Bisher lauer Internet-Wahlkampf in Deutschland
Beckedahl: Netzsperrengesetz hemmt Engagement der Bürger
Im Online-Wahlkampf zeichnet sich laut einer Studie gut elf Wochen vor der Bundestagswahl noch kein Sieger ab. In den sozialen Netzwerken liegen gemessen an der Zahl der Anhänger unterschiedliche Parteien vorn. Das ergab die fünfte Kurzstudie Politik im Web 2.0 für Juli 2009 der Online-Agentur newthinking communications, die am Mittwoch in Berlin veröffentlicht wurde. Ein deutlich gestiegenes Interesse der Nutzer verzeichneten Videoplattformen, was in erster Linie auf die Wahlspots zur Europawahl zurückzuführen sei.
Soziale Netzwerke und Twitter
Im größten deutschen Internet-Netzwerk studiVZ liegen bei den in einer "Wahlzentrale" prominent platzierten Parteiangeboten SPD, FDP und CDU mit jeweils etwa 15.000 Anhängern gleichauf. Bei Facebook verzeichnen laut der Studie SPD und Grüne auf niedrigem Niveau eine ähnlich hohe Zahl an Unterstützern (knapp 2.500). Bei Twitter, einer Plattform für Kurznachrichten, sind die Grünen mit fast 5.500 "Followern" Spitzenreiter - mit klarem Vorsprung vor SPD und FDP. Die sonst eher abgeschlagene Linkspartei ist als einzige im Netzwerk MySpace vertreten. Bei den Kanzlerkandidaten liegt Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU) bei studiVZ und Facebook klar vor Herausforderer Frank-Walter Steinmeier (SPD).
Als mögliche Erklärung für den in Deutschland nach wie vor eher schwach verlaufenden Internet-Wahlkampf führen die Autoren der Studie, Markus Beckedahl (netzpolitik.org), Falk Lüke und Julian Zimmermann, auch das mit den Stimmen der großen Koalition verabschiedete Gesetz für Internet-Sperren an. Viele Internet-Nutzer hatten gegen solche Einschränkungen protestiert.
Inhalte statt Propaganda angemahnt
"Es ist spekulativ, aber nicht unwahrscheinlich, anzunehmen, dass insbesondere die Diskussion über das sogenannte 'Zugangserschwerungsgesetz', das in die technischen Grundlagen des Internets Eingriffe vorsieht, um den Zugriff auf Seiten mit kinderpornografischen Inhalten zu erschweren, den Parteistrategen einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht hat. Hatten viele von ihnen die Benutzerschaft des Internets zuvor als Stimmvieh und verlängertes Wahlpropagandasprachrohr wahrgenommen, wurde hier deutlich, dass Online-Wahlkampf auch eine inhaltliche Komponente hat", so die Autoren der Studie. "Ohne Wahlkampf für die Wähler, die sich stark im Internet engagieren, engagieren sich diese wohl auch eher nicht für den Wahlkampf im Internet."
In der Studie wurden nur jene Parteien berücksichtigt, die es bei der letzten Wahl in den Deutschen Bundestag geschafft haben. Daher fehlen Daten zu den Aktivitäten der im Netz sehr aktiven deutschen Piratenpartei, die spätestens mit dem Wechsel des umstrittenen SPD-Abgeordneten Jörg Tauss größeres mediales Interesse auf sich ziehen konnte. Tauss sitzt nun zwar für die Piratenpartei im Bundestag, wird aber zur nächsten Wahl nicht mehr antreten.
(dpa/futurezone)