RFID: Wenn Maschinen die Arbeit bestimmen
Eine aktuelle Studie aus Deutschland warnt Arbeitnehmer vor schleichender Rationalisierung durch zunehmende Einführung von Funkchipsystemen. Speziell niedrig qualifizierte Arbeitskräfte liefen Gefahr, zu reinen Befehlsempfängern von Computern zu werden. Auch der Datenschutz sei im Bereich RFID noch unterentwickelt, warnen die Autoren der Studie.
Die Maschine, nicht der Mensch bestimmt immer stärker die Arbeitswelt. Sie kann jeden Arbeitsschritt überwachen. Die deutsche Hans-Böckler-Stiftung, die dem Gewerkschaftsbund nahesteht, hat sich in einer Studie damit beschäftigt, wie das "Internet der Dinge" die Arbeit und den Alltag der Menschen verändert.
Das "Internet der Dinge", zu dessen Technologien auch der Funkchip RFID gehört, beschäftigt die Regierungen, Unternehmen und Gewerkschaften gleichermaßen. Die Europäische Kommission initiierte ein Konsultationsverfahren, in dem deutlich wurde, wie wichtig es ist, den Einsatz dieser Chips transparent und damit kontrollierbar zu gestalten.
Schleichende Rationalisierung
Die von der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegebene Studie wurde vom Deutschen Gewerkschaftsbund sowie den großen Gewerkschaften IG Metall und ver.di unterstützt - mit gutem Grund: Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Funkchiptechnik RFID eine "Rationalisierungstechnologie" sei, die in den Unternehmen meist "schleichend" eingeführt werde.
Je nach Einsatzbereich wirkt sich die Einführung von RFID-Systemen unterschiedlich aus: Im öffentlichen Dienst etwa sind die Bibliotheken betroffen, wenn Barcode- durch RFID-Ausweise ersetzt werden. Leihen die Leser Bücher aus, fallen Hilfsarbeiten wie das Einscannen des Barcodes weg. Das Buch meldet sich per Funkchip automatisch ab, wenn der Leser mit dem Buch den Saal verlässt. Hilfsbibliothekare sind für die vormals aufwendige Arbeit nicht mehr nötig. Für die Gewerkschafterin Cornelia Brand steht fest: "Arbeitsplätze können hier nur durch Weiterqualifizierung gerettet werden."
Smarte Logistik
Noch stärker sind die Auswirkungen des RFID-Einsatzes in der Logistik: Sind in einem Warenlager alle Teile mit RFID-Chips versehen, kennt der Rechner ihren Standort. Die Arbeiten, die er selbst nicht erledigen kann, delegiert er an einen Arbeiter, der dann über einen mobilen Computer sehen kann, was er mit welchem Teil zu tun hat. Hier werde, so die Studie, der Mensch zum "Befehlsempfänger, um prozessoptimierte Handgriffe zu tun, die heute noch zu kompliziert für eine Automatisierung sind". Der Mensch arbeite völlig vereinzelt unter einem Kommunikationshelm, seine Tätigkeiten werden hier immer einfacher, und seine Qualifikation wird weniger wichtig. Im Gegenzug benötigen RFID-Prozesse aber auch hoch qualifizierte Arbeiter, die die neuen Technologien beherrschen.
Die Ratio hinter der Einführung von RFID besteht allerdings darin, Prozesse kontrollieren zu können. Vor allem in der Logistik kann der gesamte Warenfluss digitalisiert werden - hier sind die Veränderungen durch RFID auch am größten. So können mit Hilfe der RFID-Daten auch Personen, die bestimmte Arbeitsschritte ausführen, zeitlich und örtlich mit ihrer Aktivität verknüpft werden.
Erfasst und wegrationalisiert
Diese Verknüpfungen können wie die Warendaten verwaltet - und ausgewertet werden. Damit können die Aktionen von Mitarbeitern zeitlich genau in einer Art digitalem Leistungsnachweis dargestellt werden. Aus einer Prozessrationalisierung könnte daher schnell auch eine Personalrationalisierung folgen, warnt die Studie. Datenschutzverfahren wie Anonymisierung und Aggregation sind nämlich in den heutigen Verfahren gar nicht vorgesehen. Die Daten bleiben unkontrolliert gespeichert. Unklar ist auch, wer überhaupt Zugriff auf die Daten hat - und wer sie löschen darf.
Ver.di-Gewerkschafterin Brandt weiß aus zahlreichen Gesprächen: "Die Betriebsräte werden oftmals über eine Systemeinführung gar nicht richtig informiert." Und selbst wenn: Wird ein System eingeführt, fehle oftmals ein geeigneter Mitarbeitervertreter, der darauf Einfluss nehmen könnte. Daher sei es wichtig, mit Datenschutzorganisationen zusammenzuarbeiten, um das hierfür notwendige Wissen einbringen zu können. Genauso wichtig ist es aber, Mitarbeiter weiterhin entsprechend ihrer Qualifikation einzusetzen oder sie weiter auszubilden. Das ist jedoch nur mit einer guten Prozess- und Organisationsplanung möglich.
Maschinenstürmer nannte man jene Menschen im 19. Jahrhundert, die mit roher Gewalt die Maschinen zerstörten, die ihre Arbeitsplätze vernichteten. Als "Maschinenstürmerin" will sich Brandt nicht verstehen. Sie ist bei ver.di verantwortlich für "Innovation und gute Arbeit". "Innovation" und "gute Arbeit" aber - das klingt nach der Lektüre dieser Studie so, als müsse die Gewerkschaft die beiden Begriffe erst noch miteinander versöhnen.
(Christiane Schulzki-Haddouti)