"Situationssuchmaschine" für Smartphones
Mit Mobeedo will der österreichische Anbieter Sengaro ein "Echtzeit-Informationssystem für das mobile Zeitalter" anbieten. Es soll vor allem Fußgängern und Radfahrern die Navigation erleichtern. Bisher nur auf Android-Handys verfügbar, zieht die "Situationssuchmaschine" nun auch auf Apples iPhone ein - nach einigen Schwierigkeiten. "Apple ist allmächtig in seiner Welt", meint Mobeedo-Erfinder Christian Vogt.
Die Idee für Mobeedo sei ihm vor drei Jahren gekommen, erzählt Vogt, damals Assistent für theoretische Informatik an der Universität Innsbruck. "Es war eigentlich ein rein akademisches Interesse. Handys sind perfekte Kommunikationszentralen, nur die Information wurde immer vernachlässigt. Sie können auf einem Desktop-Computer relativ einfach suchen, auf einem Handy wird das schon viel komplizierter, das gilt vor allem für damals. Ich wollte die mobile Suche schnell und handlich machen und sie wirklich an die Mobilität anpassen."
Herausgekommen ist Mobeedo, eine Situationssuchmaschine, wie Vogt sie selbst klassifiziert. Die Idee ist, dass Informationen automatisch aufs Handy geliefert werden und nicht erst gezielt gesucht werden müssen - und zwar selbst dann, wenn der Nutzer eigentlich gar keinen Informationsbedarf verspürt. Statt wie auf dem Desktop nach Schlagworten zu suchen, nutzt Mobeedo den aktuellen Standort, um ihm möglichst viele relevante Infos drumherum zu liefern.
Hintergrundinformationen über den Standort
Auf der Mobeedo-Karte sind verschiedene Points of Interest (POIs) eingezeichnet, die mit Informationen hinterlegt sind, beispielsweise mit Artikeln aus der Wikipedia. Sobald sich der Nutzer diesen POIs nähert, scheinen auf dem Handy die entsprechenden Informationen auf - unter Berücksichtigung der speziellen Interessen und Einstellungen des Nutzers. Neben diesen POIs, die eine Sehenswürdigkeit, eine Apotheke oder ein Lokal sein können, gibt es sogenannte Infoareas.
Sobald sich der Nutzer in diese Infoareas begibt, die im System mit genau definierten Polygonen umrissen sind, bekommt er ebenfalls automatisch die passenden Informationen dazu aufs Handy geliefert. Diese sind nicht nur deskriptiv nach Art eines Touristenführers, sondern durchwegs praktischer Natur in Form von Veranstaltungshinweisen, Zugfahrplänen, dem Netz der öffentlichen Verkehrsmittel, aktuellen Wetterinformationen und Nachrichten zum jeweiligen Gebiet. Ein lokalisierter Twitter-Feed, ein Höhenmesser (auf Basis von NASA-Daten) und ein Wörterbuch sind ebenfalls vorhanden.
"Wo bin ich überhaupt?"
Zusätzlich zeigt Mobeedo dem Nutzer, neben der automatischen Zentrierung der Karte, seine aktuelle Blickrichtung an, demnächst sollen noch Abstandskreise dazukommen. "Ich habe den Leuten beim Kartenstudieren zugeschaut, und die erste Frage war immer: Wo bin ich überhaupt, danach: Wie rum muss ich die Karte halten und: Wie weit ist es noch? Das alles versuchen wir, mit Mobeedo zu lösen. Selbst wenn es gar keine weiteren Inhalte gäbe, ist es so immer noch ein nützliches Orientierungs- und Navigationssystem für Fußgänger und Radfahrer", so Vogt.
Die Inhalte werden einerseits vom Anbieter selbst eingepflegt, aber auch von der Community und kommerziellen Nutzern beziehungsweise Drittanbietern. Mobeedo selbst greift regelmäßig standardisiert verfügbare Informationen von großen Inhalteanbietern wie der Wikipedia und Open Street Maps ab und speichert sie auf eigenen Servern. Da Wikipedia die Anfragen pro Zeiteinheit beschränke, nutze man die regelmäßig als Paket zur Verfügung gestellten Inhalte der freien Web-Enzyklopädie, erklärt Vogt. Andere Informationen wie Zugsfahrpläne werden direkt aus dem Netz bezogen. Die Idee sei, jede verfügbare Web-Ressource in all jenen Situationen anzuhängen, in denen sie relevant sei.
Geschäfte mit Karten
Neben den kommerziellen Nutzern verdient Sengaro, die Firma hinter Mobeedo, mit dem Verkauf von Teilen des Mobeedo-Systems mittlerweile ausreichend, um in den letzten Monaten positiv bilanzieren zu können, erzählt Vogt. So wurde für den österreichischen Alpenweltverlag ein geschlossenes Wanderkartensystem gebaut, mit dem Zoo Dortmund und der Universität Dortmund wird gerade ein Zooführer entwickelt, der etwa vor jedem Gehege passende Informationen zu den Tieren liefert. Gemeinsam mit dem ebenfalls heimischen Entwickler Wikitude wurde für IBM eine Kartenlösung für das Tennisturnier in Wimbledon realisiert, die nun auch bei den US-Open zum Einsatz kommen soll. Ein Audioguide für einen Touristikanbieter im Kleinen Walsertal wurde ebenfalls entwickelt.
Um das Ziel, Mobooedo zu einem weltweit nützlichen System mit entsprechenden Inhalten zu machen, verwirklichen zu können, brauche Sengaro aber mehr Geld, als bisher verdient wurde, und dazu suche man im Moment Investoren, so Vogt weiter. Es sei nicht immer ganz einfach, das Prinzip hinter Mobeedo zu erklären, vor allem das Geschäftsmodell, das auf der Größe der Polygone beruht. Nebenbei bemühe man sich weltweit um bereits bestehende Communitys und deren Inhalte, um die Informationen auf Mobeedo noch weiter auszubauen.
Positionsabhängige Einkaufszettel
Für detaillierte Infos ist die Community zuständig: "Wenn ich eine Information habe, kann ich sie selbst mit verschiedenen Parametern über das Online-Portal ins System einspielen", so Vogt. So kann man für Innsbruck auf Mobeedo etwa via Couchsurfing.org ein Sofa zum Schlafen finden. Nach Art der Wikipedia kann jeder die Informationen verändern und offline stellen. Eingeschränkte Benutzergruppen, etwa den eigenen Freundeskreis, gibt es nicht, daran wird laut Vogt gearbeitet. Dafür kann man nur für den privaten Gebrauch gedachte Infos einstellen, wie etwa eine positionsabhängige Notiz für den nächsten Besuch im Supermarkt, um beim Einkauf die Milch nicht zu vergessen.
Die dritte Säule der Informationsbeschaffung sind professionelle und kommerzielle Partner, die dafür zahlen, dass ihre Inhalte ins System kommen. Für Deutschland unterhält Sengaro zum Beispiel eine Kooperation mit der Branchen-Suchmaschine x-ops.mobi, die Einnahmen für die dabei eingeblendete Werbung werden geteilt. Grundsätzlich könne jeder seine Inhalte kostenlos und ohne Hilfe auf Mobeedo einpflegen, so Vogt, es gebe dafür auch entsprechende Schnittstellen. Wenn etwa eine Restaurantkette aber dafür zahlt, bekommt sie bestimmte Privilegien, wie den Schutz vor Veränderungen durch die Community. Demnächst sollen diese Premiumpartner auch ihre eigenen Firmenlogos im System verwenden können, um sich vom Wettbewerb besser abheben zu können.
Für die Nutzer kostenlos
Die Nutzung von Mobeedo ist kostenlos, auch die neue iPhone-App ist gratis: "Das ist im Web unumgänglich, es muss alles kostenlos sein für den Endnutzer. Und für nicht-kommerzielle Informationsanbieter. Das ist meine Philosophie", erklärt Vogt. Im Endeffekt müsse er aber damit natürlich Geld verdienen, schließlich arbeiten mittlerweile zwölf Leute an und für Mobeedo. "Ob es jemals das große Geld bringen wird, weiß ich nicht, es ist mir aber, ehrlich gesagt, auch egal, auch wenn mir das niemand glaubt. Meine Vision war ein Informationssystem für das mobile Zeitalter, und das heißt unter anderem auch, dass es offen ist und jeder drauf tun kann, was er möchte und dass es keine geschlossenen Benutzergruppen gibt, denen wir freundlicherweise die Erlaubnis geben."
Offenheit sei ein ganz entscheidender Punkt, das impliziere aber auch, dass, wenn der Anbieter von jemandem Geld für das Hochladen von Inhalten nimmt, dieser Zusatzfunktionen wie den Schutz seiner Inhalte erhält. "Wir unterscheiden auch grundsätzlich nicht zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Inhalten. Content ist für uns nur dann kommerziell, wenn fürs Hochladen gezahlt wird. Wenn jemand zahlt, kann er hochladen, was er will. Wenn jemand dafür bezahlt, wird er Informationen nur dort anbringen, wo die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie auch relevant ist", ist sich Vogt sicher, allzu viel Werbungsspam aus dem System außen vor halten zu können. Er selbst wolle so wenig Werbung wie möglich auf dem System, vor allem nicht in Form von ungezielter Werbung. Das Google-System, Werbung in Bezug zu den gesuchten Inhalten zu setzen, sei aber durchaus nützlich und brauchbar.
Virtuelle Ländereien
Um das System vor Manipulationen durch Suchmaschinenoptimierer zu schützen, wurden zudem einige "Stolpersteine" eingezogen. So wird zum Beispiel eine Inforarea für zahlende Nutzer umso teurer, je größer sie ist. Die Größe beeinflusst zudem die Reihung unter den restlichen Informationen: Je kleiner ein Areal (etwa der Wiener Stadtpark), desto weiter oben in der Liste wird es angezeigt, weil der Nutzer aus einem kleinen Areal auch am schnellsten wieder herausfällt. Große Infoareas (etwa Großraum Innsbruck) werden ganz unten in der Liste gereiht. "Man motiviert so die Menschen, sich mit Bescheidenheit nach oben zu ranken", meint Vogt. Um die Informationen möglichst passgenau zu machen und eine Informationsflut zu vermeiden, könne der Nutzer zudem zahlreiche Parameter einstellen.
Die Frage, warum ein iPhone-Client erst jetzt auf den Markt komme, erklärt Vogt damit, dass er den Erfolg des Apple-Handys anfangs unterschätzt habe. Es gebe jetzt auch schon Stimmen, die sagen würden, dass das iPhone seinen Zenit erreicht habe. Googles Android hingegen werde eine große Sache, ist sich Vogt sicher, daher hätten er und sein Partner Robert Walter sich darauf konzentriert: "Es wurde ja lange gemunkelt, dass Google ein Handy macht. Sie waren aber clever und haben eine Plattform gebaut, die sie verschenken und wie einen Virus verteilen. Wenn genügend Handys damit ausgestattet sind, dann schieben sie irgendwelche Dinge nach."
Mobeedo soll auch auf anderen Handyplattformen einziehen, so Vogt, es sei allerdings deutlich schwieriger, für Symbian und Windows Mobile zu entwickeln, nicht zuletzt, weil die Geräteauswahl viel größer ist. So sei nicht sicher, dass die Applikation auch auf allen Geräten wirklich laufen. Zwar sei dafür auch die Verbreitung der Systeme größer, bisher sei der App-Store auf dem iPhone aber der größte Markt, während der von Android noch recht klein sei und die anderen überhaupt erst angefangen haben.
Android vs. iPhone
Googles Android und Apples iPhone seien zudem zwei ganz unterschiedliche Welten: "Apples größte Angst ist, dass ihnen jemand ihre schönen Produkte versaut. Sie machen voll integrierte Produkte, von den Grundzügen der Hardware bis zu den Details der Software haben sie alles in der Hand und verkaufen nur das Gesamtpaket." Zudem sei Apple bei seinem Genehmigungsprozess für den App-Store im völligen Gegensatz zu Android sehr restriktiv, wie auch Mobeedo erfahren musste: "Wir haben die App eingereicht, und dann gab es drei, vier Review-Prozesse. Sie haben uns nicht gleich alles gesagt, immer wieder kam etwas, was ihnen nicht gefallen hat." Grundsätzlich fände er die Richtlinien von Apple aber nicht schlecht, denn am Ende könne man davon ausgehen, dass ein iPhone-Client technisch perfekt sei und sich gut eingliedere. "Das macht richtig Spaß."
Schließlich sei nach einigen Wochen Hin und Her von Apple eine E-Mail gekommen, dass nun alles passe, aber noch eine Altersklassifizierung fehle: "Wir haben gesagt, vier plus, denn es gibt ja auf Mobeedo nichts, was man einem Kind vorenthalten müsste. Dann allerdings kam die E-Mail zurück, wir sollten es doch bitte in die Kategorie 17 plus einordnen. Warum? Die Begründung war, dass man im verlinkten Wörterbuch dict.cc unanständige Wörter nachschlagen könne. Das ist wirklich wahr."
Warten auf die iPhone-Freigabe
Apple sei uneinsichtig geblieben: "Wir haben uns beschwert und argumentiert, dass wir ein Web-2.0-Projekt sind, bei dem jeder alles drauf tun könne und sich die Community selbst reguliert. Aber das haben sie nicht verstanden, sie haben das Prinzip des Web 2.0 nicht verstanden. Es gibt ja auch die Wikipedia auf dem iPhone, da kann man auch alle möglichen Dinge nachschauen, aber das haben sie ignoriert. Apple ist allmächtig in seiner Welt, man muss sich das bieten lassen." Also habe Mobeedo sich der 17-plus-Klassifizierung gebeugt und warte nun darauf, dass die App freigeschalten wird.
(futurezone/Nadja Igler)