USA wollen Macht über die ICANN halten
Der zuständige Ausschuss des US-Repräsentantenhauses spricht sich für eine engere Anbindung der obersten Internet-Verwaltungsbehörde (ICANN) an die Regierung der USA aus. In diesem Herbst läuft der Vertrag aus, der ICANN an die Entscheidungen des US-Handelsministeriums bindet. Die Chancen, dass ICANN von der US-Regierung in die Unabhängigkeit entlassen wird, schwinden mit dem Votum des Kongresses rapide.
Am 30. September läuft die Vereinbarung aus, die der US-Regierung eine Aufsichtsfunktion über ICANN einräumt. 2006 kündigte die damalige Regierung von George W. Bush an, dass die laufende Vereinbarung mit ICANN die letzte dieser Art sein sollte. Dabei wollte sie eine effektive Kontrolle über die Koordinierung der wichtigsten Funktionen für die weltweite Vergabe von Internet-Namen und -Adressen aufrechterhalten.
Dokument:
Schreiben des Handelsausschusses des US-Repräsentantenhauses vom 4. August 2009 an Handelsminister Gary Locke.
In einem Schreiben vom 4. August an US-Handelsminister Gary Locke sprechen sich die Mitglieder des für ICANN zuständigen Energie- und Handelsausschusses des US-Repräsentantenhauses nun ebenfalls für eine enge Anbindung an die US-Regierung aus. Sie wollen die Vereinbarung nicht verlängern und befristen, sondern über einen Vertrag ein "dauerhaftes Instrument" zwischen ICANN und dem Handelsministerium schaffen. Damit würde ICANN "dauerhaft der Öffentlichkeit und ihren globalen Akteuren rechenschaftspflichtig bleiben".
Wer das Internet regiert
Bei der Frage, wer über ICANN bestimmt, geht es eigentlich um die Frage, wer das Internet regiert. Wichtig ist die ICANN für die Internet-Gemeinde deshalb, weil sie über das Domain Name System (DNS) das Internet zusammenhält. Sie sorgt dafür, dass eine Internet-Adresse in den Zahlencode bzw. die IP-Adresse umgewandelt werden kann, die ein Internet-Rechner versteht. Ein Angriff auf dieses System kann deshalb dafür sorgen, dass eigentlich vorhandene Webseiten nicht mehr gefunden werden.
Die 1998 gegründete ICANN ist eine Non-Profit-Organisation, die ein von der US-Regierung finanziertes Forschungsprojekt in zivilgesellschaftliche Hände überführen sollte. Aus diesem Grund wurde der Vertrag zwischen ICANN und der US-Regierung zeitlich befristet –
inzwischen aber mehrmals verlängert. Die Frage, wie es weitergehen soll, treibt die globale Internet-Gemeinde wie auch Regierungen weltweit seit Jahren um. Erst im Juni hatte EU-Kommissarin Viviane Reding eine stärkere politische Kontrolle seitens der Europäischen
Union gefordert. So soll sich ICANN zwar weiterhin um den Aufbau und den Betrieb der Netzinfrastruktur kümmern dürfen, doch die Kommission möchte ein stärkeres politisches Mitspracherecht.
Die US-Abgeordneten folgen mit ihrem Brief in weiten Teilen der Argumentation großer US-Konzerne aus dem IT- und Telekombereich wie GoDaddy und Verizon, die bei einer Anhörung im Juni darauf bestanden hatten, die ICANN nicht aus der Obhut des Handelsministeriums zu entlassen.
Außer über das Joint Project Agreement / Memorandum of Understanding ist die ICANN auch über den - nicht auslaufenden - Vertrag über die Internet Assigned Names Authority (IANA) an das Handelsministerium der USA gebunden.
Zementierung des gegenwärtigen Status
Das vom Kongress jetzt geforderte "Instrument" bzw. ein neuer Vertrag soll hingegen dafür sorgen, "dass das Handelsministerium seine gegenwärtige Beziehung mit ICANN fortsetzen kann". ICANN soll eine in den USA angesiedelte Non-Profit-Organisation bleiben. Der Vertrag soll dem Ministerium außerdem "regelmäßige Überprüfungen" von ICANN hinsichtlich seiner Transparenz und Rechenschaftspflicht ermöglichen. Das Ministerium soll, so fordert der Kongress, die Aktivitäten von ICANN prüfen, die die "Sicherheit und Stabilität des Internets", das Management bestehender und die Implementation neuer generischer Top-Level-Domains betreffen.
Auf wenig Gegenliebe bei der ICANN dürfte die Vorstellung des Kongresses stoßen, dass "ein Mechanismus für die Implementierung neuer generischer Top-Level-Domains und internationaler Domain-Namen geschaffen werden soll, der eine "angemessene Rücksprache" mit den Akteuren beinhalten soll. Die Satzung der ICANN lässt bislang nämlich Einsprüche von Regierungen nur in Bezug auf die Einführung neuer Verfahren oder Regeln zu. Auf das Tagesgeschäft dürfen sie bislang keinen Einfluss nehmen.
Profit mit Spam und Pornos
Ebenfalls Sprengstoff birgt die Forderung des Kongresses, dass ICANN Maßnahmen ergreifen soll, die einen "rechtzeitigen und öffentlichen" Zugang zu "korrekten und vollständigen" WHOIS-Informationen gewähren. Damit sollen kriminelle Websites und Domain-Namen fragwürdiger Anbieter ausfindig gemacht werden können. Hintergrund hierfür sind Methoden wie "Fast Flux" und "Fast Double Flux", die Betreiber von Botnetzen verwenden, um unerkannt agieren zu können. Sie ändern kurzfristig über ein vorher festgelegtes Programm den Eintrag im Domain-Name-Server. Möglich ist das beispielsweise bei Seiten, die auf .com und .net enden. "Es gibt in der .com-Domain täglich 10 Millionen Änderungen", weiß Netzexperte Lutz Donnerhacke, "erklären lässt sich das nur mit Botnetzen, die Spam, Wurmattacken oder Kinderpornographie verbreiten."
Eigentlich ließe sich das Problem leicht lösen: "Es genügt, die
möglichen Änderungen auf ein paar Mal am Tag zu begrenzen oder zwischen Änderungen eine Wartezeit von 60 Minuten einzubauen", sagt Donnerhacke. Eine solche Begrenzung gibt es beispielsweise bei der zentralen deutschen Registrierungsstelle Denic. Bereits seit 2005 liegt der ICANN ein entsprechender Maßnahmenkatalog vor. Seine Umsetzung aber werde von großen Registraren wie Verisign verhindert,
sagt Donnerhacke: Bei täglich 100.000 Neuanmeldungen allein über Verisign verdienten die Registrare eben sehr viel Geld. Pro Adressänderung kassiert Verisign 6,86 US-Dollar für eine .com-Seite und 4,23 Dollar für eine .net-Seite. Verisign ist übrigens nicht nur der größte Registrar, sondern auch der wichtigste für ICANN: Er übernimmt nämlich im Rahmen des neuen Sicherheitsprotokolls DNS Security Extension (DNSSEC) die Signierung der Rootzone, also der wichtigsten zentralen Systeme des DNS.
Gefahr für die Einheit des Netzes
Die für die meisten Internet-Nutzer aber wohl wichtigste Aufgabe der ICANN besteht darin, ein "Internet für Alle" zu organisieren. Dazu gehört, endlich auch kyrillische, chinesische und arabische Buchstaben in Domainnamen einzuführen. Der Leipziger Kommunikationswissenschaftler und ICANN-Kenner Wolfgang Kleinwächter erklärt: "Immerhin die Hälfte der Menschheit verwendet Schriften, die nicht auf dem lateinischen Alphabet basieren."
Kleinwächter erwartet nach dem Brief der US-Abgeordneten deshalb einen "Aufschrei der Öffentlichkeit", da ICANN damit zu einer Filiale der US-Regierung werde. Er glaubt, dass sich insbesondere die Chinesen und Russen nicht von den Amerikanern vorschreiben lassen wollen, wie sie ihre Schriftzeichen im Top-Level-Domain-Bereich verwenden dürfen. Für Kleinwächter ist klar: "Wenn die Amerikaner die Zügel anziehen, dann wird das Staaten wie Russland, China, Brasilien und Indien motivieren, ihre eigenen Strukturen aufzusetzen."
(Christiane Schulzki-Haddouti)