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"Keine Alternative zum Glasfaserausbau"

INFORMATIONSGESELLSCHAFT
04.09.2009

Breitbandausbau, Regulierung des Telekommarktes, Urheberrechte, Internet-Verwaltung und Netzneutralität: In der EU stehen derzeit zentrale Fragen für die Entwicklung der Informationsgesellschaft zur Diskussion. ORF.at hat Rudolf Strohmeier, Kabinettschef von EU-Medienkommissarin Viviane Reding, dazu befragt.

Es gebe keine Alternative zu einem flächendeckenden Glasfaserausbau in der EU, sagt Rudolf Strohmeier, Leiter des Kabinetts von EU-Medienkommissarin Reding. Vergangene Woche war er beim 10. Salzburger Telekomforum der österreichischen Regulierungsbehörde (RTR) zu Gast.

Die in Österreich demnächst anstehende Verteilung der digitalen Dividende war dort ebenso Thema wie die Zukunft der Telekomregulierung in der Europäischen Gemeinschaft und Änderungen in der Internet-Verwaltung. ORF.at sprach mit Strohmeier am Rande der Veranstaltung über aktuelle Fragen der EU-Telekommunikationspolitik.

Rudolf Strohmeier, Leiter des Kabinetts von EU-Medienkommissarin Viviane Reding.

ORF.at: Die EU-Kommission macht sich für einen Ausbau des Breitbandinternets stark und will den Glasfaserausbau fördern. In Österreich wird darüber diskutiert, wer das bezahlen soll. Wie beurteilen Sie die Situation in Österreich?

Strohmeier: Zunächst kann man positiv feststellen, dass Österreich in der EU, was das mobile Breitbandangebot angeht, relativ führend ist. Generell gilt natürlich, dass wir um einen flächendeckenden Glasfaserausbau europaweit nicht herumkommen, wenn wir die Wirtschaftskraft Europas stärken wollen. Das ist auch der Hintergrund, warum die EU-Kommission so viel Druck ausübt und dieses Thema am Laufen hält, um die Mitgliedsstaaten zu ermutigen, mit Investitionen in das Breitband voranzuschreiten. In Österreich ist die Frage der digitalen Dividende nach wie vor strittig. Die Frequenzen, die nach der Abschaltung des Analog-TV frei werden, sind aber zumindest für einen Übergangszeitpunkt unabdingbar, um Breitbandinternet mobil an die Bürger zu bringen. Ich kann mir vorstellen, dass Anfang nächsten Jahres, nach Vorliegen des von der Regierung angekündigten Gutachtens, die notwendigen Schlüsse gezogen werden.

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ORF.at: Die EU-Kommission hat in Bezug auf die digitale Dividende einen sehr klaren Standpunkt.

Strohmeier: In der öffentlichen Wahrnehmung stand der Streit insbesondere zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbietern auf der einen Seite und den Mobilfunkanbietern auf der anderen Seite im Vordergrund. Der Streit wurde aber zum Teil zu polemisch geführt und führt an der Sache vorbei. Es ist unbestritten, dass es eine digitale Dividende gibt und dass sie von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat unterschiedlich hoch ist. Die EU-Kommission hat aber immer gesagt, dass die Verwendung dieser digitalen Dividende Aufgabe der Mitgliedsstaaten ist. Die Frequenzen sind ein nationales öffentliches Gut. Die Mitgliedsstaaten müssen daher eine Güterabwägung vornehmen, wie sie die frei werdenden Frequenzen in Zukunft verteilen wollen. Es ist ihre Entscheidung, ob sie den Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung der Rundfunkveranstalter legen, oder ob sie diese Dividende dazu verwenden wollen, ihren Bürgern und ihrer Wirtschaft Zugang zum breitbandigen Internet zu bieten. Das sind politische Güterabwägungen. Die Kommission wird darauf keinen Einfluss nehmen. Was wir tun, ist darauf aufmerksam zu machen, dass hier sowohl über den Zugang zur Meinungsbildung entschieden wird – denken Sie nur an die junge Generation, die ihre Information heute aus dem Internet bezieht, wie auch über ganz handfeste wirtschaftspolitische Fragestellungen, die im Zeichen einer globalen Wirtschaftskrise natürlich von einer doppelten Bedeutung sind.

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ORF.at: Das an sich beschlussfertige Telekompaket war zuletzt auf französischen Druck blockiert worden. Im Herbst soll ein neuer Anlauf unternommen werden. Wie beurteilen Sie die Chancen, dass das Paket angenommen wird?

Strohmeier: Ich darf Sie korrigieren. Es ist nicht so, dass das Telekompaket von Frankreich blockiert worden ist. Es ist im europäischen Parlament ein Änderungsantrag in letzter Minute von einer Mehrheit angenommen worden, der auf einen bestimmten französischen Gesetzesentwurf auf der nationalen Ebene abgezielt hat. Das hat dazu geführt, dass der bereits vereinbarte Kompromiss zwischen Parlament und Rat nicht erzielt werden konnte. Jetzt geht das Verfahren in das sogenannte Vermittlungsverfahren - nach all dem, was wir hören, ist es das Interesse der Mitgliedsstaaten, sich genauso wie das Parlament auf diesen einen Punkt zu konzentrieren. Ursprünglich war eine erste Sitzung des Vermittlungsausschusses am 29. September geplant. Sie ist jetzt auf Oktober verschoben worden, was aber kein schlechtes Zeichen sein muss, da das auch dazu beitragen kann, im Vorfeld Diskussionen zu führen, wie man das Problem elegant lösen kann. Mein persönliches Szenario ist, dass wir vielleicht zwei Verhandlungsrunden haben werden und dass man zum Jahresende das Paket förmlich beschließen wird.

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ORF.at: Dann spreche ich den strittigen Punkt gleich an. Das EU-Parlament sprach sich im Mai gegen Netzsperren ohne richterlichen Beschluss aus, wie sie in Frankreich eingeführt werden sollten.

Strohmeier: Natürlich muss es möglich sein, dass bei Gesetzesverstößen Sanktionen erfolgen. Das Problem beim französischen Fall ist, dass als letzte Stufe der Sanktion nur eine Verwaltungseinheit Ihnen den Internet-Zugang hätte sperren können, aber nicht ein Richter. Das hat auch das oberste französische Gericht als nicht mit den Prinzipien der französischen Revolution vereinbart erklärt, so dass die französische Regierung den Gesetzesvorschlag nachbessern muss. Deswegen war die Kritik in Frankreich selbst und im Europäischen Parlament an diesem Gesetzesentwurf so stark.

ORF.at: Ist es nicht paradox, dass einerseits der Netzzugang gefördert und der Zugang erleichtert werden soll, andererseits aber mit Netzsperren gedroht wird?

Strohmeier: So kann man das vielleicht auf den ersten Blick sehen. Der Zugang zum Internet ist aber heute, wenn Sie am sozialen Leben teilhaben wollen, unverzichtbar geworden. Deswegen soll jeder Bürger der EU die Möglichkeit haben, diesen Zugang zu behalten. Die andere Frage ist, wie schütze ich die berechtigten Interessen von Inhabern geistiger Rechte. Wenn ein großer Teil einer Generation nicht bereit ist, für bestimmte Inhalte zu bezahlen, dann heißt das aber nicht zwingend, dass dieser Teil der Generation quasi kriminell sei. Es kann auch heißen, dass das Geschäftsmodell falsch gewählt oder nicht mehr up to date ist. Bei der Musikindustrie ist bereits ein Umdenken im Gange, etwa dass verschiedene Künstler ihre Songs zum kostenlosen Download ins Netz stellen und die Verwertung über Konzerte suchen. Das zeigt, dass hier andere Geschäftsmodelle ausprobiert werden, weil das klassische Geschäftsmodell eben nicht mehr funktioniert.

ORF.at: Wie glücklich sind Sie mit der im Telekompaket getroffenen Regelung zur Regulierung des Telekommunikationsmarktes in Europa?

Strohmeier: Wenn man davon ausgeht, dass wir auch im Telekommunikationsbereich auf einen einheitlichen europäischen Markt zugehen, dann ist es klar, dass wir eigentlich einen Regulierer und nicht mehr 27 brauchen. In der politischen Realität ist das natürlich immer schwierig zu erreichen, und deswegen hat der Kompromiss zwischen Rat und Parlament jetzt daraus eine Synthese dergestalt gebildet, dass die 27 jetzt sozusagen als Gemeinschaft den europäischen Regulierer bilden. Das ist sicherlich ein großer Fortschritt im Vergleich zum Ist-Zustand, wo wir im Grunde immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner als noch dazu als unverbindliches Ergebnis hatten - was in der praktischen Konsequenz häufig bedeutet, dass entweder nichts passiert oder zu langsam.

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ORF.at: EU-Kommissarin Reding hatte sich zuletzt in einer Rede vor dem Lisbon Council für einheitliche Lizenzen starkgemacht. Die EU-Kommission sprach schon vor Jahren eine diesbezügliche Empfehlung aus. Auch die Wettbewerbskommission wurde im vergangenen Jahr aktiv.

Strohmeier: Das Thema ist jetzt durch Google Books wieder deutlich geworden. Wenn die einvernehmliche Regelung zwischen Google auf der einen Seite und amerikanischen und europäischen Verlagen auf der anderen Seite erfolgen würde, dann hätte ich als amerikanischer Bürger in den USA Zugang zu Werken europäischer Provenienz, aber als EU-Bürger nicht, weil dem 27 verschiedene Lizenzierungsgesellschaften entgegenstehen. Das kann nicht sinnvoll sein und ist in der heutigen Zeit im Grunde genommen absurd. Insbesondere dann, wenn man davon ausgeht, dass fast 90 Prozent der europäischen Bücher sogenannte verwaiste Werke sind, wo es niemanden mehr gibt, der die Rechte wahrnehmen könnte, und weil die Bücher nicht mehr gedruckt werden. Als US-Bürger hätte ich zu diesen Büchern Zugang, als EU-Bürger aber nicht. Das wäre ein unhaltbarer Zustand. Wir müssen als Europäer unsere eigene Identität über unsere eigenen Werke selbst bewahren wollen. Über ein einheitliches Lizenzierungsverfahren hätten wir die Chance dazu. Das Prinzip müssen wir akzeptieren, über die Modalitäten kann man ja gerne reden.

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ORF.at: Die EU-Kommission forderte europäische Stakeholder zu Stellungnahmen zum Google-Buchprojekt auf. EU-Kommissarin Reding kündigte in diesem Zusammenhang auch ein zentrales Melderegister für verwaiste Werke an. Gibt es schon ein Szenario?

Strohmeier: Anfang September wird ein Hearing zu dem Settlement veranstaltet. Die angestrebte Einigung ist auch insofern paradox, als dass auf der einen Seite europäische Verlage da mitmachen wollen und die Vertreter der Mitgliedsstaaten, in denen diese Verlage beheimatet sind, sich gegen eine Einigung von Google mit diesen Verlagen wenden. Aus dieser Verworrenheit auf europäischer Seite müssen Konsequenzen gezogen werden. Die verwaisten Werke sind ein eklatantes Beispiel. Die meisten verwaisten Werke sind ja europäische, aber wir als Europäer sind nicht in der Lage, in einer konsumentenfreundlichen Weise von ihnen zu profitieren. Da müssen wir etwas ändern.

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ORF.at: Ende September läuft der Vertrag aus, der die Internet-Adressverwaltung (ICANN) an das US-Handelsministerium bindet. Die EU-Kommission will mehr Einfluss auf ICANN. Wie kann eine mögliche internationale Verwaltung für die ICANN aussehen?

Strohmeier: EU-Kommissarin Reding hat nicht mehr Einfluss für die EU als solche gefordert. Sie hat gefordert, dass die Aufsicht über ICANN weg von der amerikanischen Regierung kommt. Ihre Idee ist, dass ein Forum gebildet wird, wo diese Aufsicht gemeinschaftlich ausgeübt wird, unter anderem auch durch die EU und nicht mehr allein durch den Sitzstaat USA. Schon in der Clinton-Administration war angedacht, dass man diese Aufsicht privatisiert und so aus der US-staatlichen Aufsicht nimmt. Das wäre sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.

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ORF.at: Welche Auffassung vertritt die Kommission in Sachen Netzneutralität? Sehen Sie die in Europa in Gefahr?

Strohmeier: Die Frage der Netzneutralität wird in Europa genau so wie in den USA intensiv diskutiert. Die Netzbetreiber würden es gerne sehen, dass die Diensteanbieter sich an ihren Netzinvestitionskosten beteiligen. Sie müssen ihre Netze ja laufend verbessern, um dem gestiegenen Informationsfluss Rechnung zu tragen. Ich persönlich weiß nicht, wie diese Diskussion endet, aber ich gehe davon aus, dass in Europa die Tendenz zur Netzneutralität insgesamt größer ist, weil die Meinung vorherrscht, dass es nicht sein kann, dass der Kapitalstärkste die Priorisierung seiner Inhalte festsetzt.

(futurezone/Patrick Dax)