© Günter Hack, Grafik Serie Last.fm

Last.fm: Turbulenzen und Verkauf

SERIE
02.09.2009

Im Herbst 2003 geht Last.fm nach zweimonatiger Auszeit wieder ans Netz. Die finanzielle Lage bleibt kritisch. Mitgründer Michael Breidenbrücker gibt nach zähen Verhandlungen seine Anteile an dem Unternehmen ab, das nach dem Einstieg von Investoren schließlich Ende Mai 2007 an den US-Medienkonzern CBS verkauft wird. Dritter und letzter Teil der futurezone.ORF.at-Serie zur Entstehungsgeschichte von Last.fm.

"Miller, Stiksel, Breidenbrücker und Jones haben sich meine Software und meine Ideen angeeignet und wollten mich loswerden", erinnert sich Thomas Willomitzer heute an die Ereignisse aus dem Sommer 2003. Nachdem ihm nach einem vierwöchigen Urlaub in Kuba der Zugang zum Last.fm-System gesperrt worden war, versuchte er, seine früheren Partner dazu zu bewegen, die Aktion rückgängig zu machen. Ohne Erfolg.

Willomitzer droht mit rechtlichen Schritten. In einem Brief an Last.fm fordert er Michael Breidenbrücker, Felix Miller und Martin Stiksel auf, die Verwendung seiner Software sofort einzustellen. Kurz darauf wird der Dienst vom Netz genommen. Die Auszeit sollte zwei Monate dauern.

Zwist und Intrigen bei Last.fm

Der Wiener Programmierer Willomitzer war maßgeblich an der Gründung des Online-Musikdienstes Last.fm im Jahr 2001 beteiligt. 2003, vier Jahre vor dem Verkauf des Online-Radios an den US-Medienkonzern CBS, wurde er aus dem Unternehmen gedrängt. Jahrelang kämpfte er um seinen Anteil an Last.fm - mit mäßigem Erfolg.

Um seine Ansprüche zu untermauern, sammelte Willomitzer E-Mails, Businesspläne und Briefe aus seiner Zeit bei Last.fm. ORF.at zeichnet anhand der von Willomitzer gesammelten Dokumente und Gespräche mit involvierten Personen in einer dreiteiligen Serie die Gründungsgeschichte des Dienstes nach, der das Online-Radio revolutionierte und Investoren und verbliebenen Gründern schließlich 280 Millionen Dollar (197 Mio. Euro) einbrachte.

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Zwei Monate offline

Ende September 2003 ist Last.fm wieder im Netz. Nach Angaben von Miller und Stiksel wurde die Software zur Gänze ausgetauscht. Aus einem Schreiben ihrer Anwälte nach einer Klagsdrohung Willomitzers vom März 2008 geht hervor, dass sie der Ansicht waren, dass Willomitzers Software der 2003 erwarteten künftigen Größenordnung des Projekts nicht mehr gerecht wurde und komplett ersetzt werden musste.

"Als Last.fm im Juli 2003 vom Netz genommen wurde, war die Seite und das Geschäft von Last.fm wertlos", ist in dem Schreiben zu lesen. Richard Jones' Mitarbeit an dem Projekt und seine Software Audioscrobbler brachten eine "grundlegende Veränderung" für Last.fm, die in Folge den Einstieg von Investoren und das Wachstum der Seite ermöglichte.

Das System sei sicherlich nicht zur Gänze neu geschrieben worden, meint hingegen Willomitzer. Es baue auf seiner Software auf und habe die von ihm konzipierte Datenbank weiterhin genutzt.

Ob die Software komplett ausgetauscht wurde, könne er nicht beurteilen, sagt Breidenbrücker, der damals die Geschäfte des Unternehmens führte. Er habe Jones angewiesen, alles neu zu schreiben, damit es keine Ansprüche gebe. Ob das auch tatsächlich passiert sei, wisse er nicht: "Ich bin kein Techniker." Ähnlichkeiten in der Architektur der Software seien jedoch zweifellos gegeben, räumt Breidenbrücker ein.

"Für uns war klar, dass wir eine Trennung brauchen"

Willomitzers Rausschmiss erklärt er damit, dass eine Zusammenarbeit mit dem Programmierer zunehmend schwieriger wurde. Willomitzer habe in Wien für eine andere Firma gearbeitet und Last.fm als Nebenprojekt betrachtet. Für ein Start-up sei eine solche Situation "das Ärgste", meint der Vorarlberger. In der Zeit entwickle sich nichts Neues, es gebe keine Innovationsschübe: "Für uns war klar, dass wir eine Trennung brauchen."

Aus seiner Sicht sei damals relativ klar gewesen, dass sich Willomitzer wieder melden und über eine Vergütung seiner Arbeit und über Anteile bei Last.fm in Verhandlung treten werde, so Breidenbrücker: "Aber als Firma wollten wir weitergehen."

"Die andauernden Konflikte haben die Arbeit an Last.fm zunehmend schwierig gemacht, erinnert sich Willomitzer. "Wir haben damals alle Fehler gemacht", so der Programmierer: "Millers und Breidenbrückers Businesspläne hatten genauso ihre Lücken wie die Software. Der Unterschied ist nur, dass die Fehler in der Software sofort sichtbar werden."

Willomitzer bereitet im Sommer 2003 seine Rückkehr nach London vor und will am Birkbeck College einen Kurs in Computerwissenschaften belegen und an Last.fm an Ort und Stelle weiter arbeiten. Nach der Aufnahmeprüfung am College trifft er seine früheren Partner und versucht, sie davon zu überzeugen, ihn wieder in das Team aufzunehmen, er stößt dabei jedoch auf taube Ohren.

Klage zu teuer

Ein Urheberrechtsanwalt, den er zuvor kontaktierte, stellt Willomitzer mit den Worten "You can easily kiss bye 100K" in Aussicht, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung mit seinen früheren Partnern bis zu 100.000 Pfund kosten würde. "Das konnte ich mir nicht leisten", erinnert sich Willomitzer.

Im September 2003 trifft er Miller und Stiksel auf einer Geburtstagsparty eines Last.fm-Mitarbeiters in London. "Wir sind nicht stolz darauf, was wir mit dir gemacht haben", soll Miller damals zu ihm gesagt haben, so Willomitzer.

Danach verliert Willomitzer seine früheren Partner aus den Augen. Die Entwicklungen bei Last.fm verfolgt er weiterhin. Auch eine Rückkehr in das Unternehmen hält er nach wie vor für möglich. 2005 erfährt Willomitzer von einem Bekannten, der bei Last.fm als Entwickler arbeitet, dass auch Breidenbrücker aus dem Unternehmen gedrängt wurde.

"Finanziell unter Druck"

"Last.fm stand 2004 finanziell sehr unter Druck", erzählt Breidenbrücker: "Wir hatten keine Investoren und mussten Kosten senken." Um das zu erreichen, müssen die Lohnzahlungen eingestellt werden. Breidenbrücker, der Vater wird, entschließt sich, nach Österreich zurückzukehren und einen Job anzunehmen. Für Last.fm will er von Vorarlberg aus weiter tätig sein.

Im Frühjahr 2005 gelingt es ihm, den japanischen Entrepreneur und Risikokapitalgeber Joi Ito für den Online-Musikdienst zu begeistern. "Mir war klar, dass wir Last.fm in einem professionellen Umfeld umsetzen müssen", erinnert sich Breidenbrücker. Er schlägt Miller und Stiksel vor, das Unternehmen umzustrukturieren und für Investoren zu öffnen.

Zusammenarbeit aufgekündigt

"Ich wollte, dass externe Leute eingebunden sind, die für bestimmte Themen stehen, die wir als Unternehmen bedienen." So sollte auch Geld für weiteres Wachstum in die Kassen von Last.fm gespült werden. Darüber hinaus wäre durch die Investorengelder eine Rückkehr Breidenbrückers nach London möglich gewesen.

Miller und Stiksel reagieren ablehnend. In einem Brief kündigen sie Breidenbrücker die Zusammenarbeit auf. "Sie wollten sich nicht dazwischenreden lassen", sagt Breidenbrücker. Das Investment des japanischen Risikokapitalgebers akzeptieren sie dennoch. Von Breidenbrücker kapseln sie sich zunehmend ab.

Suche nach Lösung

Der Vorarlberger versucht rund ein Jahr lang, eine Lösung mit Miller, Stiksel und Jones zu erreichen. Zum damaligen Zeitpunkt hält er nach eigenen Angaben 28 Prozent an Last.fm. Um seine Interessen zu wahren, besteht er auf die Einsetzung eines neuen Direktoriums. Miller und Stiksel lehnen das ab. Sie fordern eine Option auf Breidenbrückers Anteile für vier Jahre. Die Valuation sei damals sehr niedrig gewesen, so Breidenbrücker heute: "Das hätte bedeutet, dass ich weder von meiner Arbeit noch von irgendwelchen Exitszenarien etwas gehabt hätte."

Unschöne Szenen

Bei dem Gerangel um eine Lösung zwischen den zerstrittenen Partnern kommt es auch zu unschönen Szenen. Laut Breidenbrücker soll Stiksel versucht haben, die Domain Last.fm, die von ihm registriert wurde, an sich zu reißen, in dem er seine Unterschrift auf dem Formular zum Domain-Transfer fälschte. Auch seine E-Mails seien überwacht worden, sagt Breidenbrücker: "Sie haben mich persönlich unter Druck gesetzt." Stiksel und Miller waren trotz mehrmaliger Anfragen von ORF.at für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Erst der Investor Stefan Glänzer, der Anfang des Jahrtausends die Internet-Auktionsplattform ricardo.de mitgegründet und später verkauft hatte, kann die Situation entspannen. Er stößt auf Vermittlung Breidenbrückers zu Last.fm und steigt 2005 bei dem Unternehmen ein. "Deshalb gibt es Last.fm noch", sagt Breidenbrücker heute: "Mir war wichtig, dass es weitergeht. Im Endeffekt hab ich aber sehr viel dafür bezahlt."

2006 steigt der Risikokapitalgeber Index Ventures bei Last.fm ein und sichert die Finanzierung des Musikdienstes. Neil Rimer und Danny Rimer von Index Ventures ziehen neben Miller, Stiksel und Glänzer in das Direktorium des Unternehmens ein.

Nach seinem Ausscheiden bei Last.fm betrieb Breidenbrücker in Vorarlberg das Software-Unternehmen Lovely Systems, das er später verkaufte. Heute leitet der Vorarlberger Reality Jockey Ltd., das Unternehmen hinter der Musiksoftware RjDj.

"Noch schlechter ausgestiegen"

Die Summe, für die er seine Anteile abgab, will Breidenbrücker nicht nennen. Sie beträgt jedoch nur einen Bruchteil des Betrages, mit dem Last.fm-Anteilsscheine später bewertet werden sollten. Es gibt Leute, die sind noch schlechter ausgestiegen als ich", meint Breidenbrücker.

"Einer von ihnen ist Justin Wong. Der Grafiker, der heute in Hongkong lebt, arbeitete zwischen Oktober 2002 und April 2004 für Last.fm und war in dieser Zeit für das Design des Dienstes verantwortlich. Vier Monate lang - zwischen Juli und Oktober 2003 - erhielt er dafür 900 Pfund im Monat. Für den Rest der Zeit wurden ihm 1.500 Last.fm-Aktien versprochen. Die entsprechenden Papiere seien ihm jedoch niemals ausgehändigt worden, sagt Wong heute. E-Mails an Miller und Stiksel zu dem Thema blieben unbeantwortet, so Wong.

Verkaufsgerüchte

Willomitzer, der nach Abschluss seines Studiums am Birkbeck College bei einer Schweizer Großbank in London als Programmierer arbeitete, läuft seinen ehemaligen Partnern in London gelegentlich über den Weg. Dauerhafte Kontakte, eine Lösung der Anteilsfrage oder eine neuerliche Zusammenarbeit ergeben sich aus den Begegnungen nicht.

Als sich im Frühjahr 2007 die Verkaufsgerüchte über Last.fm häufen, beschließt Willomitzer, vor Gericht zu gehen, und seine Anteile an dem Unternehmen einzuklagen. Damals wird unter anderem der US-Medienkonzern Viacom als Interessent gehandelt.

Willomitzer beauftragt einen Anwalt, rechtliche Schritte einzuleiten. In einem von einem Londoner Anwaltsbüro verfassten Brief beschuldigt er Miller und Stiksel des Vertrauensbruchs und der Urheberrechtsverletzung. In dem mit Ende April 2007 datierten Schreiben fordert er von seinen früheren Partnern seinen Anteil am Unternehmen ein. Antwort bekommt er keine.

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CBS schlägt zu

Kurz darauf, am 30. Mai 2007, verkündet der US-Medienkonzern CBS den Kauf von Last.fm für 280 Millionen Dollar (197 Mio. Euro). Miller, Stiksel und Jones, die noch jeweils 12,5 Prozent an dem Unternehmen halten, dürften damit rund 40 Millionen Dollar (28,14 Mio. Euro) aus dem Deal lukriert haben.

Willomitzer teilt seine Ansprüche in einem Schreiben auch dem neuen Last.fm-Eigentümer CBS mit. CBS-Vizepräsident Louis J. Briskman weist Willomitzers Forderungen umgehend zurück: "CBS und Last.fm sind der Ansicht, dass Ihren Behauptungen jegliche Grundlage fehlt", schreibt er Willomitzer Anfang Juni 2007.

Bild: CBS-Vizepräsident Louis J. Briskman will von den Ansprüchen Willomitzers nichts wissen.

Bereits zuvor sagt Stiksel gegenüber dem britischen Musikmagazin "Music Week", das von der Sache Wind bekommen hatte, dass Willomitzers Behauptungen nirgendwohin führen würden. "Wenn eine Band unter Vertrag genommen wird, tauchen immer alte Mitglieder auf und wollen Teil davon sein", wird Stiksel von dem Magazin zitiert.

Jones, Miller und Stiksel steigen schließlich im Juni 2009, fast punktgenau zwei Jahre nach dem Verkauf an CBS, aus dem Unternehmen aus. "Es sei an der Zeit, die Zügel zu übergeben", schrieben sie im Unternehmensblog. Zuvor hatte es vom US-Blog TechCrunch angefachte Gerüchte über die Weitergabe von Nutzerdaten an den US-Musikindustrieverband (RIAA) gegeben. Sie wurden jedoch von last.fm stets dementiert.

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"Keine Vereinbarungen"

In einem Brief von Stiksels und Millers Anwälten vom März 2008, der nach einer Klagedrohungen gegen die beiden Willomitzer zugeht, stellen sie die Ansprüche ihres ehemaligen Partners in Abrede. Es habe mit Willomitzer niemals Vereinbarungen über Anteile an Last.fm gegeben. Miller und Stiksel weisen in dem Schreiben auch Urheberrechtsverletzungen an Willomitzers Software zurück. Solange diese verwendet wurde, habe Willomitzer der Nutzung zugestimmt, teilen sie über ihre Anwälte mit.

Willomitzer ist fest entschlossen seine Ansprüche vor Gericht durchzusetzen. Fast zwei Jahre lang sammelt er Dokumente aus seiner Zeit bei Last.fm und bittet ehemalige Mitarbeiter und Partner des Online-Musikdienstes um Zeugenaussagen. Im Februar 2009 wird die Klage eingebracht – auf Anraten seiner Anwälte mit einem Vergleichsangebot über 100.000 Pfund. Im Mai 2009 einigt er sich schließlich außergerichtlich mit Miller und Stiksel. Von seinen früheren Partnern erhält er jedoch nur 60.000 Pfund.

"Die Versicherung für die Prozeßkosten ist abgesprungen, ich mußte akzeptieren", meint er rückblickend. Aus der Sache habe er gelernt, dass "Ideen sehr groß werden können", resümiert Willomitzer. Mit der Veröffentlichung der Dokumente wolle er den Gründungsmythos des Dienstes korrigieren. "Die Geschichten, die man über die meisten erfolgreichen Start-ups hört, sind zu einem hohen Maß konstruiert", meint auch Breidenbrücker: "Es ist gut zu wissen, wie das passiert."

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(futurezone/Patrick Dax)