© Günter Hack, Emporia-Seniorenhandy

"Ein Handy, das die Oma liebt"

MOBILFUNK
08.07.2009

Senioren zählen bei Handy- und Mobilfunkbetreibern nicht gerade zur Lieblingszielgruppe. Anders ist das beim Linzer Handyhersteller Emporia, der Geräte für die ältere Generation entwickelt und damit einen lukrativen Markt erschließen will. ORF.at sprach mit Emporia-Gründer Albert Fellner über die Entwicklungsmethoden und Zukunftspläne des Unternehmens.

Große Tasten, Riesenbuchstaben am Display, eine Tastensperre per Schiebeschalter, eine einfache und verständliche Menüführung, spezielle hörgerätekompatible Lautsprecher: Das sind die wesentlichen Merkmale von Emporia-Handys, die speziell für Senioren entwickelt wurden.

Das war freilich kein leichter Prozess: Mehr als ein Drittel der 65-köpfigen Belegschaft arbeitet in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Unternehmens und macht sich Gedanken darüber, welche Funktionen für die "Senioren der Zukunft" am Mobiltelefon essenziell sein könnten. Insgesamt sollen in den nächsten drei Jahren weitere 14 Millionen Euro in die Forschung investiert werden.

Der Linzer Handyhersteller reduzierte die Funktionen auf dem Handy dabei auf das Wesentliche - telefonieren und SMS verschicken - und ist mit seinem Konzept der Einfachheit frei nach dem Motto "einfach ist nicht gleich dumm" äußerst erfolgreich. Die Mobiltelefone werden mittlerweile in 22 Ländern vertrieben, der Umsatz des Unternehmens lag 2008 bei 50 Millionen Euro.

ORF.at: Herr Fellner, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Seniorenhandys zu entwickeln?

Albert Fellner: Wir haben bereits im Festnetzbereich Großtastentelefone gebaut, die sich in den verschiedensten Ländern sehr gut verkauft haben. Damit haben wir hauptsächlich ein älteres Publikum angesprochen. Dann haben wir uns gefragt, wieso es eigentlich keine Handys für ältere Leute gibt.

ORF.at: Wann haben Sie angefangen, sich darauf zu spezialisieren?

Fellner: Das war 2004. Wir haben dann die ersten Mock-ups gebaut und uns überlegt, welche Formen Sinn machen würden. Wir haben uns gefragt, was die Defizite der älteren Leute sind und warum sie kein Handy verwenden. Dann haben wir damit begonnen, die einzelnen Barrieren entsprechend aufzulösen. Unser Ziel war es, ein Handy zu bauen, das die Oma liebt.

ORF.at: Das Ziel war also, ein Handy zu entwickeln, das jede ältere Frau bedienen kann?

Fellner: Ja. Wir haben uns gesagt: Wenn wir es schaffen, dass die Oma ihr Handy liebt, wird sie genauso wie die 14-jährigen Girlies viel telefonieren. Die älteren Leute haben ja eigentlich ein ganz massives Kommunikationsbedürfnis.

ORF.at: Wo liegt bei älteren Leuten die Hemmschwelle, ein Handy zu benutzen?

Im eingeschalteten Modus blinkt die grüne Anruftaste bei einem eingehenden Anruf, um dem Nutzer auch optisch auf den Anruf aufmerksam zu machen. Auch die Signale beim Betätigen der Tasten sind ab Werk sehr laut und schwer zu überhören.

Das 2,7-Zoll-Display ist gut lesbar, erinnert aber von der Aufmachung her an die erste Generation von Handydisplays.

Fellner: Bei unseren Studien ist unter anderem herausgekommen, dass das User-Interface ein ganz wesentlicher Blocker für alte Leute ist, ein Handy zu verwenden. Wir wollten daraufhin ein eigenes User-Interface kreieren, das sehr leicht und intuitiv verständlich ist. Wir haben auf PDAs in HTML die Struktur programmiert, sind dann in Altersheime ausgeschwärmt und haben die Leute am PDA ausprobieren lassen, ob sie das Telefon bedienen könnten. Wir sind völlig verstört zurückgekommen, weil die alten Leute nichts verstanden hatten. Daraufhin haben wir uns wieder hingesetzt und weiter programmiert. Das waren unendliche Wiederholungsschleifen von Tests, da haben wir sehr viel Zeit, Geld und Aufwand investiert, bis das wirklich so weit war, dass die meisten älteren Leute das Interface verstanden haben. Wir waren auch bei Augenärzten. Dort haben wir Tests gemacht mit Leuten, die nicht gut sehen. Ab 50 kriegt ja fast jeder einen grauen Star, auch wenn er es nicht merkt.

ORF.at: Wie lange hat der Prozess insgesamt gedauert?

Fellner: Das ist ein kontinuierlicher Prozess, wir kriegen von Usern Feedback, solche Inputs werden dann eingearbeitet. Das Produkt wird nie fertig sein, sondern es wird immer wieder etwas geben, wie wir die Bedienung noch einfacher und angenehmer gestalten können. Ein Produkt wirklich einfach zu designen ist eine schwierige Aufgabe. Im Gegensatz dazu ist nicht viel dabei, ein Produkt zu generieren, bei dem ich alles integriere, angefangen vom Multimedia-Player bis zum Fotoapparat.

ORF.at: Sie setzen bei Ihren Handymodellen sehr stark darauf, dass die wichtigsten Funktionen eigene Bedienelemente am Gehäuse haben. Warum eigentlich?

Der Wecker funktioniert auch ohne eingelegte SIM-Karte und ist mit den Tasten auf der Vorderseite einstellbar, ohne dass man die Tastatur aufschieben muss.

Die wichtigsten Funktionen wie das Annehmen von Anrufen, das Zurückrufen von verpassten Anrufen und das Durchforsten des Telefonbuchs sind ohne Aufschieben der Tastatur bedienbar. Die Zahlen auf den Tasten sind gut sichtbar.

Fellner: Gewisse Funktionen waren zuerst im Menü integriert, aber wir haben dann beschlossen, extra Schiebetasten dafür zu machen. Wir haben etwa einen On/Off-Knopf für den Wecker, auch die Tastensperre ist mit On/Off per Schalter zu bedienen. Das hört sich erst einmal einfach an, hat aber Tücken in den Details. Da muss man aufpassen, dass man die Kriechströme begrenzt, weil sonst der Stromverbrauch zu hoch wird. Deswegen setzen auch die meisten anderen Handyhersteller auf so wenige Schiebetasten wie möglich. Aber gerade für ältere Leute ist es sehr wichtig, dass sie Funktionen, die sie oft brauchen und viel nutzen, direkt mit einem analogen On/Off-Switchschalter bedienen können. Geben Sie einmal einer alten Dame ein anderes Handy in die Hand, das die Tastensperre drin hat. Das dauert Stunden, bis sie es entsperrt hat.

ORF.at: Das sind vielleicht die Senioren von heute. Aber glauben Sie nicht, dass sich das in den nächsten zehn, 20 Jahren verändern wird? Die Senioren von morgen sind ja bereits mit Handys und Computern aufgewachsen.

Fellner: Also wir entwickeln immer das, was die Leute wollen. Wenn die Leute in 20 Jahren Videostreaming wollen, dann bauen wir ihnen ein einfaches Handy mit Videostreaming. Wir setzen ja nicht auf so einfache Funktionen, weil wir nichts anderes können. Simpel ist nicht stupide, sondern wir richten uns nach den Bedürfnissen. Wenn Sie in 20 Jahren ein Handy wollen, mit dem Sie sich auf den Mond beamen können, dann werden wir darüber nachdenken, wie wir das umsetzen können.

ORF.at: Wie sieht aus Ihrer Sicht der "Senior der Zukunft" aus?

Fellner: Es wird keinen "Senior der Zukunft" geben. Es gibt jetzt schon keinen Senior der Gegenwart. Da gibt es sehr vitale und aktive, die reisen können, und auf der anderen Seite gibt es von Krankheiten gezeichnete Pflegefälle. Senioren sind jetzt schon die am schwierigsten zu adressierende Zielgruppe, weil sie am stärksten fragmentiert ist.

ORF.at: Wie adressieren Sie diese Gruppe dann?

Fellner:Wir bieten spezielle Produkte an, die auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Wir entwickeln gerade etwa ein Blutzucker-Handy und ein Mobiltelefon, das merkt, ob sein Benutzer gestürzt ist, sowie ein Handy, mit dem man E-Mails abrufen kann. Da wird es auch in Zukunft verschiedenste Ausprägungen geben. Wir planen aber auch ein Modell für die 40-Jährigen. Die Sehnsucht nach Einfachheit ist ja in vielen Kreisen der Bevölkerung groß, das darf man nicht unterschätzen. Das verstehe ich auch aus der Sicht der Netzbetreiber nicht, warum sie immer in die Geräte mit den irrsten Features subventionieren. Das kostet sie ja sehr viel Geld und schlägt sich dann in der Tarifstruktur zu Buche.

ORF.at: Vielleicht sind Senioren nicht gerade die Lieblingszielgruppe der Netzbetreiber? Sie setzen meist eher auf Wertkartenhandys.

Fellner: Ja. Obwohl das Telefonieren in Österreich sehr billig ist, haben viele ältere Leute Angst davor, in die "Kostenfalle Handy" hineinzustolpern, und fürchten, dass dann ihre Pension gepfändet wird. Deswegen haben Oldies oft sehr große Berührungsängste mit Vertragshandys, und deswegen sind wir auch bei Wertkartenhandys derzeit sehr stark. Wir wollen aber natürlich auch bei den Vertragshandys wachsen. Da müssen wir uns mit den Netzbetreibern gemeinsam überlegen, welche netten Bundles wir anbieten können, damit Oma und Opa auch ein Vertragshandy wollen. Da wird es eigene Tarife und Services für ältere Leute geben.

ORF.at: Sie arbeiten derzeit mit A1 und T-Mobile als Netzbetreibern zusammen. Mit den beiden sprechen Sie sich gerade über die speziellen Tarife ab?

Fellner: Ja. Da wollen wir unseren Marktanteil erweitern.

ORF.at: Welches der drei aktuellen Emporia-Modelle ist das beliebteste bei den Kunden?

Bis zu fünf Rufnummern können für den Notfall eingespeichert werden. Falls das Guthaben der Wertkarte für ein Gespräch nicht ausreicht oder keine SIM-Karte eingelegt ist, wird beim Drücken des Knopfes automatisch der internationale Notruf 112 angewählt.

Der Notfallknopf kann bei fehlendem Bedarf im Menü unter Einstellungen deaktiviert werden. Das ist zu empfehlen, da man den Knopf relativ leicht berührt, wenn man das Menü bei aufgeschobener Tastatur bedient. In diesem Fall befindet sich der Knopf nämlich genau auf derselben Höhe wie die Anruftasten.

Fellner: Das Handy mit dem Notfallknopf. Da haben wir uns auf alle kleinen Details vorbereitet, denn wenn es um Leben und Tod geht, muss man schon einen gewissen Aufwand betreiben. Der Notrufknopf ist bei uns keine stupide Kurzwahl. Man kann fünf Nummern einspeichern, die im Notfall angerufen werden. Der Angerufene muss dreimal die Null eingeben, um den Notruf zu bestätigen, denn es könnte ja sonst auch die Mailbox aktiviert sein. Wenn das Handy keinen Nullimpuls bekommt, springt es automatisch zur nächsten Nummer. Hilfsorganisationen sind davon ausgenommen, das muss man beim Eingeben so einspeichern. Außerdem kann eingestellt werden, ob vor dem Notruf eine SMS verschickt werden soll, um den Angerufenen darauf vorzubereiten.

ORF.at: Das klingt nach einem ausgereiften System. Sie arbeiten derzeit auch an einem Handy, mit dem man E-Mails abrufen kann. Ist das nicht bereits zu kompliziert für die meisten Senioren?

Fellner: Na ja - unser Ziel ist es, dass Senioren den Text einfach intuitiv schreiben können. Der Denkansatz von älteren Leuten entspricht ja nicht den Drop-down- und Pop-up-Menüs, die denken ja ganz anders. Das muss eher so wie ein analoger Schalter konstruiert werden. Derzeit sind wir noch am Testen. Grundsätzlich haben wir uns gesagt, dass ältere Leute aus der mobilen Kommunikation total ausgegrenzt sind und dass das ein sozialer Skandal ist. Vielen älteren Leuten kann man keine E-Mails schicken, weil sie sich keinen Computer kaufen wollen. Da gibt es Riesen-Berührungsängste. Wir wollen den Personen vermitteln, dass eine E-Mail nicht eine große Computerwissenschaft ist, sondern ein einfacher elektronischer Brief.

ORF.at: Emporia investiert sehr viel in die Forschung und Entwicklung neuer Geräte. Findet das komplett in Österreich statt?

Emporia Telecom, von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft unterstützt, kooperiert bei der Forschung auch mit den Austrian Research Centers Seibersdorf, der Universität Linz und dem Studiengang Mobile Computing an der Fachhochschule Hagenberg.

Fellner: Nein. Ich bin auch sehr viel in China, wo die anwendungs- und produktionsorientierten Entwicklungen - vom Hardware-Layout zum Mechanical Engineering und der Gehäusegestaltung - gemacht werden.

ORF.at: Welche Forschungsschwerpunkte werden in Österreich verfolgt, etwa an der FH Hagenberg?

Fellner: Das Blutzucker-Handy wird etwa in Österreich entwickelt und auch das Service E-Mail for Grannies. Wir haben in Österreich außerdem einen Simulator, über den das ganze User-Interface simuliert wird. Damit können wir automatisch den Code für die Software generieren. Das hat den großen Vorteil, dass wir im Simulator die ganzen Trockentests machen können mit über 1.500 Testcases, und erst wenn es funktioniert, wird der Code generiert.

ORF.at: Her Fellner, was ist Ihnen für die Zukunft besonders wichtig?

Fellner: Wir wollen es schaffen, die Barrieren für Senioren endgültig zu beseitigen, dann telefonieren sie auch viel. Wenn man es vom Tarif auch noch geschickt und einfach machen würde, dass es keine Ängste mehr gibt, dann könnte man die Telefonleistung von alten Menschen um 250 Prozent steigern. Mit dem richtigen Gerät und dem richtigen Tarif werden sie telefonieren - das wollen wir erreichen.

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(futurezone/Barbara Wimmer)