© Tale of Tales, The Path von Tale of Tales: Gesicht eines Mädchens

Mehr Herz und Hirn für Videospiele

GAMES
21.08.2009

Innovation ist bei Videospielen derzeit Mangelware, viele Games sind oft nur Varianten bewährter Spielkonzepte. Doch gerade unabhängige Entwicklerstudios zeigen eindrucksvoll, dass das Spiel mit Emotionen der Games-Branche ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Unterdessen wird der Ruf nach mehr intellektuellem Tiefgang für Spiele immer lauter.

Auf der Suche nach interessanten neuen Spielkonzepten landet man momentan hauptsächlich bei kleinen und unabhängigen Spieleentwicklern wie Thatgamecompany und Tale of Tales. Ihre Spiele "Flower" (PS3) beziehungsweise "The Path" (PC) zeichnen sich durch einen gänzlich anderen Zugang aus: Sie haben das Spiel mit den Gefühlen entdeckt, statt sich etwa auf die Spielmechanik oder das Sammeln von Erfolgen zu konzentrieren.

Sie sind auch die ersten Vertreter einer neuen Strömung in der Spieleindustrie, die es sich zum Ziel gesetzt hat, über emotionale Tiefe mehr Komplexität ins digitale Spielerlebnis zu bringen.

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Auch Peter Molyneux hat in seiner Vorstellung von "Fable III" auf der Gamescom erklärt, dass es in dieser Ausgabe des Rollenspiels viel um Emotionen sowie um Macht und die Konsequenzen von Entscheidungen gehen soll.

Zwar ging es in Videospielen schon immer um Emotionen, doch nun sollen sie andere Gefühle hervorrufen als beispielsweise den typischen Frust beim Scheitern in einem Level oder die Angst beim Schleichen durch finstere virtuelle Tunnel. Auch die Art und Weise, wie die Geschichten erzählt werden, von denen die Spielhandlung eingerahmt wird, soll sich in Zukunft alter Tugenden besinnen, wie sie zum Beispiel bei früheren Adventure-Spielen zum Einsatz kamen.

"Es ist Zeit für etwas Neues"

"In den letzten 20 Jahren hat sich bei Videospielen nicht viel getan. Die meisten haben keinen tieferen Sinn und sagen nichts aus. Gewalt ist meist ihr einziges Motto", sagte der Spieleentwickler David Cage recht provokativ in seiner Keynote auf der Entwicklerkonferenz GDC, die im Rahmen der deutschen Spielemesse Gamescom in Köln stattfand. "Es ist Zeit für etwas Neues."

"Heavy Rain" soll Anfang 2010 erscheinen und ist laut Cage kein Videospiel im herkömmlichen Sinne, wobei er eine passende Bezeichnung dafür noch nicht gefunden habe. Intern werde das spielerinteraktives Drama bezeichnet. Insgesamt vier Personen kann der Spieler darin spielen, jede soll auf ganz eigene Weise die eigentliche Geschichte rund um den Origami-Killer erzählen. Vor allem gehe es darum, "wie weit man für jemanden, den man liebt, gehen würde", so Cage bei der Präsentation. Entscheidungen und deren Konsequenzen sollen bei "Heavy Rain" eine große Rolle spielen.

Den meisten Spielen fehle die emotionale Tiefe, so Cage, Chef des "Heavy Rain"-Entwicklerstudios Quantic Dream, oft würden sie nur Angst, Frustration oder Aggressivität auslösen - alles Emotionen, die zum Überleben notwendig und damit auf der untersten Ebene angesiedelt seien. Doch wenn Videospiele nicht einfaches Spielzeug, sondern vielschichtig und womöglich auch kontrovers wie etwa Kunst sein wollen, müssten sie auch soziale Emotionen, etwa Empathie, Trauer, Eifersucht und Scham erzeugen und mit ausdruckstarken Charakteren tiefergehende Geschichten erzählen können.

"Filmfiguren haben einen Hintergrund, glaubwürdige Beweggründe, Beziehungen, sind subtil. Sie werden geschaffen, damit man sich mit ihnen identifizieren und ihre Emotionen mitempfinden kann", so Cage. Charaktere in Spielen seien hingegen meist eindimensional und mit einem klaren Ziel ausgestattet.

Die Spielerwelt ist erwachsen geworden

Wie Bücher könnten auch Spiele einen nachhaltigen Eindruck auf Menschen machen - dazu müssten sie sich aber erst entwickeln und nicht wie Pornofilme vor allem Action unterbrochen von ein wenig Hintergrundgeschehen bieten, sondern die Geschichte in den Vordergrund stellen und parallel zu den eigentlichen Aktionen ablaufen lassen, so Cage.

Cage rief in seiner Rede die Spieleentwickler dazu auf, alte Muster aufzugeben und sich bewusst zu werden, dass die Industrie nicht mehr nur für zehnjährige Burschen arbeite, denn der durchschnittliche Nutzer sei inzwischen 35 Jahre alt, 75 Prozent der Spieler seien über 18 Jahre alt, 40 Prozent aller Gamer weiblich. Er selbst wolle mittlerweile andere Filme sehen als noch in jungen Jahren. "Traut euch, Regeln zu brechen und neue Paradigmen zu erfinden."

"The Path" ist eine Interpretation des Märchens Rotkäppchen, bei dem sich der Spieler zwar grundsätzlich an die einzige Anweisung des Spiels, auf dem Weg zu bleiben, halten kann, doch spannend wird es nur, wenn er diesen verlässt. Dabei gibt es kein eigentliches Gameplay, der Spieler soll sich einzig den mitunter furchteinflößenden Erlebnisse der digitalen Welt widmen.

"Man kann aus allem ein Spiel machen"

Auriea Harvey und Michael Samyn von Tale of Tales leben den von Cage propagierten Ansatz bereits - mussten dafür laut eigenen Aussagen aber auch viel Kritik einstecken: "Unsere Spiele sind ein Werkzeug, um Emotionen erlebbar zu machen", meint Harvey. Man könne aus allem ein Spiel machen, es sei nur eine Frage der Herangehensweise.

"Uns geht es darum, Menschen zu bewegen, uns ist es egal, ob die Leute glücklich sind oder traurig - Hauptsache es bewegt sich etwas", sagte Samyn im Gespräch mit ORF.at. Die Industrie enge den Begriff des Spiels viel zu sehr ein, für ihn bedeute Spiel, dass man etwas tue, das Spaß macht, dabei müsse es auch keine Regeln oder Wettbewerb geben.

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Armin Medosch über das Projekt "Tale of Tales" von Auriea Harvey und Michael Samyn:

Ihr nächstes Spiel "Fatale" basiere auf ihren eigenen Empfindungen bei der Ansicht zahlreicher Gemälde, die sich mit dem Mythos der Femme fatale auseinandersetzen, erzählt Harvey. "Ich wollte ein Spiel darüber machen, wie ich die Kunstwerke genossen habe, über die Emotionen, Gefühle und Gedanken, die mir bei der Ansicht durch den Kopf gegangen sind." Als Sinnbild habe sie Salome gewählt, es gebe zig Bilder über diese Figur. "Ich fand es interessant, die Idee zu verfolgen, welche Erfahrungen man machen muss, um die Geschichte der Salome in einem Videospiel zu erklären."

Über das eigentliche Gameplay machen sich die beiden Künstler erst am Ende eines Spiels Gedanken. "Wir fangen mit der Erfahrung an, die wir für die Leute darstellen wollen", erklärt Samyn. "In diesem Fall versuchen wir es mit einem Bild: Stellen Sie sich vor, das Bild wäre in 3-D und Sie könnten durchnavigieren." Das Ehepaar interessiert sich für die vielen Erfahrungen, die man mit interaktiven Medien machen könne, das könne man schlecht auf dem Papier entwerfen, daher werde an Prototypen immer überprüft, ob es das gewünschte Gefühl auslöse.

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Bei "Flower" schwebt der Spieler als Blütenblatt durch die Landschaft und muss Blumenknopsen berühren, damit diese sich öffnen und ein weiteres Blütenblatt freigeben. Dabei entsteht eine sehr eindrucksvolle Atmosphäre zwischen Frühlingsgefühl und Angst und Traurigkeit.

Neues Vokabular nötig

Auf diesem Weg entstand auch "Flower", wie Kellee Santiago von Thatgamecompany in ihrem GDC-Vortrag erzählte. Zuerst sei die Idee festgestanden, ein Gefühl transportieren zu wollen, dann das Setting, über zahlreiche Prototypen mit unterschiedlichen Gameplays haben die Entwickler schließlich versucht, sich dem gewünschten Ziel anzunähern. Jede Woche sei der jeweilige Protoyp auf den gewünschten Effekt getestet worden, bis die endgültige Fassung schließlich fertig war. Von den zwei Jahren, die es von der Idee bis zum fertigen Spiel brauchte, seien 16 Monate alleine für die Konzeption und die Vorproduktion verwendet worden.

Es sei schon schwieriger, ein Spiel auf Basis von Emotionen zu machen, so Santiago gegenüber ORF.at: "Man muss ein ganz neues Vokabular erfinden. Das ist ein schwieriger Prozess." Sie sei sich auch sicher, dass mehr dieser Emotion-Games auf den Markt kommen würden: "Technisch gesehen gibt es nicht mehr viele Veränderungen, und den Leuten geht es immer mehr um den Unterhaltungswert, sie wollen mit Spielen etwas anderes erleben, sie fragen sich, was bekomme ich emotional heraus, was ist die Geschichte." Mit der digitalen Distribution könnten nun zudem auch kleine Spiele, die nur von ein oder zwei Leute gemacht werden, die sonst keine Chance hätten, eine breite Masse erreichen.

Digitale Verbreitung öffnet neue Chancen

Für Shuhei Yoshida, Chef der Sony-Spielestudios, ist die digitale Distribution ebenfalls der Schlüssel für neue Inputs auf dem Spielemarkt, auf diesem Weg kämen gerade von den kleinen Studios viele innovative Ideen auf den Markt, die sonst keine Chance hätten: "Die Publisher vermeiden Risiken, sie wollen ihre Investitionen schützen. Die schauen sich die Konzepte an und sagen, das hatte noch keinen Erfolg", sagte er im Gespräch mit ORF.at. Er hoffe, dass noch mehr das Risiko wagen und "wir noch mehr völlig neue Spiele sehen werden. Es ist gut für die Industrie, wenn mehr Leute diesen Weg ausprobieren, wir können daraus lernen, was funktioniert und was nicht."

Die Szene der unabhängigen Entwickler ist laut Harvey und Samyn noch klein und fragil, aber im Gegensatz zu 2002 wenigstens vorhanden. "Wir wollen sie unterstützen und dafür reden wir viel mit den Leuten und erklären, was wir tun und dass es sich lohnt, Dinge anders zu machen.". Das heiße nicht, dass sie möchte, dass etwa Crytek, Entwickler des Shooters Crysis, sensibel werde. Aber für Leute, die bereit seien, etwas zu riskieren, und aus der "Komfortzone der Industrie" rauskommen wollten, sei nun die Zeit gekommen.

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(futurezone/Nadja Igler)