© Microsoft, Filmteam vor rundem Schwimmbassin

Microsofts virale Werbung

MEDIEN
16.08.2009

Microsoft Deutschland hat diese Woche mit einem viralen YouTube-Video Schlagzeilen gemacht, das einen atemberaubenden Wasserrutschen-Stunt zeigt. Der Clip verzeichnete weltweit mehr als zwei Millionen Zugriffe. Ob es mit viralem Marketing gelingt, den Usern in die Nischen der Sozialen Netzwerke zu folgen, oder ob die Nutzer am Ende nur verschnupft reagieren, darüber streiten sich die Experten.

Vor ein paar Wochen tauchten im Netz die ersten Videos eines Ingenieurs namens Bruno Kammerl auf, der Investoren für die größte Wasserrutsche der Welt suchte. Kammerl hatte dazu angeblich ein reibungsverlustfreies Spezialmaterial entwickelt. Angetrieben wurde Kammerl von der Suche nach dem Glücksgefühl, das er als Kind auf Rutschen erfahren hatte, erklärte er in einem der Videos.

Anfang letzter Woche veröffentlichte Kammerl dann das Video eines ersten Feldtests seiner Rutsche in YouTube - und beeindruckte damit Netznutzer auf der ganzen Welt. Das Video zeigt einen Mann, der von einer improvisierten Rutsche aus 35 Meter Höhe durch die Luft katapultiert wird und dann unversehrt in einem kleinen Aufblasschwimmbecken landet.

Spuren führen zu Microsoft

Kammerls unglaublicher Stunt wurde im Netz innerhalb kürzester Zeit zum Hit. Zahllose YouTube-Nutzer und Blogger debattierten engagiert darüber, ob es sich bei dem Video um eine Fälschung handelte. Bei den meisten Zuschauern überwog die Skepsis. Nicht wenigen ging es dabei jedoch wie dem bekannten Gizmodo-Blogger Adam Frucci, der schrieb: "Ist das ein Fake? Ich schätze schon, aber ich wünschte mir wirklich, es wäre echt."

Einige Blogger begannen schnell damit, nach Indizien für eine Fälschung zu suchen. Dabei entdeckten sie schon nach wenigen Tagen, dass Kammerls Website von einem Mitarbeiter der Marketingagentur MRM Worldwide Germany registriert worden war. Die Werber reagierten darauf vor einer Woche, indem sie den Auftraggeber auf Kammerls Website enthüllten. Das Video war im Auftrag von Microsoft Deutschland erstellt worden, um damit für Microsoft Office Project 2007 zu werben.

Nur zwei Eimer Wasser

Ein paar Tage später folgte dann die Enthüllung, dass es sich bei dem unglaublichen Sprung definitiv um einen Trick handelt. Ein unscharfes Handyvideo vom Drehort offenbarte, dass der für die Produktion genutzte Stuntman in Wirklichkeit mit einem Seil abgesichert war, um die rasante Rutschpartie schon nach ein paar Metern zu beenden.

Der Rest des Sprungs ist eine Kombination von Animation und Compositing, also dem Kombinieren mehrerer Layer zu einem überzeugenden Endresultat. Und der Sprung ins Becken war ebenfalls getürkt. "In Wirklichkeit ist er von einer Holzrampe in das Wasserbecken gesprungen", berichtete Maik Königs von der beteiligten Viralmarketingagentur Elbkind.

Die für den Dreh engagierten Filmemacher nahmen das der Montage zugrunde liegende Video bewusst ohne Schnitte auf, um das Ergebnis möglichst realistisch aussehen zu lassen. Die Position der Kamera sowie die zeitliche Abstimmung des Schwenks und des Zoomens sei deshalb sehr wichtig gewesen. Gleichzeitig versteckten die Macher des Videos einige Hinweise im Video. So wurde die Tonspur bewusst dramatisch gestaltet, und man verzichtete komplett auf aufnahmetypische Tonverzögerungen. "Diese Indizien und die Tatsache, dass die Jungs nur zwei Eimer Wasser (auf die Rutsche) schütten, geben dem Clip eine augenzwinkernde Qualität", heißt es dazu in einem gemeinsamen Statement der Filmkünstler Niko Hannack, Minh Duong und Thorsten Harms von der Münchner Produktionsfirma Oki Films.

Von YouTube ins US-Fernsehen

Ursprünglich war geplant, Kammerls Geschichte noch etwas länger laufen zu lassen, ohne Microsofts Mitwirken zu offenbaren. Als jedoch die ersten Hinweise darauf in Blogs auftauchten, änderte man den Zeitplan. "Virale Kommunikation ist ein dynamischer Prozess", meint Königs dazu. Man müsse immer einen Plan B haben, um auf alle Eventualitäten gefasst zu sein.

Bei Microsoft wertet man die Kampagne trotzdem als vollen Erfolg. "Wir sind überwältigt", berichtet Microsofts Communications Manager Katja Pischel. Man sei sehr zufrieden mit der überwiegend positiven Resonanz, die das Video weltweit erfahren habe. Kammerls Clip schaffte es unter anderem ins US-Fernsehen, und die bereits zweisprachige Kampagnen-Website soll in den nächsten Tagen auch ins Spanische und Finnische übersetzt werden.

Und was bringt das Microsoft?

Doch was hat Microsoft eigentlich davon, dass sich Millionen von Menschen einen Clip in YouTube anschauen, der die Firma mit keinem Wort beim Namen nennt? Ziel der Kampagne sei es gewesen, Microsofts-Office-Project-Programm mit einer emotionalen Kampagne zu bewerben, heißt es dazu von dem Software-Konzern.

Kammerl nutzte Project unter anderem, um auf seiner Website Tabellen und schematische Zeichnungen anzufertigen. Microsoft bietet zudem auf Megawoosh.com mittlerweile nicht nur eine Demoversion von Project, sondern auch eine Möglichkeit zum Kaufen des klassischen Office-Pakets an. Der große Geldregen lässt jedoch offenbar noch auf sich warten: Der Konzern spricht bisher von "zweistelligen Conversion-Raten".

Viral, egal

Microsoft gibt denn auch unumwunden zu, dass eine derartige Kampagne nicht zu unzähligen neuen Kunden führen wird. "Für uns sind die Blogs und das Feedback das Spannendste an so einer Kampagne", meint Project-Produktmanager Florian Müller. Dazu gehört dann auch, dass diese Reaktionen nicht immer positiv sind. So schrieb der bloggende Werber David Saxe, die Kampagne sei zum Scheitern verurteilt. "Wahrscheinlich werden damit mehr Wasserrutschen verkauft als Office-Pakete", so sein Urteil. Saxe missfällt insbesondere, dass das Video auf Tricks setzte. Seine Vorwurf an Microsoft: "Ihr habt versucht, euer Publikum hereinzulegen."

Müller hält solche Rückmeldungen für sehr wichtig. "Viral lebt davon, dass man es als Unterhaltung wahrnimmt." Das Publikum dürfe sich nicht veralbert vorkommen, sonst kippe die Stimmung. Im Falle von Bruno Kammerl sei das überwiegend gelungen, glaubt er, doch in den nächsten Wochen werde man alle Reaktionen im Detail auswerten. Dass es davon so viele gebe, sei für Firmen wie Microsoft eine völlig neue Erfahrung. Müller dazu: "Klassische Werbekampagnen leiden an einem Punkt: Es gibt kein Feedback."

(Janko Röttgers)