Wie Jugendliche Soziale Netzwerke nutzen
Jugendliche nutzen Soziale Netzwerke wie Facebook und MySpace, um sich mit ihren Freunden online auszutauschen. Dabei landen nicht selten freizügige Bilder im Netz. Manfred Zentner, Experte am Institut für Jugendkulturforschung, erklärt im Gespräch mit ORF.at, warum Jugendliche mit ihren eigenen Daten so sorglos umgehen und welche Funktion die Online-Kommunikation für sie erfüllt.
Laut einer GfK-Studie vom Februar 2009 sind bereits 50 Prozent der Jugendlichen mindestens einmal pro Monat in Sozialen Netzwerken wie Facebook, MySpace und studiVZ unterwegs, und die Zahl wächst stetig. Sie empfänden dabei ein "Gefühl des Aufgehobenseins", fühlten sich einer Gruppe zugehörig, so Manfred Zentner, Experte am Institut für Jugendkulturforschung, gegenüber ORF.at.
Zur Person:
Der Soziologe Manfred Zentner ist seit 1997 im Bereich der Jugendforschung aktiv. Seit 2001 arbeitet er am Institut für Jugendkulturforschung und betreut die Fachbereiche "Forschung und Wissenstransfer" sowie "Internationale Kooperationen".
Zentner erzählt außerdem, wie Jugendliche auf gezielte Marketingstrategien von Unternehmen und Politikern reagieren, wie Eltern und Lehrer mit der Nutzung Sozialer Netzwerke von Jugendlichen umgehen sollten und wie diese mit ihren eigenen persönlichen Daten umgehen. Jugendliche gingen dabei keineswegs so leichtsinnig vor, wie Erwachsene von ihnen erwarteten. Oft würden geschickte Strategien eingesetzt, um gewisse Bilder oder Aussagen nur mit den engsten Freunden zu teilen.
Der Experte erklärt zudem, warum der Microblogging-Dienst Twitter bei Jugendlichen großen Anklang findet, obwohl er seiner Meinung nach nicht für die Zielgruppe geeignet ist, und wie Lehrer mit Cyber-Mobbing an Schulen umgehen sollten.
ORF.at: Herr Zentner, wie setzen Jugendliche Soziale Netzwerke wie Facebook und MySpace ein?
Manfred Zentner: Wir leben in einer individualisierten Zeit, in der hauptsächlich schwache Bindungen eingegangen werden. Wenn sich der Einzelne ins Zentrum setzen muss, dann möchte er sich nicht einer größeren Gruppe verpflichtet fühlen. Man ist zwar Mitglied einer größeren Gruppe, aber man möchte keine starren Bindungen eingehen. Schwache Bindungen werden daher überall gesucht. In den Sozialen Online-Netzwerken bin ich zwar Teil einer Gruppe, aber ich muss nicht verpflichtend jeden Tag reinschauen. Ich werde zwar informiert, aber ich muss mich nicht groß darum kümmern. Es vermittelt einem aber ein Gefühl des Aufgehobenseins. Es hat sich außerdem in Untersuchungen herausgestellt, dass gerade in Österreich 75 Prozent der Freunde, mit denen man in Sozialen Online-Netzwerken befreundet ist, aus dem tatsächlichen Freundeskreis stammen. Das heißt, man kennt die Personen, und das Web ist eigentlich nur ein erweitertes Wohnzimmer, in dem mich die Leute besuchen können. Dort zeige ich dann etwa das letzte Fotoalbum her. Der Vorteil der virtuellen Umgebung ist der, dass ich es mir als Online-Freund aber nicht umbedingt ansehen muss. Es bleibt unverbindlich.
ORF.at: Das heißt auch, dass Jugendliche etwa 25 Prozent ihrer Online-Freunde nicht aus dem echten Leben kennen.
Zentner: Ja, man kommt auch mit Menschen in Kontakt, die man vorher noch nicht gesehen hat. Der Vorteil daran ist wiederum, dass es keinen größeren Aufwand erfordert. Man kann zu Hause verschwitzt im Unterleiberl sitzen. Deswegen sind Online-Communitys so beliebt.
ORF.at: Sind Soziale Netzwerke tatsächlich beliebter bei Jugendlichen als Chats und Online-Foren?
Zentner: Nach unserer Erfahrung ja. Die Online-Foren sind eher für Spezialgruppen geeignet, die sich für ein bestimmtes Thema interessieren. Die wird es allerdings auch weiterhin geben. Der Chatraum selbst wird auch nicht an Bedeutung verlieren, sondern nur zusätzlich zu Sozialen Online-Netzwerken genutzt.
ORF.at: Wie reagieren Jugendliche auf Marketingangebote und Werbung, die ihnen in diesen Netzwerken angeboten werden?
Zentner: Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben in qualitativen Interviews herausgefunden, dass sich die Jugendlichen darüber aufregen. Aber gleichzeitig haben wir auch bemerkt, dass sie es oft gar nicht mitkriegen, dass es sich bei neuen Gruppen, denen sie beitreten, um Marketingangebote handelt. Grundsätzlich müssen solche Angebote aber zur Lebenswelt passen.
ORF.at: Wie sieht es bei politischen Parteien aus? Wie nehmen die Jugendlichen Politiker wahr, die sich auf Facebook präsentieren?
Zentner: Da kommt es immer darauf an, wer es ist und was geschrieben wird. Eine Aussage von mir, die ich vor ein paar Wochen in einer Facebook-Gruppe getätigt habe, hat bereits einigen Wirbel ausgelöst. Ich habe im Zuge der Europawahl gesagt, dass Strasser und Swoboda auf Facebook nichts verloren haben, weil sie genau nur für den Wahlkampf dort hingegangen sind. Das passt einfach nicht. Wenn man allerdings mitwächst und Verschiedenstes in den Netzwerken ausprobiert, dann funktioniert das auch. Das kann auch ernst genommen werden.
ORF.at: Wenn etwa ein Politiker aus dem Wiener Gemeinderat seine Meinung nicht nur zu klassischen parteirelevanten Themen kundtut, sondern auch zu allgemeinen Problemen, dann nehmen die Jugendlichen das ernst?
Zentner: Ja, aber nur, wenn dabei nicht das Gefühl entsteht, dass es nur aus Werbegründen gemacht wird. Wenn man als Politiker auch zu anderen Themen Stellung bezieht, dann wird es eher funktionieren. Da sollten dann auch ganz normale Sachen stehen, nicht nur, zu welchen Parteiveranstaltungen man als Politiker gerade hingeht. Der Unterschied dabei ist, ob man sich als Mensch präsentiert oder als Partei. Als Partei in ein Netzwerk hineinzugehen, um damit Jugendliche zu adressieren, halte ich für sinnlos.
ORF.at: Würden Sie Lehrern empfehlen, sich mit ihren Schülern online zu vernetzen?
Zentner: Ich würde keinem Lehrer empfehlen, einen Account in einem Sozialen Online-Netzwerk einzurichten und seinen Schülern weiterzugeben. Man wird dadurch sehr angreifbar. Sobald Schüler herausfinden, dass ein Lehrer drin ist, wird man diesen lächerlich machen. Als geschickter Mensch müsste man private Fotos verbergen. Der Schutz von Privatsphäre ist für Erwachsene viel wichtiger als für Jugendliche.
ORF.at: Warum ist der Schutz der Privatsphäre für Erwachsene wichtiger?
Zentner: Weil die Erwachsenen mit dem Glauben groß geworden sind, dass man im Internet alles tun kann. Die Kinder werden aber von Anfang darauf hingetrimmt, die Gefahren zu sehen. Die Erwachsenen sehen zwar die Gefahren, können damit aber nicht umgehen. Wir haben es jetzt aber mit einer Generation von Jugendlichen zu tun, der ersten Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist. Die heute 15-Jährigen waren drei Jahre alt, als das Internet groß geworden ist. Die haben einen komplett anderen Zugang als die 29-Jährigen. Das macht den Unterschied. Die 29-Jährigen sehen zwar Gefahren und fragen sich, welche persönlichen Daten sie von sich preisgeben sollen und was problematisch ist. Die Jugendlichen dagegen geben sehr viel Persönliches rein, kennen sich aber sehr gut aus mit den Settings, die man einstellen kann, damit nicht jeder alles sieht. Die Erwachsenen kommen da viel später drauf. Den Jugendlichen ist es aber auch oft egal, was da über sie zu lesen ist.
ORF.at: Genau, den Jugendlichen ist das oft egal, das hört man immer wieder. Aber warum?
Zentner: Weil wir in einer Zeit der Symbolisierung leben, wir tragen unser Leben nach außen. Bei den Jugendlichen gehört das dazu. Sie suchen am Montag als Erstes die Partyfotos vom Wochenende, auf denen sie betrunken zu sehen sind. Erwachsene würden versuchen, solche Fotos zu vernichten, weil es Ärger geben könnte. Die Jugendlichen stehen aber dazu, das ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Sie tragen T-Shirts auf der Straße mit dem Aufdruck: "Wer sich erinnern kann, war nicht dabei". Das sind so Aussagen, das wäre früher nicht machbar gewesen. Der Ruf ist ihnen egal. Das kann natürlich problematisch werden, wenn sie ins Erwachsenenalter übertreten und auf Jobsuche sind. Dieses Thema ist in Österreich bis jetzt aber nicht wirklich relevant. Das ist überraschend, da es in Deutschland bereits seit Jahren angesprochen wird.
ORF.at: Gibt es in Österreich tatsächlich keine derartigen Probleme?
Zentner: Es wird in Österreich einfach nicht zu einem gemacht. Bisher ist auch kein Fall aus einer österreichischen Firma bekanntgeworden, dass Jugendliche oder junge Erwachsene mit ihren Facebook- oder MySpace-Accounts negativ konfrontiert worden sind. Entweder interessieren sich die Leute hier einfach weniger dafür, oder das Ganze ist in Deutschland einfach aufgeblasen worden zu einem Problem. Denn wenn ich danach suche, finde ich es auch hier.
ORF.at: Das heißt, die Jugendlichen sind sich dieser Problematik, dass ihre Daten auch von künftigen Chefs eingesehen werden könnten, bewusst, aber sie gehen trotzdem nicht sorgfältig damit um?
Zentner: Exakt. Außerdem können sie sich, wenn sie wollen, gut vor so etwas schützen. Bei Facebook kann man beispielsweise einstellen, dass nur bestimmte Freunde die Einträge lesen können oder bestimmte Gruppen. Es wird nicht jedes Fotoalbum mit jedem geteilt, es werden Gruppen angelegt wie "beste Freunde", die dann auf wirklich private Inhalte zugreifen können.
ORF.at: Neben Facebook hat auch Twitter derzeit sehr starke Wachstumszahlen. Wie verwenden Jugendliche diesen Dienst?
Zentner: Ich befürchte, dass Twitter beliebt werden wird, aber nicht in der Form, wie man es als Erwachsener kennt. Bis jetzt findet man ja eher weniger Jugendliche dort, weil es meist nicht so spannend ist zu schreiben, was man gerade tut. Ich glaube, dass die Fragestellung für Jugendliche nicht passend ist. Die Reduktion des Lebens auf 140 Zeichen ist problematisch.
ORF.at: Warum glauben Sie trotzdem, dass Twitter beliebt werden könnte?
Zentner: Weil es jeder haben wird. Es gibt extreme Zuwächse. Das wird unter Jugendlichen aber sicherlich ein Schmäh werden und wahrscheinlich dazu verwendet werden, um Leuten etwas vorzugaukeln. Das ist so, wie man früher im Chat ganz bewusst geschrieben hat, man sei eine 18-jährige vollbusige Blondine. Grundsätzlich glaube ich, dass sich Twitter bei Jugendlichen eher für so etwas eignet, weil für sie die Informationen, die derzeit darüber verbreitetet werden, nicht relevant sind.
ORF.at: Ja, sie sprechen es gerade an. Twitter wird ja auch oft als Informationsquelle verwendet, über die man Links bezieht zu bestimmten Themen. Können Jugendliche da überhaupt abschätzen, was eine seriöse Quelle ist?
Für Zivilcourage, kulturelle Vielfalt und Menschenwürde sind an einem Donnerstagabend im Juni über 3.500 Menschen in Wien auf die Straße gegangen. Die friedlich verlaufene Lichterkette um das Parlament in Wien wurde von zwei Studentinnen via Facebook initiiert.
Als im Wiener MuseumsQuartier kurzzeitig das Mitbringen von alkohlischen Getränken verboten wurde, formierte sich im Sozialen Netzwerk Facebook eine Gruppe namens "Freiheit im MQ", die zu einer Veranstaltung aufrief, um gegen diese Verordnung zu verstoßen. Diesem Aufruf folgten an einem Samstag im Juni mehrere hundert Demonstranten.
Zentner: Genau hier befindet sich ein wunder Punkt. Man denkt sehr oft, dass die Seriosität durch das Insidertum gegeben ist. Wenn wer gute Informationen hat, sind diese auch richtig - denkt man. Stimmen muss das allerdings nicht, weil ja jede Information auch sofort eine Interpretation ist. Das macht uns und den Jugendlichen das Leben schwer. Da gibt es oft ein unhinterfragtes Vertrauen in spezielle Blogs. Bei einer qualitativen Umfrage von uns ist herausgekommen, dass die Leute "dem Internet" vertrauen, weil man alles sofort nachprüfen könnte. Nur macht das niemand. Die Jugendlichen schauen sich oft nur die ersten zwei Einträge an, die bei Google erscheinen. Die Kombination "Freunde im Internet" und Vertrauen ist überhaupt gefährlich. Die Information, die über Freunde verbreitet wird, wird als vertrauenswürdig eingestuft. Dadurch können dann so Aktionen wie die Lichterkette entstehen, oder etwa "Bring your Beer to MuseumsQuartier", die sich viral verbreitet haben und für die Hunderte Jugendliche mobilisiert wurden.
ORF.at: Herr Zentner, man hört auch immer öfter von Cyber-Mobbing-Fällen an Schulen. Wie verbreitet ist dieses Phänomen wirklich unter den Jugendlichen?
Zentner: Das Filmen mit dem Handy ist bei den Jugendlichen sehr verbreitet. Viele Lehrer haben außerdem Angst davor, bei einem Wutausbruch gefilmt zu werden und diesen dann im Internet auf YouTube wiederzufinden.
ORF.at: Was würden Sie den Personen dann in so einem Fall raten, und wie kann es zukünftig verhindert werden?
Zentner: Es sollte psychologische Betreuung für die Betroffenen geben. Es sollte außerdem klare Regeln geben, wie mit Handys im Unterricht umgegangen wird. Diese müssen festgelegt werden, bevor etwas passiert. Anlassbezogene Konsequenzen sind sehr schwierig zu setzen, man sollte es als Schule vorher besprechen. Die Schüler müssen darauf aufmerksam gemacht werden, weil sie das, was sie tun, oft nicht als Mobbing sehen, sondern als "lustige Unterhaltung". Am Schulhof hat man früher auch Lehrer verspottet, heute möchte man genau das Gleiche, nur bedenkt man die Folgen nicht. Dass die betroffene Person darunter leiden könnte, muss man den Jugendlichen klarmachen.
(futurezone/Barbara Wimmer)