Reding: "Internet-Piraterie ist sexy"
EU-Medienkommissarin Viviane Reding hat die Prioritäten der EU-Netzpolitik für die nächsten fünf Jahre vorgestellt. An erster Stelle stehen der weitere Ausbau der Breitbandnetze und eine Lösung des Medienpiraterieproblems. Die Kommissarin sparte dabei nicht mit Seitenhieben auf die französische Strafpolitik.
Anlässlich einer Rede vor dem Thinktank The Lisbon Council am Donnerstag in Brüssel entwarf EU-Medienkommissarin Viviane Reding die Grundzüge der EU-Netzpolitik für die kommenden fünf Jahre. Es gilt als wahrscheinlich, dass die konservative Luxemburgerin auch in der nächsten Kommission für die Medienagenda zuständig sein wird.
Reding sagte, sie habe in den vergangenen Wochen mit ihrem Team die nächsten Schritte für eine Strategie für das digitale Europa erarbeitet. Die Kommissarin sprach dabei zuallererst die geplanten Reformen in Sachen Urheberrecht an: "Meine allererste Priorität für das digitale Europa lautet: den Zugang zu digitalen Medieninhalten einfacher und attraktiver zu machen."
Grabenkämpfe mit Rechteinhabern
Derzeit sei die Debatte über unlizenzierte Downloads stark polarisiert, beklagte Reding: "Während viele Rechteinhaber darauf bestehen, dass jeder unautorisierte Download aus dem Internet eine Verletzung des Urheberrechts darstellt und daher illegal ist oder sogar ein Verbrechen darstellt, betonen andere, dass der Zugang zum Internet ein Grundrecht ist." Laut Reding haben beide Seiten recht. Anstatt nach Lösungen zu suchen, würden sie sich aber in Grabenkämpfen aufreiben.
Das bekam die Kommissarin in den harten Verhandlungen über die Richtlinien des Telekompakets selbst nur zu deutlich zu spüren. "Die Vereinbarungen umfassen ein Reformpaket von über 160 Artikeln mit 750 Unterparagrafen. Nur über einen einzigen Unterparagrafen konnte bisher keine Einigung erzielt werden. Ich plädiere an beide Seiten dieser Debatte, sich schnell über diesen Aspekt zu einigen", so die Kommissarin, die damit jene Passage in der Rahmenrichtlinie meint, die es Mitgliedsstaaten verbieten würde, den Internet-Anschluss von Bürgern ohne richterlichen Beschluss zu kappen.
Sorge über die Internet-Generation
Diese Passage wurde von Lobbyisten der Medienindustrie und der französischen Regierung mit äußersten Maßnahmen bekämpft, da es die Einführung von Internet-Sperren bei Urheberrechtsverstößen erschweren würde. Bis heute blockiert Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy deshalb jeden Fortschritt in Sachen Neuregelung des europäischen Kommunikationsmarkts. Dabei steht viel Geld auf dem Spiel, so Reding: "Lassen Sie uns nicht vergessen, dass nach einer Studie der Weltbank zehn Prozent mehr Breitbanddurchdringung 1,3 Prozent mehr Wachstum bringen." Dieses Wachstum habe Europa in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage dringend nötig.
Reding befürchtet, dass die junge Generation, die mit dem Internet aufwuchs, die "Digital Natives", als Kreative und Konsumenten verloren gehen könnten, das sei "eine Tragödie". "Internet-Piraterie wird offensichtlich zunehmend 'sexy'", so die Kommissarin, "besonders für die junge Generation von intensiven Internet-Nutzern zwischen 16 und 24 Jahren." Aktuelle Daten des EU-Statistikamts Eurostat zeigten, dass 60 Prozent der Mitglieder dieser Altersgruppe in den vergangenen Monaten unlizenziert Inhalte aus dem Netz heruntergeladen hätten, ohne dafür zu bezahlen. Und 28 Prozent davon hätten zu Protokoll gegeben, dass sie auch nicht willens seien, dafür zu bezahlen.
"Ernsthafte Defizite"
Das zeige "ernsthafte Defizite im derzeitigen System auf", so Reding. Es sei notwendig, diejenigen zu bestrafen, die das Gesetz brechen. Allerdings müsse man sich die Frage stellen, ob es genügend konsumentenfreundliche legale Angebote auf dem Markt gebe. Reding: "Wird unser derzeitiges Rechtssystem für geistiges Eigentum den Erwartungen der Internet-Generation gerecht? Haben wir alle Alternativen zu repressiven Maßnahmen ausgeschöpft? Haben wir die Probleme wirklich auch einmal aus der Perspektive eines 16-Jährigen betrachtet oder nur aus jener eines Rechtsprofessors, der im Gutenberg-Zeitalter aufgewachsen ist?"
Als konkrete Maßnahme schlägt Reding vor, dass es einfacher werden müsse, Lizenzen für die Verbreitung von Medieninhalten in allen 27 EU-Mitgliedsstaaten zu erhalten. "Konsumenten können oft nicht an Inhalte heran, die in einem anderen Mitgliedsland verfügbar sind", sagte Reding. Es müsse hier eine ähnliche Regelung gefunden werden wie für die Übertragung von Inhalten via Satelliten und Kabelnetze.
Keine Angst vor Google
Weiterhin will Reding "moderne Regeln schaffen, welche die Digitalisierung von Büchern erleichtern". 90 Prozent der Bücher in den Nationalbibliotheken der EU seien nicht mehr im Handel erhältlich, weil sie vergriffen oder verwaist seien. Reding schlägt vor, ein EU-weites Zentralregister für solche Werke zu schaffen. Ein solches würde auch in den USA im Rahmen des Google Book Settlement eingerichtet werden, falls das zuständige Gericht es akzeptieren würde. Den Streit über Google Books bezeichnet Reding als "eher ideologiegetrieben". Viele Verleger und Buchhändler hätten Angst vor der Marktmacht von Google, aber gleichzeitig seien viele Internet-Firmen von den komplizierten Rechtesystemen in Europa frustriert. Wenn die EU dieses Problem nicht schnellstens löse, werde das Geschäft mit digitalen Büchern "auf der anderen Seite des Atlantik" gemacht, stellte Reding fest.
Als weitere Prioritäten nannte Reding die Förderung von EU-einheitlichen mobilen Zahlungssystemen und die Öffnung des IKT-Marktes für kleine und mittlere Unternehmen. Außerdem solle die EU IKT-Lösungen fördern, die zur Reduktion von Treibhausgasen beitragen können, beispielsweise Videokonferenz- und Telearbeitsysteme.
(futurezone/Günter Hack)