F: Neue Fallstricke im Internet-Sperrgesetz
Mit dem neuen Entwurf zum Internet-Sperrgesetz gegen Urheberrechtsverletzungen verstrickt sich die französische Regierung immer tiefer in Widersprüche. Anstatt mutmaßliche Filesharer schnell und ohne Gerichtsverfahren vom Internet trennen zu können, wird ein neuer personalintensiver Apparat installiert werden müssen.
Wie das französische Wirtschaftsblatt "La Tribune" am Dienstag berichtete, wird das geplante Internet-Sperrgesetz gegen Urheberrechtsverletzungen ("Loi HADOPI") Staat und Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Die Zeitung beruft sich auf eine von der französischen Regierung selbst erstellte Studie, mit der diese die Auswirkungen des Gesetzesvorhabens abgeschätzt hat.
Nachdem die französischen Verfassungsrichter die ursprünglich vorgesehene Sperrung von Internet-Zugängen ohne richterlichen Beschluss gekippt hatten, musste die Regierung Sarkozy eine andere Lösung finden, um die Interessen der Rechteinhaber durchzusetzen. Nun sollen fünf neue Artikel ins Strafgesetzbuch eingefügt werden, nach denen das Herunterladen von Mediendateien ohne Lizenz als Fälschungsdelikt gelten wird.
Die Richter können im Schnellverfahren ohne Publikum entweder hohe Geld- oder Gefängnisstrafen verhängen oder den Zugang zum Internet für bis zu ein Jahr kappen lassen, wobei der Verurteilte keinen neuen Vertrag abschließen darf und den alten Vertrag mit seinem Provider weiterhin zahlen muss. Bei leichteren Vergehen soll nur ein Bußgeld verhängt werden, das werde rund 80 Prozent der Fälle betreffen, so die Studie.
50.000 Fälle pro Jahr
Die Regierung erwartet, dass jährlich rund 50.000 Fälle im neuen Verfahren bearbeitet werden müssen. Im alten Verfahren, in dem noch die neu eingerichtete Anti-Filesharer-Behörde HADOPI auf Zuruf der Rechteinhaber die Verbindungen hätte kappen können, waren noch 1.000 Internet-Sperren pro Werktag beziehungsweise 250.000 Sperren pro Jahr vorgesehen gewesen.
Um die besagten 50.000 Fälle pro Jahr bearbeiten zu können, wird es nötig sein, 109 neue Stellen zu schaffen, darunter 26 für Richter. Für die Bearbeitung eines Falles sollen im Durchschnitt 45 Minuten benötigt werden, der Richter soll sich fünf Minuten mit einem Fall befassen. Die Regierung erwartet, dass rund die Hälfte der Beschuldigten Einspruch erheben wird. Laut der Studie hatte die französische Justiz im Jahr 2007 nur in 240 Fälschungsfällen Urteile ausgesprochen, davon habe nur die Hälfte mit dem Internet zu tun gehabt.
Zweifel an Verfassungskonformität
In einer umfangreichen Analyse des neuen Gesetzesvorschlags, der voraussichtlich am 8. und 9. Juli im Senat sowie am 23. und 24. Juli in der Nationalversammlung verhandelt werden soll, kritisiert die Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net, dass die im neuen Gesetzesvorschlag aufgeführten beschleunigten Prozesse verhindern sollten, dass sich die Richter mit echten Beweisen für die Behauptungen der Rechteinhaber befassen. Zudem sei es nach gültiger Rechtslage nicht möglich, die vorgesehenen Geldbußen gegen Minderjährige einzusetzen.
Problematisch sei weiters, dass die Kommission zum Schutz der Urheberrechte innerhalb der HADOPI nur aufgrund eines einzigen "Beweises" tätig werde, nämlich aufgrund von IP-Adressen vermeintlicher Urheberrechtsverletzer, die von den Rechteinhabern zugeliefert werden. Außerdem betreffen die Regeln im neuen Gesetzesentwurf jedwede Kommunikation über elektronische Netzwerke und damit auch private Kommunikation via E-Mail, womit die Regierung abermals den Eingriff in die Grundrechte in Kauf nehme. Eine Analyse des Staatsrats habe bereits auf mehrere Aspekte im neuen Entwurf hingewiesen, die mit der Verfassung in Konflikt geraten könnten.
Das Internet, so die Bürgerrechtler, sei eben kein "rechtsfreier Raum", wie Sarkozy so gerne behaupte. Gerade deshalb könne man dort nicht Gesetze verabschieden, die gegen die Verfassung verstoßen.