Google Voice: Telefonzentrale in der Tasche
Apples Ablehnung einer Google-Voice-Anwendung für den iPhone-App-Store hat für Schlagzeilen gesorgt und den beteiligten Konzernen eine Nachfrage der US-Regulationsbehörde eingebracht. Grund genug für unseren US-Korrespondenten Janko Röttgers, einen genaueren Blick auf Google Voice zu werfen. Das System bietet eine Vielzahl interessanter Funktionen, gibt aber Google auch zahlreiche intime Daten an die Hand.
Google hat vor rund eineinhalb Monaten eine iPhone-Anwendung zur Nutzung seines Telefonieangebots Google Voice bei Apple eingereicht. Vergangene Woche gab der Suchmaschinenriese überraschend bekannt, dass Apple die Anwendung abgelehnt habe. Praktisch zeitgleich verschwand eine Reihe von inoffiziellen Google-Voice-Anwendungen aus Apples App Store.
Im Netz führten diese Schritte zu zahlreichen Spekulationen: Wollte sich Apple von unliebsamen Konkurrenten für die iPhone-Telefoniedienste trennen? Oder steckt doch der US-Telefoniekonzern und Apple-Geschäftspartner AT&T hinter der Ablehnung?
Anwendung im Betatest
Dazu kommt, dass Google Voice selbst bisher nur in den USA verfügbar und auch dort nur eingeladenen Betatestern zugänglich ist. Manch ein Leser fragte sich angesichts der Meldungen deshalb diese Woche auch ganz einfach: Was ist denn eigentlich Google Voice?
Die Idee von Google Voice ist simpel: Nutzer bekommen von Google eine kostenlose Telefonnummer, über die Anrufe auf beliebig viele Telefone weitergeleitet werden können. Wenn dann ein Anruf eingeht, klingeln gleichzeitig das Handy, der heimische Festnetzanschluss und das Telefon im Büro. Nutzer können zudem genaue Regeln festlegen, um Anrufe von einer bestimmten Nummer immer nur auf ein einziges Gerät oder alle Anrufe am späten Abend automatisch zum Google-Voice-Anrufbeantworter weiterzuleiten.
Google als Sekretärin
Dazu besitzt Google Voice eine Art automatische Sekretärin: Wer eine Google-Voice-Nummer anruft, wird erst einmal darum gebeten, sich namentlich zu identifizieren. Google ruft dann beim Google-Voice-Nutzer an und fragt nach, ob man denn wirklich mit diesem Gesprächspartner reden will.
Maulfaule Nutzer können unerwünschte Anrufe dabei automatisch zum Anrufbeantworter weiterleiten. Wer Angst hat, etwas Wichtiges zu verpassen, hört einfach in Echtzeit in die auf den Anrufbeantworter gesprochene Nachricht hinein und kann das Gespräch im Zweifelsfall jederzeit annehmen. Wer zu Zeiten analoger Anrufbeantworter schon gerne neben dem Gerät saß und eingehende Anrufe aussiebte, kann das nun also dank Google Voice auch mit dem Handy tun.
Aufgenommene Anrufbeantworter-Nachrichten werden von Google automatisch transkribiert und sind wenige Minuten nach dem Anruf per SMS, E-Mail und über den eigenen Google-Voice-Account auch im Web verfügbar. Im Test erwiesen sich die Resultate dieser computergenerierten Mitschriften teilweise noch als deutlich verbesserungswürdig. Für eine erste Idee, worum es in der Nachricht geht, reicht es jedoch allemal.
Intelligenter Anrufbeantworter
Anrufbeantworter-Nachrichten lassen sich zudem auch auf der Google-Voice-Website als Audiodateien abspielen und im MP3-Format herunterladen. Wer will, kann die Nachrichten sogar als Widget in andere Websites einbinden.
Hilfreich ist Google Voice auch im Umgang mit unerwünschten Werbeanrufen und vergleichbaren Ärgernissen. Nutzer können eingehende Rufnummern ganz einfach komplett blockieren. Danach bekommen derartige Anrufer eine Nachricht vorgespielt, die ihnen erklärt, die fragliche Nummer sei nicht mehr im Gebrauch.
Richtig interessant wird Google Voice jedoch erst im Zusammenspiel mit mobilen Anwendungen wie der jetzt abgelehnten iPhone-Software. Google veröffentlichte vor zwei Wochen eine vergleichbare Applikation für BlackBerrys und Handys mit dem hauseigenen Android-Betriebssystem.
Nutzer von Android-Telefonen können damit beispielsweise jeden ausgehenden Anruf über Google Voice vermitteln lassen, so dass Gesprächspartner automatisch immer die eigene Google-Voice-Nummer angezeigt bekommen. Google Voice ermöglicht zudem das kostenlose Verschicken von SMS-Nachrichten direkt vom Handy aus - praktisch für Nutzer, die nur ein begrenztes SMS-Freikontingent besitzen.
Keine klassische VoIP-Anwendung
Bei Googles mobilen Voice-Anwendungen handelt es sich allerdings nicht um VoIP-Software im klassischen Sinne. Alle Anrufe laufen weiterhin übers herkömmliche Mobilfunknetz. Google schaltet sich dabei lediglich als Zwischeninstanz ein, so dass Auslandsgespräche beispielsweise über Googles Inlandsnummer geführt und weitergeleitet werden. Einige Tüftler haben zwar mittlerweile herausgefunden, wie Android-Nutzer mit Hilfe von SIP-Software und Google Voice komplett kostenlos telefonieren können, doch diese Lösungen sind vergleichsweise kompliziert.
Warum lehnte Apple also die Aufnahme der Google-Voice-Applikation in den App Store des iPhone ab? Die meisten Blogger und Fachjournalisten mutmaßten, die Ablehnung sei auf Druck des US-Mobilfunkanbieters AT&T geschehen. AT&T besitzt in den USA einen Exklusivdeal für das iPhone. Das kostenlose Versenden von SMS-Nachrichten und die Möglichkeit zu billigen internationalen Telefongesprächen sei Grund genug für AT&T, gegen die Anwendung vorzugehen, glauben viele.
Dementis von AT&T, Schweigen von Apple
Möglich wäre jedoch auch, dass Apple eigenmächtig aktiv wurde, um die eigene Position in zukünftigen Verhandlungen mit Telefoniekonzernen zu stärken. AT&T selbst hat dazu mittlerweile erklärt, dass man keinen Einfluss auf das Angebot des App Store habe. Apple will sich bisher zu der ganzen Affäre überhaupt nicht äußern. Beide Unternehmen werden ihre Vorgehensweise aber schon bald zu erklären haben. Die US-Regulierungsbehörde FCC verschickte am vergangenen Freitag Anfragen an Apple und AT&T, in denen Erklärungen für die Ablehnung des Programms gefordert werden.
All diese Schuldzuweisungen lassen Google als klaren moralischen Sieger dastehen. Dabei gerät in Vergessenheit, dass ein Dienst wie Google Voice natürlich auch seine Schattenseiten hat. Wer Google Voice als zentrale Vermittlungsinstanz für all seine Telefongespräche nutzt, gibt dem Suchmaschinenriesen damit Zugriff all seine Verbindungsdaten. Nutzer können diese Daten zwar über die Website löschen, doch Google warnt, dass Offline-Backups auch nach einer Löschung weiterexistieren könnten.
Data-Retention mit Google
Gleichzeitig sind das natürlich keine neuen Daten. Wer wen zu welcher Zeit und wie lange anruft - all diese Informationen waren bisher in den Händen klassischer Telefongesellschaften. Mit Google Voice wechseln sie zu Google.
Glaubt man der Firma, dann ist Google Voice sogar ein Schritt zu mehr Datenschutz. Auf der Website des Konzerns heißt es dazu: "Google Voice ermöglicht es, Anrufe mit dem Telefon ihrer Wahl entgegenzunehmen, ohne dass der Anrufer ihren Aufenthaltsort kennt. Niemand braucht zu wissen, ob sie daheim, am Arbeitsplatz oder am Strand sind."
(Janko Röttgers)