"Bei Netzsperren ist kein Kompromiss möglich"
Der deutsche Bundestag hat unter dem Label des Kampfs gegen Kinderpornografie ein Gesetz verabschiedet, mit dem in der Bundesrepublik erstmals eine zentrale Infrastruktur zur Blockierung von Internet-Adressen eingerichtet wird. Alvar Freude vom Arbeitskreis Zensur erläutert im Gespräch mit ORF.at, warum er das Gesetz für gefährlich hält, und kündigt an, dass die deutschen Netzbürgerrechtler dagegen vors Bundesverfassungsgericht ziehen werden.
Am Donnerstag hat der deutsche Bundestag das von Familienministein Ursula von der Leyen (CDU) initiierte Zugangserschwerungsgesetz verabschiedet. Mit diesem Gesetz will die deutsche Regierung mittels einer geheimen Sperrliste, die vom Bundeskriminalamt (BKA) verwaltet wird, den Zugang zu Kinderporno-Dateien im Internet erschweren.
Kritiker und Expertengremien wie der Wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestags halten die Einführung der Sperrliste für nutzlos, da diese technisch sehr leicht umgangen werden kann. Umso konkreter sind dagegen die Vermutungen der Bürgerrechtler und der Opposition im Bundestag, dass die Regierung unter dem Deckmantel der Kinderporno-Bekämpfung eine Zensur-Infrastruktur aufbauen möchte, die nicht nur auf Kinderpornos beschränkt sein wird. Das ist in der Debatte zum Gesetz von den Unterhändlen aus CDU und SPD stark bestritten worden. Kurz nach Verabschiedung des Gesetzes hat sich aber der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Strobl bereits mit der Forderung nach Netzsperren gegen Computerspiele mit Gewaltinhalten zu Wort gemeldet.
Zur Person:
Alvar Freude ist Kommunikationsdesigner, Programmierer und Berater. 2001 schrieb er gemeinsam mit Dragan Espenschied die Diplomarbeit "insert_coin", die sich mit dem Thema Internet-Filter und Manipulation befasste. Das Projekt wurde 2001 mit dem internationalen Medienkunstpreis des Zentrums für Kunst und Medientechnologie sowie des Südwestrundfunks ausgezeichnet. Freude engagiert sich im Arbeitskreis Zensur und ist Mitglied im Vorstand des Fördervereins Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG).
Löschen statt sperren
Statt der Sperren, so die Kritiker, die sich unter anderem im Arbeitskreis Zensur (AK Zensur) zusammengefunden haben, solle die Polizei lieber alles unternehmen, um Kinderpornos aus dem Netz zu löschen. Damit sind die Kritiker strenger als die Regierung selbst, die es im Zugangserschwerungsgesetz allein dem Ermessen des Bundeskriminalamts anheimstellt, ob es aktiv gegen Kinderporno-Inhalte vorgehen oder diese lediglich auf die Sperrliste setzen will.
Freude, der sich seit 2001 intensiv mit dem Thema Zensur im Netz beschäftigt, hat seit November 2008 Daten und Fakten zum Thema Kinderporno-Sperren zusammengetragen und sich als Mitglied des AK Zensur gegen die zentrale Sperrliste engagiert. ORF.at sprach mit ihm über das weitere Vorgehen der Netzsperrengegner.
ORF.at: Herr Freude, wie will der AK Zensur auf die Verabschiedung des Zugangserschwerungsgesetzes reagieren?
Alvar Freude: Wir werden sicher gegen das Gesetz vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Wie wir genau vorgehen werden, kann ich noch nicht sagen. Es besteht auch die Möglichkeit, eine Massenklage zu organisieren, ähnlich wie jene gegen die Vorratsdatenspeicherung.
ORF.at: Die Petition gegen das Sperrgesetz hat eine große Zahl von Bürgern für das Thema interessiert. Wie wollen Sie die Aufmerksamkeit der Leute halten?
Freude: Die Petition war - wie die Arbeit des AK Zensur - nur ein kleiner Teil der Protestbewegung gegen Zensur im Internet. Es ist eine Graswurzelbewegung, die nicht zentral koordiniert ist. Viele Bürger nutzen viele verschiedene Dienste im Internet, um sich gegen die Netzsperren zu äußern. Das ist auch notwendig. Zwei Stunden nach Verabschiedung des Gesetzes kam aus der CDU bereits die Forderung, die Netzsperren auszuweiten und gegen Gewaltspiele einzusetzen. Da bleibt noch viel für uns zu tun. Das Familienministerium ist taktisch sehr schlau vorgegangen. Es war schwer, die Leute wachzurütteln und sie dazu zu bringen, nicht ihren Emotionen zu folgen, sondern genauer hinzuschauen und festzustellen, was hinter den Forderungen steckt.
ORF.at: Sie beschäftigen sich seit 2001 intensiv mit dem Thema Internet-Filter und haben auch im Vorfeld der Bundestagsentscheidung Kontakt mit den Parteien gesucht.
Freude: Die CDU/CSU war schlicht nicht gesprächsbereit. Ich habe schon am 20. November 2008 Kontakt mit dem Familienministerium aufgenommen, von dort aber keinerlei Reaktion erhalten. Das Ministerium hat uns dann für gestern Abend zu einem Gespräch eingeladen, das nach der Verabschiedung des Gesetzes hätte stattfinden sollen, also erst dann, wenn es schon zu spät ist. Das war lächerlich. Seitens der SPD war es etwas anders, man war zu Gesprächen bereit, aber es war spürbar, dass die Partei große Angst vor der "Bild"-Zeitung hatte - der Ehemann der CDU-Verhandlungsführerin Martina Krogmann ist Alfred Draxler, stellvertretender Chefredakteur von "Bild". "Bild" hat Ende letzter Woche dann auch unschöne Sachen über SPD-Abgeordnete mit abweichender Meinung geschrieben. "Bild" erweckte den Eindruck, dass der "linksextreme Flügel" nicht gegen Kinderpornografie vorgehen wolle. Dieser Eindruck ist falsch. Alle wollen dagegen vorgehen. Wir wollen nicht auf diesem Niveau arbeiten, mit einer Eskalation des Konflikts ist niemandem geholfen. Wir arbeiten im normalen politischen Prozess, der darauf ausgerichtet ist, einen Konsens zu finden. Das aber war für uns ein Problem, denn die Gesprächspartner haben nicht verstanden, dass in der Frage der Installation einer Zensurinfrastruktur kein Kompromiss möglich ist. Dazu gibt es nur ein Ja oder ein Nein.
ORF.at: Sind die klassischen Parteien nicht dazu in der Lage, die Interessen der Internet-Nutzer zu vertreten? Braucht es dazu eine Piratenpartei?
Freude: Das wird die Zeit zeigen. Es gibt in allen Parteien in Deutschland Strömungen, die sich für unsere Arbeit interessieren. Ich persönlich finde das Programm der deutschen Piratenpartei derzeit noch zu eng, sie ist zu stark auf die Urheberrechtsproblematik konzentriert und vertritt dort eine extreme Position. Ich würde ihr raten, sich thematisch breiter aufzustellen.
(futurezone/Günter Hack)