Das Tauschbörsenurteil und die Folgen
Nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH) besteht in Österreich derzeit keine Auskunftspflicht von Internet-Anbietern über die Daten von Nutzern, die im Verdacht stehen, urheberrechtlich geschützte Inhalte aus Filesharing-Netzwerken weitergegeben zu haben. Internet-Anbieter und Rechteverwerter beurteilen die OGH-Entscheidung positiv - aus unterschiedlichen Gründen.
"Wir begrüßen das Urteil, weil es Klarheit für die Internet-Anbieter schafft", sagt Andreas Koman, Präsident des Providerverbandes ISPA und Justiziar beim Anbieter Tele2 in einer Reaktion auf die am Donnerstag bekannt gegebene OGH-Entscheidung. Auch Franz Medwenitsch, Geschäftsführer des Verbandes des Österreichischen Musikwirtschaft IFPI Austria, kann dem Richterspruch positive Seiten abgewinnen. "Das OGH-Urteil ist das Ende eines mehrjährigen Testprozesses und gleichzeitig der Beginn einer inhaltlichen Diskussion mit dem österreichischen Gesetzgeber. In seiner Urteilsbegründung weist der OGH klar den Weg für eine gesetzliche Lösung."
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Keine Auskunftspflicht
Konkret stellte der Oberste Gerichtshof in dem seit mehreren Jahren laufenden Verfahren zwischen der österreichischen Verwertungsgesellschaft LSG und dem Internet-Anbieter Tele2 fest, dass heimische Internet-Provider nach dem derzeit geltenden Telekommunikationsgesetz (TKG) aus dem Jahr 2003 die persönlichen Verkehrsdaten ihrer Nutzer unverzüglich löschen müssen und daher nicht dazu verpflichtet werden können, den Rechteinhabern ohne Einschaltung eines Gerichts Auskunft über diese Daten zu erteilen.
In der Praxis bedeutet die Entscheidung des OGH, dass Rechteinhaber bis auf weiteres von Internet-Anbietern keinerlei Informationen darüber bekommen können, wer zu welchem Zeitpunkt Inhaber welcher dynamischen IP-Adresse war und möglicherweise in Filesharing-Netzwerken Urheberrechtsverletzungen begangen hat. Das österreichische Urheberrechtsgesetz (Paragraf 87b Abs 3) billigt den Rechteinhabern diese Möglichkeit zwar grundsätzlich zu, der OGH kam jedoch zu dem Schluss, dass die Verarbeitung von Verkehrsdaten zu diesem Zweck rechtswidrig ist.
Auch mit der Hilfe eines Gerichts können die Rechteverwerter derzeit nicht rechnen. Denn seit der am 1.1.2008 in Kraft getretenen Reform der Strafprozessordnung gibt es bei Privatanklagedelikten kein Ermittlungsverfahren mehr. Die Identität von Internet-Nutzern hinter IP-Adressen kann deshalb auch nicht mehr von einem Richter ausgeforscht werden.
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"Karten werden neu gemischt"
Das "goldene Zeitalter" für Tauschbörsen in Österreich wird vermutlich nicht mehr lange dauern. Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (Data Retention), die in Österreich im Herbst in Begutachtung gehen soll und voraussichtlich im Frühjahr 2010 in Kraft treten wird, könnte sich die Lage grundsätzlich ändern. Die umstrittene Richtlinie verpflichtet Internet-Anbieter die Verbindungsdaten ihrer Nutzer mindestens sechs Monate lang zu speichern.
"Sobald die Daten gespeichert werden müssen, werden die Karten neu gemischt", meint der Salzburger Richter und Betreiber der Website Internet4Jurists, Franz Schmidbauer. Die Richtlinie sehe zwar vor, dass die Daten nur zur Verfolgung schwerer Straftaten gespeichert werden. Seien die Daten erst einmal vorhanden, würden auch Begehrlichkeiten auftreten, so Schmidbauer. Ob die bei der Vorratsdatenspeicherung erhobenen Daten auch bei Bagatelldelikten, wie etwa Urheberrechtsverletzungen im privaten Rahmen, weitergegeben werden dürfen, hänge letztlich aber davon ab, ob der Gesetzgeber eine Zweckbindung bei der Herausgabe der Daten festlege.
EuGH: Sache der Mitgliedsstaaten
Nach einem Spruch des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Jänner 2008 bleibt es den Mitgliedsstaaten überlassen, wie sie mit der Weitergabe personenbezogener Verkehrsdaten zum Zwecke der zivilrechtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen an Rechteinhaber umgehen.
IFPI: "Zivilrechtlicher Auskunftsanspruch möglich"
Damit sei klar, dass zivilrechtliche Auskunftsansprüche mit oder ohne Richtervorbehalt gemeinschaftsrechtlich möglich sind, meint IFPI-Geschäftsführer Medwenitsch. Es liege nun am österreichischen Gesetzgeber, eine EU-konforme datenschutzrechtliche Grundlage zu schaffen.
Die IFPI hat seit 2004 nach eigenen Angaben rund 1.000 Fälle wegen Urheberrechtsverletzungen im Netz aufgegriffen. Die meisten davon seien längst verglichen, so Medwenitsch.
ISPA: "Weitergabe nur über richterlichen Beschluss"
ISPA-Präsident Koman, wünscht sich im Zusammenhang mit der Weitergabe von Nutzerdaten an Rechteinhaber einen "klaren und praktikablen Prozess", bei dem die Herausgabe von Daten durch Internet-Anbieter nur über einen richterlichen Beschluss möglich ist: "Die Beurteilung darf nicht dem Internet-Anbieter überlassen werden."
"Deutsche Lösung"
In der OGH-Entscheidung wird mehrfach auf die "deutsche Lösung" verwiesen, die die Einschaltung eines Zivilrichters bei der Weitergabe von Nutzerdaten beim Verdacht von Urheberrechtsverletzungen im privaten Rahmen vorsieht. Ein solches Verfahren sei auch in Österreich denkbar, "wenn dies für den Ausgleich der betroffenen Grundrechte notwendig sein sollte", meint Medwenitsch.
Für den Richter Schmidbauer ist eine solche Lösung zwar nicht "das Gelbe vom Ei", sie sei aber immer noch besser als "eine Auskunft auf Zuruf, bei der die Provider in eine Polizeirolle gedrängt werden."
"Bisher wichtigste Entscheidung zum Internet"
Die Entscheidung des OGH sieht Schmidbauer als die bisher wichtigste Entscheidung zum Internet in Österreich. Ihre Bedeutung gehe weit über die Tauschbörsenfälle hinaus: "Es geht um nichts weniger als die Frage, unter welchen Voraussetzungen die in der Praxis so wichtige Anonymität des Internetusers aufgehoben werden darf." Das Kernproblem dabei sei die Rechtsnatur der IP-Adresse. "Oder genauer gesagt, welche Grundrechte durch die Offenlegung betroffen sind."
Der OGH habe zwar klargestellt, dass dynamisch zugewiesene IP-Adressen Verkehrsdaten sind und damit größeren Schutz genießen als Stammdaten. Der Bedeutung der IP-Adresse werde die Entscheidung aber nicht gerecht, so Schmidbauer. Diese Frage werde wohl vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMGR) beantwortet werden: "Das kann noch lange dauern."
(futurezone/Patrick Dax)