Die Erben von Pirate Bay
Der Verkauf von The Pirate Bay hat in der BitTorrent-Szene für Panik gesorgt. Ein paar Wochen später ist klar: Das Ende der schwedischen Piratenikone ist ein Neuanfang für BitTorrent. Grund dafür ist eine neue Technologie, die den Aufbau einer verteilten Tracker-Infrastruktur erlaubt.
Auch zwei Wochen nach dem angekündigten Verkauf von The Pirate Bay herrscht im Netz weiter Verwirrung. Unklar ist nicht nur das Geschäftsmodell der zukünftigen Pirate-Bay-Eigentümer, die angeblich mit Rechteinhabern zusammenarbeiten und gleichzeitig Nutzer für das Tauschen bestimmter Daten entlohnen wollen.
Offene Fragen gibt es unter Tauschbörsennutzern auch weiter zur Motivation für diesen drastischen Schritt. Anlässlich der Verkaufsankündigung hatte Pirate-Bay-Sprecher Peter Sunde mehrmals erklärt, man sei einfach ausgebrannt, habe zu viel Energie in das Projekt gesteckt und zu wenig Dank dafür bekommen.
Viele Nutzer der Website waren darüber empört. The Pirate Bay verdankte einen Großteil seines Erfolgs freiwilligen Mitwirkenden, die zahllose Torrents hochluden und diese in unzähligen Kommentaren bewerteten. Sundes Stellungnahmen klangen vor diesem Hintergrund wie das Aufkündigen einer langen Vertrauensbeziehung. Ein Pirate-Bay-Insider erklärte dazu jetzt jedoch gegenüber ORF.at, Sunde sei es mit seiner Kritik und auch dem Verkauf selbst gar nicht um die Website gegangen. Vielmehr wollte man mit dem Schritt in erster Linie die Betreiber anderer BitTorrent-Angebote schockieren.
Ohne Pirate Bay kein BitTorrent
The Pirate Bay war bisher eine wesentliche Stütze des BitTorrent-Universums. Grund dafür ist, dass die schwedischen Piraten neben ihrer weltbekannten Website auch einen der meistgenutzten BitTorrent-Tracker betreiben. Tracker arrangieren bei BitTorent den Austausch der Daten, indem sie Nutzer bedarfsgerecht zu temporären Tauschnetzen zusammenschließen.
Bei The Pirate Bay betreibt man einen offenen Tracker, der auch von anderen BitTorrent-Websites genutzt werden kann. Davon machen viele BitTorrent-Angebote Gebrauch, die selbst aus Kostengründen oder aufgrund juristischer Bedenken keine eigenen Tracker betreiben. Wer beispielsweise über die BitTorrent-Community Mininova.org eine Datei herunterlädt, nutzt dazu mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tracker der Pirate Bay. "Sites wie Mininova könnten einpacken, wenn es keine offenen Tracker für die Torrents gäbe, die man bei ihnen suchen kann", erklärt dazu ein Pirate-Bay-Insider.
Wegfall des wichtigsten Dienstes
Die Betreiber der Pirate Bay stehen mit dieser Einschätzung nicht alleine dar. Niederländische Forscher ermittelten vor einigen Monaten, dass rund 50 Prozent aller öffentlich verfügbaren Torrents mit Hilfe der Tracker von The Pirate Bay ausgetauscht werden. Ein Wegfall der Pirate-Bay-Tracker könnte damit für die P2P-Szene katastrophale Folgen haben. "Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem BitTorrent-Totalzusammenbruch führen", erklärte einer der beteiligten Forscher dazu gegenüber dem Tauschbörsen-Blog Torrentfreak.
The Pirate Bay galt lange Zeit als unverwundbar. So war die Site gerade mal drei Tage offline, als die schwedische Polizei vor drei Jahren die Pirate-Bay-Server beschlagnahmte. Das Strafverfahren gegen die drei Betreiber des Angebots, das daraus resultierende harsche Urteil und schließlich die Verkaufsankündigung hinterließen jedoch deutliche Kratzer an diesem Mythos.
Dezentrale Tracker
Gleichzeitig kündigten die Betreiber der Pirate Bay pünktlich zum Verkauf ihres Angebots an, dass es bald neue öffentliche Tracker geben werde. Wenige Tage später entdeckten Nutzer einen neuen Tracker, der unter der Domain Openbittorrent.com firmiert. Blogger brauchten nicht lange, um festzustellen, dass dieser Tracker die gleiche IP-Adressen und die gleichen Torrent-Hash-Werte besitzt wie der derzeitige Pirate-Bay-Tracker. Openbittorrent.com wurde zudem im Februar von niemand anderem als dem Pirate-Bay-Admin Fredrik Neij registriert.
Zwei Insider versicherten ORF.at jedoch unabhängig voneinander, dass Neij nicht die treibende Kraft hinter diesem neuen Angebot ist. Vielmehr beabsichtigt man eine Fortsetzung der anarchischen Strukturen, die Richter und Kläger schon während des Prozesses gegen Neij und seine beiden Mitbegründer verwirrten. Ein Beteiligter schildert das rückblickend so: "Plötzlich gab es Server, auf denen sich von selber was organisiert hat."
Weitere Tracker in den Startlöchern
Openbittorrent.com ist nicht der einzige neue Torrent-Tracker, der in die Fußstapfen des Pirate-Bay-Angebots tritt. Vor ein paar Tagen berichtete Torrentfreak.com über ein neues Angebot namens PublicBitTorrent, das vom Betreiber der BitTorrent-Website Btjunkie.com gestartet wurde. Eine weitere bekannte Torrent-Website arbeitet zudem ebenfalls an einem offenen Tracker.
Gemein ist all diesen neuen Angeboten, dass sie auf das Opentracker-System setzen. Opentracker ist ein Open-Source-System zum Betreiben von BitTorrent-Trackern, das bisher unter anderem von den Pirate-Bay-Servern eingesetzt wird. Der Pirate-Bay-Tracker ermöglicht den Austausch von knapp zwei Millionen Torrents und wird rund um die Uhr von bis zu 25 Millionen Tauschern gleichzeitig genutzt.
Fehler beim Synchronisieren
Die schwedischen Piraten setzen für ihren Tracker auf insgesamt neun Server. Anfangs wurde die Datenbank auf den einzelnen Servern alle fünf Minuten aktualisiert, doch dabei kam es regelmäßig zu temporären Synchronisationsfehlern: Nutzer waren mit verschiedenen Servern verbunden und konnten damit untereinander keine Daten austauschen.
Die Lösung für dieses Problem war ein neues Opentracker-Synchronisationsverfahren, bei dem alle Daten zwischen den einzelnen Servern automatisch und ohne Verzögerung per Multicast ausgetauscht werden. Ursprünglich war dieses Synchronisationsverfahren für den Austausch innerhalb lokaler Netzwerke gedacht. Es ist damit jedoch auch problemlos möglich, über geschützte Internet-Verbindungen Tracker in anderen Rechenzentren oder gar in anderen Ländern zu synchronisieren.
Ein transnationales Tracker-Netzwerk
Bisher gibt es noch keine derartige Synchronisation zwischen Openbittorrent.com und BublicBitTorrent, aber es gibt bereits erste Kontakte zwischen den Administratoren beider Projekte. Dazu gibt es offenbar bereits ein drittes Tracker-Projekt, das in den nächsten Wochen starten soll und ebenfalls eine Synchronisationsverbindung zu Openbittorrent.com haben wird.
Anstelle einiger isolierter Tracker könnte es damit plötzlich eine vernetzte Tracker-Infrastruktur geben. Das könnte nicht nur zu schnelleren Downloads führen, sondern auch zu einem weitaus höheren Maß an Redundanz. Fällt einer der Tracker aus, dann sind die gleichen Inhalte problemlos weiter mit Hilfe der andern Tracker herunterladbar. Das Ziel des ganzen, so einer der beteiligten Administratoren, sei der Aufbau eines "transnationalen Tracker-Netzwerks".
(Janko Röttgers)