucht führt." Typisch für die Sucht sei auch, dass man sich häufig am Tag gedanklich mit dem Computerspielen beschäftige.

Länger spielen als geplant

Als "schockierend" bezeichnet Batthyany das Ergebnis auf die Frage, ob die befragte Person schon einmal gespielt habe, obwohl sie sich vorgenommen habe, das nicht zu tun, bzw. länger gespielt habe als vorgenommen. Rund 16 Prozent der krankhaften Spieler gaben an, meistens in dieser Situation zu sein, vier Prozent gehe es immer so.

Die bevorzugten Genres der pathologischen Spieler seien besonders Ego-Shooter, danach folgen Adventures bzw. Sportspiele und Rollenspiele. Nicht regelmäßig Spielende favorisieren Geschicklichkeitsspiele gefolgt von Denk- und Sportspielen.

Problem MMORPGs

Ein besonderes Problem seien Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs) wie "World of Warcraft", die ein besonders hohes Suchtpotenzial hätten. Die entscheidenden Faktoren seien etwa das darin eingebaute Belohnungssystem, die ständige Verfügbarkeit, das pausenlose Geschehen (Spiele laufen weiter unabhängig vom Online-Sein), das Gruppengefühl (gemeinsames Lösen von Aufgaben) sowie der eventuelle Verlust von Prestige bei geringerer Spielzeit.

"Es geht uns nicht darum zu sagen, Computerspielen ist schlecht", so Batthyany. Es sollte jedoch das Suchtpotenzial von Computerspielen anerkannt werden. Eine weitere Maßnahme wäre die Übernahme der Therapiekosten durch die Krankenkassen, so Batthyany. Mit einer Therapie lasse sich feststellen, warum die Person zur Computerspielsucht neige und was die Hintergründe seien.

Suchtpotenzial bei PEGI berücksichtigen

Der Wissenschaftler empfiehlt zudem auch bei Altersbeschränkungen - etwa der PEGI-Kennzeichnung -, das Suchtpotenzial künftig zu berücksichtigen sowie eine generelle Anhebung von Altersbeschränkungen für Spiele mit hohem Suchtpotenzial.

Eltern empfiehlt Batthyany unter anderem, die "Computerspiele nicht zu verteufeln", besser sind zeitliche Regeln, wann gespielt werden darf, den Computer im familiären Raum zu positionieren und auch das Spielen nicht als Belohnung oder Bestrafung einzusetzen. Dem Spielen komme dadurch zu große Bedeutung zu.

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(futurezone/Claudia Glechner)