Planet Comic Sans
Das World Wide Web gibt es nun schon seit 20 Jahren. In diesem Zeitraum hat sich viel geändert, nur eines nicht: Fast alle Websites sind aus Kompatibilitätsgründen dazu verdammt, die immer gleichen System-Fonts zu verwenden. Ein Vorschlag für einen neuen W3C-Standard soll das Problem nun lösen.
"Alle Diskussionen über das Thema 'Schriften im Web' kreisen um zwei immer wiederkehrende Aussagen: 'Wir werden schon bald beliebig viele Schriften im Web verwenden können' und 'Hm, wir sollten die Copyright-Probleme lösen'", so Schriftgestalter Erik van Blokland. "Keines der beiden Themen wird aber grundlegend angegangen."
Der Essay, in dem sich diese Aussagen finden, stammt aus dem Jahr 1996. Van Blokland, ein Pionier der digitalen Typografie, hat den Artikel immer noch auf seiner Website stehen. Die Akteure wie Bitstream und SoftQuad mögen sich seither geändert haben, aber das Problem besteht nach wie vor.
Das Web schickt sich zwar an, die traditionellen Papiermedien in wichtigen Einsatzbereichen zu verdrängen, es leidet aber nach wie vor unter akuter Schriftarmut. Wer im Jahr 2009 eine große Website gestaltet, kann zwar auf ein umfangreiches Arsenal an gestalterischen Möglichkeiten zurückgreifen, hat aber gerade bei den Schriften nicht viel mehr Auswahl als 1996. Mit den Fonts fehlt dem Web damit eine wesentliche Ausdrucksform gestalterischer Kultur.
Ausweg Open Source
Ein Ausweg aus der Schriftenmisere kann natürlich auch darin bestehen, lizenzfreie Fonts zu verwenden. Die Open Font Library ist ein mit Unterstützung der Mozilla Foundation und der TeX Users Group erstelltes Online-Verzeichnis freier Schriften, Software und Werkzeuge.
Komplizierte Work-arounds
Die Versuche, Work-arounds mit einzelnen GIF-Buchstaben, Flash oder proprietären Fonteinbettungsformaten wie Microsofts EOT zu schaffen, waren zum Scheitern verurteilt, fanden entweder keinen Eingang in den Kanon der Webstandards oder waren - wie sIFR und Cufon - zu umständlich zu implementieren. Mit der seit Version 3.5 auch von Firefox unterstützten CSS-Regel @font-face ist es zwar möglich, Schriften im Browser anzeigen zu lassen, die nicht lokal auf dem Rechner des Nutzers installiert sind - die Lizenzprobleme sind damit freilich nicht gelöst.
Denn Schriften zu entwickeln kostet viel Zeit und Geld. Neben Branchenriesen wie dem deutschen FontShop/FontFont, Adobe und Linotype ist die Branche seit dem Desktop-Publishing-Boom vor allem von kleinen, unabhängigen Designhäusern geprägt.
"Mercury, eine umfangreiche Schriftfamilie mit 69 Schnitten für den Zeitungssatz, hat neun Jahre Entwicklungszeit verschlungen", schreiben die renommierten Gestalter Tobias Frere-Jones und Jonathan Hoefler auf ihrer Website. Die Lizenz zur Verwendung des kompletten Mercury-Pakets im Openfont-Format kostet direkt ab Hersteller 499 US-Dollar - für einen Arbeitsplatz, denn Schriften werden nach ähnlichen Modellen lizenziert wie Software.
Metadaten für Online-Fonts
Im Vergleich zu den Preisen in der Lichtsatz-Ära, als ein Font noch mehrere tausend Euro kosten konnte, ist das billig. In ihren Nutzungsbedingungen untersagen Frere-Jones und Hoefler die Verwendung ihrer Fonts im Web, spezifisch auch die Einbindung über den @font-face-Tag. Es gebe keine Möglichkeit, die Schrift gegen unlizenzierten Download zu sichern, schreiben die beiden Designer auf ihrer Website.
Einem neuen Ansatz zur Einbindung von Schriften in Websites stehen die beiden Designer jedoch positiv gegenüber. Wie der Designer Johno Boardley im Fachblog "I Love Typography" von der Konferenz TypeCon berichtet, die am Sonntag zu Ende gegangen ist, haben sich zu dieser Gelegenheit führende Schriftenhäuser, darunter House Industries, FontFont, Emigre und eben Hoefler und Frere-Jones hinter einen Vorschlag gestellt, den die Gestalter und Programmierer Van Blokland und Tal Leming am 15. Juli auf der Font-Mailingliste des Web-Standardisierungsgremiums W3C präsentiert haben.
Ausweg .webfont
Van Blokland und Leming sehen in ihrem Vorschlag zu einem Format namens ".webfont" vor, in einer ZIP-komprimierten Datei sowohl die Fontdaten im OpenType-Format als auch eine XML-Datei mit Metadaten unterzubringen. In Letzerer sollen das Format des Fonts und dessen Name untergebracht werden, aber auch optional Informationen zur Lizenzierung. So sollen Schriftenhersteller in den Metadaten eine Liste von URLs unterbringen können, auf denen die Verwendung des jeweiligen Fonts erlaubt ist.
Vor DRM-ähnlichen Maßnahmen zum Schutz der Fonts sehen Van Blokland und Leming ab. In ihrem ersten Vorschlag zu .webfont schreiben sie, dass bei unlizenzierter Anzeige eines Fonts die entsprechende Site korrekt gerendert, im Browser jedoch ein Hinweis auf die fehlende Lizenz angezeigt werden soll.
Hier tauchten auf der W3C-Mailingliste bereits die ersten Einwände auf. URLs könnten sich im Lauf der Weiterverarbeitung oder Präsentation der Websites über Dienste wie Akamai ändern. Außerdem, so Mozilla-Schriftenexperte John Daggett in einem Posting auf der W3C-Liste, sollten nicht die Besucher der Website verwarnt werden, sondern die Designer, die die Fonts ohne Lizenz nutzen.
Hoffen auf faire User
Trotzdem: Der Druck auf die Font-Hersteller, sich einen neuen Markt zu erschließen, steigt mit der Krise auf dem Markt für Printmedien. "Wir brauchen einen Konsens", schreibt Boardley. Nur wenn sich die Schriftenhäuser auf .webfont einigen könnten, hätte der Standard eine Chance, denn nur dann würde sich das W3C auf Drängen der Industrie in Bewegung setzen.
Leming zeigt sich in seinem Blog bezüglich der Piraterie eingebetteter Fonts realistisch. Die User könnten die Fonts hacken oder eben den Gestaltern Respekt zollen und die Lizenz kaufen. Es gebe keine Verschlüsselung, die nicht irgendwann geknackt werden würde. "Es gibt keine Möglichkeit, das zu verhindern", schreibt Leming, "außer sich darauf zu verlassen, dass die Leute nett zueinander sein werden." Eine sehr hoch gesteckte Hoffnung.
Andererseits stehen die Chancen für .webfont nicht schlecht. Mit OpenType steht ein Schriftenformat bereit, das auf den wichtigsten Desktop-Systemen genutzt werden kann. Nach dem Willen von Leming und Van Blokland soll es auch das erste und zunächst einzige Schriftenformat sein, das von .webfont unterstützt wird. Boardley erwartet, dass die ersten Sites mit .webfont-Technologie frühestens 2011 ans Netz gehen könnten. Bis dahin könnten sich die Designer mit neuen Diensten wie dem im Mai 2009 vorgestellten TypeKit behelfen, der Schriften bereitstellt, die gegen Gebühr in Websites eingebunden werden können - eine Art Streaming-Modell für Fonts.
Teure Mitgliedschaft im W3C
Die Schwierigkeiten mit den Schriften im Web werfen auch Schlaglichter auf Probleme in den Standardisierungsprozessen. "Ich wollte dem W3C beitreten, um in der Arbeitsgruppe mitmachen zu können", schreibt Leming in seinem Weblog, "aber die Mitgliedschaft würde mich in den ersten drei Jahren 7.900 US-Dollar pro Jahr kosten, dazu kämen noch die Ausgaben für die Reisen zu den Meetings. Außerdem sieht es so aus, als ob die Diskussionen hinter verschlossenen Türen stattfinden würden. Das ist ziemlich deprimierend."
Deprimierend ist auch die Aussicht, beim Scheitern des neuen Standardisierungsversuchs weiterhin auf die dreieinhalb Schriften starren zu müssen, die mit den Betriebssystemen mitgeliefert werden. Linderung verschaffen allenfalls Open-Source-Fonts wie die Bitstream Vera, die im Desktop-Projekt Gnome verwendet wird. Anders als bei der Open-Source-Software ist allerdings nicht zu erwarten, dass allzu viele Firmen die Entwicklung freier Schriften querfinanzieren werden.
Weitere halbfette und magere Jahre stehen den Web-Typografen also bevor, eine witzlose Situation, die eigentlich nach dem Einsatz von Microsofts Comic Sans verlangen würde. Leider hat Redmond seine Initiative Core Fonts for the Web, in deren Rahmen auch die Comic Sans kostenlos heruntergeladen werden konnte, bereits 2002 eingestellt - wegen regelmäßiger Verletzung der Lizenzbedingungen.
(futurezone/Günter Hack)