© Günter Hack, Grafik Last.fm-Serie

Last.fm: Absturz und Neubeginn

SERIE
01.09.2009

Steigende Nutzerzahlen bringen die Infrastruktur des Online-Musikdienstes Last.fm im zweiten Jahr seines Bestehens ins Wanken. Die Streitereien im Team dauern an und kulminieren schließlich im Rausschmiss des Programmierers Thomas Willomitzer. Mit Richard Jones, der die Software Audioscrobbler beisteuert, wird ein Neustart versucht. Teil zwei der futurezone.ORF.at-Serie zur Enstehungsgeschichte von Last.fm.

"And the winner is Last.fm", heißt es im Dezember 2002 bei der Verleihung des Europrix Top Talent Award im Wiener MuseumsQuartier (MQ). "Last.fm ist ein innovatives Produkt, das endlose Möglichkeiten eröffnet und das Musikradio im Netz neu erfindet", begründet die Jury ihre Entscheidung.

Screenshot von einem YouTube-Video: Das Last.fm-Team bei der Verleihung des Europrix 2002 in Wien

Zwist und Intrigen bei Last.fm

Der Wiener Programmierer Thomas Willomitzer war maßgeblich an der Gründung des Online-Musikdienstes Last.fm im Jahr 2001 beteiligt. 2003, vier Jahre vor dem Verkauf des Online-Radios an den US-Medienkonzern CBS, wurde er aus dem Unternehmen gedrängt. Jahrelang kämpfte er um seinen Anteil an Last.fm - mit mäßigem Erfolg.

Um seine Ansprüche zu untermauern, sammelte Willomitzer E-Mails, Businesspläne und Briefe aus seiner Zeit bei Last.fm. ORF.at zeichnet anhand der von Willomitzer gesammelten Dokumente und Gespräche mit involvierten Personen in einer dreiteiligen Serie die Gründungsgeschichte des Dienstes nach, der das Online-Radio revolutionierte und Investoren und verbliebenen Gründern schließlich 280 Millionen Dollar (195,83 Mio. Euro) einbrachte.

Mehr zum Thema:

Für die vier Last.fm-Gründer, die den Preis in Wien gemeinsam entgegennehmen, hat die Verleihung jedoch einen Schönheitsfehler. Das Preisgeld in der Höhe von 10.000 Euro wird in diesem Jahr nicht ausbezahlt.

Auf der Suche nach Geldquellen

Für das Team, das nach wie vor mit leeren Kassen zu kämpfen hat, ist das ein herber Schlag. Ein im November 2002 gestartetes Partnerprogramm mit Amazon, bei dem Last.fm an Umsätzen aus CD-Käufen seiner Nutzer beteiligt wird, bringt zwar erste Einnahmen. Die Infrastruktur des Dienstes stößt jedoch zunehmend an ihre Grenzen. Der Speicherbedarf wächst. Fehlermeldungen häufen sich.

Last.fm zählt zu diesem Zeitpunkt rund 3.000 Nutzer. Der Bandbreitenverbrauch steigt rapide. Aus dem Londoner Ravensbourne College, das noch immer den Netzzugang zur Verfügung stellt, kommen deshalb zunehmend Beschwerden. Im College sorgt man sich auch um die kommerzielle Logik hinter dem Online-Musikservice: In einem E-Mail an die Last.fm-Gründer heißt es: Die Funktionsweise des Dienstes setze kostenlose Bandbreite voraus: "Die wird es aber außerhalb von Universitäten aber wohl nie geben."

Spannungen dauern an

Die Spannungen im Last.fm-Team lassen unterdessen nicht nach. In zahlreichen E-Mails klingt durch, dass die räumliche Trennung zwischen dem nun in Wien arbeitenden Programmierer Willomitzer und dem Rest des Teams, das weiterhin in London sitzt, zu Missverständnissen und Konflikten führt.

Schienen für Gesellschaft gelegt

Für zusätzlichen Unmut sorgt die Tatsache, dass Last.fm ohne das Wissen Willomitzers von den in London verbliebenen Gründern in Großbritannien im Oktober 2002 als Kapitalgesellschaft eingetragen wurde. Als Direktoren von Last.fm Ltd. werden Michael Breidenbrücker, Felix Miller und Martin Stiksel genannt. Der Name Willomitzers scheint auf der Liste nicht auf.

Im Oktober 2002 wird Last.fm als Unternehmen offiziell gegründet.

Als Willomitzer, der das zufällig herausfindet, seine Partner daraufhin zur Rede stellt, wiegeln sie ab. Es sei nicht möglich, Willomitzer als Direktor zu bestellen, da er in Wien lebe und deshalb nicht in jede Entscheidung einbezogen werden könne.

Schließlich einigen sie sich mit dem Programmierer auf eine erweiterte Kommunikationsvereinbarung ("extended communication agreement"), die besagt, dass Willomitzer in wichtigen, das Unternehmen betreffenden Fragen nach seiner Meinung gefragt werden solle.

Willomitzer überlegt Ausstieg

Den Sticheleien unter den Gründern tut das keinen Abbruch. Als Breidenbrücker Willomitzer Vorschläge für die Weiterentwicklung des kollaborativen Filtersystems schickt, antwortet Willomitzer. "Man merkt den Vorschlägen an, dass sie von einem Laien gemacht wurden."

Breidenbrücker schießt seinerseits scharf zurück: "Unser Konzept, unsere Ideen sind heiß. Unser Code ist Scheiße", lässt er den Entwickler wissen. E-Mail-Wechsel wie der zitierte sind in dieser Zeit keine Seltenheit und führen schließlich dazu, dass der Wiener Programmierer überlegt, bei Last.fm auszusteigen.

Anfang Dezember 2002 schreibt er an Breidenbrücker, Miller und Stiksel: "Ich habe überhaupt keine Lust mehr, auch nur ansatzweise weiter mit Euch zu arbeiten." Er schlägt vor, dass ihm 15 Prozent der Anteile an dem Unternehmen zugeteilt werden. Im Gegenzug will er das Nutzungsrecht an seiner Software an Last.fm übertragen und seinen Nachfolger einschulen. Er habe nicht geplant, Last.fm zu verlassen, sagt Willomitzer später. Das E-Mail sei eine emotionale Reaktion auf eine Auseinandersetzung mit Breidenbrücker gewesen.

"Bei Start-ups nicht ungewöhnlich"

"Willomitzer und ich sind sehr oft aufeinandergeprallt, wir haben uns im täglichen Geschäft ziemlich aufgerieben", erinnert sich Breidenbrücker. Das sei aber bei Start-ups nicht ungewöhnlich und komme vor allem in der Zusammenarbeit mit Technikern häufig vor: "Als Last.fm gewachsen ist, war es entscheidend, dass die technische Umsetzung mit Marketingmaßnahmen und Konzepten abgestimmt wird. Techniker, die in ihrer Welt gut sind, wollen die Kontrolle aber nicht wirklich aufgeben. Das äußert sich dann in Streitereien und Unannehmlichkeiten." Für Breidenrücker ist zu diesem Zeitpunkt klar, dass Willomitzer "nicht mehr Teil der Zukunft von Last.fm" sein wird.

"Die Innovation ist bei Last.fm definitiv aus der Technologie gekommen", argumentiert hingegen Willomitzer. Dies sei auch bei zahlreichen anderen Erfolgsgeschichten der Fall gewesen. An Innovationen habe sich bei Last.fm nach Ende 2002 relativ wenig getan, meint Willomitzer: "Das Grundkonzept ist weitgehend gestanden, aber natürlich kamen noch Features dazu. Ich habe auch den Rechenaufwand für die Empfehlungen unterschätzt".

Diskussionen über Anteile

Neben Breidenbrücker, Stiksel, Miller und Willomitzer arbeiten mittlerweile auch einige Grafiker und Entwickler sporadisch für Last.fm. Auch sie beginnen, die Vergütung ihrer Tätigkeit zur Diskussion zu stellen.

In einem E-Mail an das Last.fm-Team vom 15. November 2002 merkt Miller dazu an: Die Anteile an dem Unternehmen würden gemäß den Beiträgen der einzelnen Mitarbeiter verteilt. Man habe aber jetzt keine Zeit dafür, weil an dem Dienst gearbeitet werden müsse: "Was uns zusammenhält, ist der Glaube an die Idee und daran, dass sie eines Tages funktionieren wird", so Miller: "Unsere Beziehung basiert auf Vertrauen."

Erste Medienberichte über Last.fm

Last.fm beginnt auch die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen. Nachdem im November 2002 ein großer spanischer Fernsehsender über das Online-Radio berichtet, bricht das System nach einem Nutzeransturm zusammen.

Screenshot einer Fehlermeldung bei Last.fm aus dem Jahr 2002: "Da war die Hölle los", heißt es in internen E-Mails des Last.fm-Teams, zur "Invasion aus Spanien".

Erstmals auch Nutzerprofile

Willomitzer stellt Überlegungen an, wie Ausfälle der Site künftig vermieden werden können. In einer ersten Phase soll die Anzahl der Nutzer, die sich gleichzeitig einloggen können, begrenzt werden. In einem weiteren, später geplanten, Schritt sollen Musikempfehlungen nicht mehr in Echtzeit errechnet werden. Das System solle so auch für zukünftiges Wachstum gewappnet sein, heißt es in Notizen des Programmierers.

Ein Content-Management-System, das die Kommunikation mit den Nutzern verbessern und die statischen Seiten ersetzen soll, wird von Willomitzer in Wien vorbereitet. Auch an der Verbesserung des Erscheinungsbildes wird gearbeitet. Eine neue Version der Seite, die kurz vor der Europrix-Verleihung online geht, zeigt erstmals auch Nutzerprofile an.

Entwürfe für eine neue Version von Last.fm (2002).

Die jüngste Version des Dienstes ermöglicht es den Last.fm-Usern auch, den Musikkatalog zu durchforsten und komplette Alben und einzelne Songs zu ihren Profilen hinzuzufügen. Die ersten 30 Sekunden können probegehört werden. Auch andere Nutzer, die den Song abgespielt hatten, werden angezeigt. Über eine Chart-Seite werden die am häufigsten über Last.fm abgespielten Songs aufgelistet. Die Musikbibliothek des Online-Radios umfasst bereits rund 20.000 Titel.

"Einer der umfangreichsten Online-Musikdienste"

"In seiner jetzigen Form ist Last.fm einer der umfangreichsten Online-Musikdienste", heißt es in einem von Breidenbrücker und Miller verfassten Businessplan aus dem Jänner 2003. Die Nutzerzahl soll in den nächsten beiden Jahren auf zwei Millionen anwachsen, wird in dem Papier prognostiziert. Ende 2003 würde das Unternehmen in die Gewinnzone kommen, stellten die Autoren des Businessplans in Aussicht. Den Kapitalbedarf des jungen Unternehmens bezifferten sie mit rund 300.000 Pfund, die über den Einstieg externer Investoren aufgebracht werden soll.

Millionenumsätze prognostiziert

Geld verdienen will das Start-up mit Provisionen von CD- und Merchandising-Verkäufen auf Partnerseiten (Amazon, GEMM), mit einem Abomodell, bei dem für zwei Pfund monatlich die Songs im MP3-Format ohne Kopierschutz heruntergeladen werden könnten, den Verkauf von Marketingdaten an die Labels und mit der Syndizierung der Last.fm-Technologie an Partner, darunter auch Mobilfunkanbieter.

Bis Ende 2005 erwartet Last.fm im besten Fall Umsätze von rund 18 Millionen Pfund (Anfang 2003 entsprach das rund 27,7 Mio. Euro). Der Löwenanteil davon soll aus den Einnahmen aus der Syndizierung der Technologie (10,9 Mio. Pfund) und aus dem Verkauf der Marketingdaten an die Labels (4,6 Mio. Pfund) kommen. Auch die Ausweitung der Last.fm-Empfehlungstechnologie auf weitere Formate (Video) und Hardware (mobile Endgeräte, Set-Top-Boxen für Digital-TV) ist in dem Businessplan bereits angedacht.

Server-Umzug nach Wien

Um den hochtrabenden Plänen gerecht zu werden, will das Last.fm-Team zunächst die Infastruktur auf eine tragfähige Basis stellen. Die Last.fm-Hardware wird erweitert und soll künftig beim Wiener Internet-Anbieter Silver Server laufen, dem dafür Anteile an dem Unternehmen in Aussicht gestellt werden. Dazu werden zwei Dell-Server geleast, die die Performance-Engpässe des stetig wachsenden Dienstes beseitigen sollen.

Gemeinsam mit externen Entwicklern wird auch an einer Flash-Version des Last.fm-Musikplayers gearbeitet. Daneben bahnt sich ein Einschnitt in der Entwicklung von Last.fm und der endgültige Bruch mit Willomitzer an.

Integration von Audioscrobbler

Im Frühjahr 2003 wird Breidenbrücker auf den britischen Studenten Richard Jones aufmerksam, der mit der von ihm entwickelten Open-Source-Software Audioscrobbler in Fachkreisen für Aufsehen sorgt. Audioscrobbler ist im Wesentlichen ein Plug-in für gängige Musikplayer-Software. Während Last.fm zu diesem Zeitpunkt ausschließlich die in seinem Online-Radio abgespielten Titel registriert, protokolliert Audioscrobbler den gesamten Musikkonsum seiner Nutzer und gibt die Daten an einen zentralen Server weiter. Dazu schickt das Programm die Metadaten der abgespielten Musik-Files an den Server, der dann über String-Matching versucht, die Titel zu identifizieren.

Das Programm erscheint den Last.fm-Gründern als willkommene Erweiterung ihres Dienstes. Sie nehmen Kontakt zu Jones auf und versuchen, ihn als Partner zu gewinnen. "Last.fm und Audioscrobbler haben sich gut ergänzt", erinnert sich Willomitzer. Die Software des britischen Studenten sei vor allem beim Aufbau der Nutzerprofile hilfreich gewesen. Bei neuen Nutzern würden kollaborative Filtersysteme aufgrund der fehlenden statistischen Daten immer im Dunklen tappen. Jones Software habe dabei geholfen, das Datenmanko rasch zu füllen.

Kollaboratives Filtern und die Erstellung dynamischer Playlists waren von Jones zwar angedacht, umgesetzt war 2003 jedoch nur das Tracking der abgespielten Songs. Im Juni 2003 zählte die Software, die Jones Abschlussprojekt an der Southhampton University war, rund 3.000 Nutzer.

Streit um Anteile

Willomitzer drängt weiter auf Anteile an Last.fm. Er fordert ein Viertel an dem Unternehmen. Breidenbrücker will ihm jedoch maximal fünf Prozent und 900 Pfund pro Monat für die Weiterentwicklung der Site zugestehen. "Ich habe die Profile und das kollaborative Filtern in das Konzept eingebracht und die Software geschrieben. Und dafür sollte ich fünf Prozent bekommen?", meint Willomitzer heute verärgert: "Das ist ein absurder Gedanke."

Die drei in London verbliebenen Gründer nehmen ohne Willomitzers Wissen die Aufteilung der Anteile bereits im Februar 2003 vor und beanspruchen jeweils rund 25 Prozent für sich. Der Rest wird für Investoren und Mitarbeiteroptionen zurückgehalten.

Einschulung von Jones in Wien

Jones wird als gleichwertiger Partner bei Last.fm aufgenommen. Willomitzer, der weiterhin an eine Einigung mit Breidenbrücker, Miller und Stiksel glaubt, schult Jones in Wien auf das Last.fm-System ein und bereitet die Vereinigung der Datenbanken von Last.fm und Audioscrobbler vor. Jones behält sich jedoch das Recht vor, die Daten weiterhin zu nutzen, falls die Verbindung zu Last.fm aufgelöst wird.

Chaos nach "Wired"-Artikel

Ende Juni verabschiedet sich Willomitzer in den Urlaub nach Kuba. Kurz darauf überschlagen sich die Ereignisse. Im US-Magazin "Wired" erscheint ein Artikel über Last.fm, das zu diesem Zeitpunkt bereits 6.000 Nutzer zählt. Die Last.fm-Server brechen unter der Last des durch den Artikel ausgelösten Besucheransturms erneut zusammen.

Jones versucht, Willomitzer in Kuba zu erreichen, weil er mit den Last.fm-Passwörtern Probleme hatte. Das Team in London versucht den Betrieb des Dienstes aufrecht zu erhalten.

Brief von Breidenbrücker an Willomitzer: "Mit Deinem Rücktritt von Last.fm werden wir selbstverständlich Deine Software nicht mehr verwenden."

Ausgeschlossen

Kurz nachdem Willomitzer Ende Juli aus seinem Urlaub nach Wien zurückkehrt, erhält er einen Brief von Breidenbrücker, in dem ihm mitgeteilt wird, dass die Software von Last.fm nach Systemausfällen neu geschrieben wurde und seine Mitarbeit bei dem Dienst nicht mehr erwünscht sei: "Wir gehen davon aus, dass Dein Rücktritt von Last.fm nun unwiderruflich in Kraft getreten ist", schreibt Breidenbrücker. Willomitzer stellt fest, dass seine Passwörter geändert wurden und er nun nicht mehr auf das Last.fm-System zugreifen kann.

Lesen Sie am Mittwoch im letzten Teil der Serie zu Last.fm in futurezone.ORF.at, warum der Online-Musikdienst im Herbst 2003 fast zwei Monate vom Netz war, wie Willomitzer versuchte, wieder in das Team aufgenommen zu werden, und wie schließlich zwei Jahre vor dem Verkauf an CBS auch Breidenbrücker aus dem Unternehmen gedrängt wurde.

Mehr zum Thema:

(futurezone/Patrick Dax)