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Erfolgsfaktoren für soziale Web-Anwendungen

STUDIE
09.09.2009

In einer umfangreichen Studie haben Christiane Schulzki-Haddouti und Lorenz Lorenz-Meyer von der Hochschule Darmstadt zahlreiche Anwendungen kooperativer Technologien, von Instant-Messaging bis hin zu Blogs und Wikis, untersucht. ORF.at hat Lorenz-Meyer zu Erfolgsfaktoren von Social-Web-Anwendungen befragt.

ORF.at: Sie haben den Einsatz von kooperativen Technologien in Arbeit, Bildung und Zivilgesellschaft untersucht. Welche Möglichkeiten ergeben sich durch diese sozialen Anwendungen?

Lorenz-Meyer: Die Anwendungsmöglichkeiten sind extrem vielfältig. Kooperative Technologien können in der Planung eingesetzt werden, in der Koordination, im Wissensmanagement, in der internen und externen Kommunikation. Allerdings darf man sich auch keine Wunder versprechen. Die Verwendung der neuen Werkzeuge ist kein Selbstgänger. Dem Einsatz stehen oft beträchtliche kulturelle, aber auch technische Barrieren entgegen.

Lorenz Lorenz-Meyer unterrichtet an der Hochschule Darmstadt Online-Journalismus und arbeitete an der von der Kulturpädagogin und IT-Journalistin Christiane Schulzki-Haddouti durchgeführten Studie "Kooperative Technologien in Arbeit, Ausbildung und Zivilgesellschaft" mit.

Die Studie wurde vor kurzem veröffentlicht und steht unter einer Creative-Commons-Lizenz (by attribution, non-commercial) zum Download bereit.

ORF.at: Welche Anwendungen werden tatsächlich verwendet?

Lorenz-Meyer: Das ist nach unseren Erhebungen je nach Umgebung sehr unterschiedlich und hängt von teilweise erstaunlichen Kontextfaktoren ab. So werden in Umgebungen, in denen vorrangig Informatiker arbeiten, vielfach noch bewährte und mächtige, aber vergleichsweise "altmodische" Tools wie Mailinglisten, IRC, sogar das Usenet eingesetzt, und zum kollaborativen Schreiben verwendet man dort teilweise Versionierungssysteme, die sonst in der Software-Entwicklung eingesetzt werden - während man in anderen Umgebungen für vergleichbare Aufgaben eher Instant Messaging und Wikis einsetzen würde. Manche Services - wie Social Bookmarking - haben anscheinend ihren Weg in die Organisationen noch gar nicht recht gefunden und verbleiben weiterhin überwiegend in der Domäne vernetzter Einzelkämpfer, zum Beispiel netzaffiner Freelancer.

ORF.at: Viele dieser Anwendungen werden nur zögerlich akzeptiert. Was sind die wichtigsten Faktoren, damit soziale Web-Anwendungen in den von Ihnen untersuchten Bereichen erfolgreich sein können?

Lorenz-Meyer: Ganz kurz zusammengefasst: Die Werkzeuge müssen einen erkennbaren Nutzen bringen, und die Dienste müssen vertrauenswürdig sein. Die Benutzer sollten sich darin wiederfinden können. Es ist notwendig, bei der Einführung neuer Technologien behutsam vorzugehen und ein offenes Ohr für die Benutzer zu bewahren. Vieles, was auf dem Papier sinnvoll aussieht, ist in einer realen Situation dann doch nicht durchsetzbar. Darüber hinaus ist es von Vorteil, wenn die Werkzeuge offen angelegt sind, so dass die Nutzer neue Anwendungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten entdecken oder sogar selbst entwickeln können.

ORF.at: In vielen Unternehmen, Institutionen, aber auch in der Politik stehen kooperativen Technologien vielfach noch verkrustete Strukturen gegenüber. Wie können diese überwunden werden?

Lorenz-Meyer: Der Widerstand kommt im Wesentlichen von zwei Seiten: Erstens gibt es da ein teilweise übertriebenes Sicherheitsdenken vonseiten der IT-Abteilungen und des Managements. Natürlich setzt man sich mit dem Einsatz neuer, gerade Internet-basierter Dienste gewissen Sicherheitsrisiken aus. Andererseits wiegt der Nutzen in vielen Fällen den potenziellen Schaden bei weitem auf. Leider weiß man vorher oft nicht so genau, was funktionieren wird und was nicht. Wir plädieren hier für ein etwas offeneres Herangehen. Zweitens sind die Anwender selbst oft ein Hindernis, weil ihnen die notwendige Medienkompetenz fehlt, sich auf neue Technologien einzulassen. Davon abgesehen spielt aber auch die Tatsache eine Rolle, dass es extrem viele, vereinzelte und teilweise konkurrierende Produkte gibt, so dass durchaus berechtigte Zweifel an deren Integrierbarkeit und der Überlebensfähigkeit der Anbieter zu überwinden sind.

ORF.at: Das Forschungsprojekt wurde mit einem Wiki beziehungsweise wird auch noch mit einem Blog begleitet. Wie waren Ihre Erfahrungen damit?

Lorenz-Meyer: Es gab ein externes und ein internes Wiki. Das externe Wiki, in dem Außenstehende ihre Anregungen beisteuern sollten, hat nicht die Resonanz bekommen, die wir uns davon versprochen hatten. Da Christiane Schulzki-Haddouti die Studie weitgehend alleine erarbeitet hat, diente das interne Wiki für sie vor allem dazu, mich fortlaufend über den Stand der Arbeit zu informieren und Rückmeldungen einzuholen. Außerdem hat Christiane Social Bookmarks verwendet, um eigene Fundsachen im Netz niederzulegen und von den Fundsachen anderer Experten zu profitieren. Am interessantesten war eigentlich der Erfolg des Blogs, das schnell weit mehr geworden ist als ein Arbeitstagebuch zum Projekt. Hier hat Christiane auch Themen aufgegriffen, die teilweise in einem nur lockeren Zusammenhang mit der Studie standen, und hat damit eine Diskursumgebung geschaffen, die weit über das hinausgeht, was man bei Projekten unserer Größenordnung gewohnt ist.

ORF.at: Welche Auswirkungen haben die kooperativen Technologien auf die Innovationsfähigkeit?

Lorenz-Meyer: Innovation ist ja nicht mehr nach dem Prinzip Daniel Düsentrieb denkbar, als Sache einzelner Erfinderpersönlichkeiten - sie beruht vielmehr auf Kooperation und einem möglichst fruchtbaren Pool von Ideen. Andererseits gibt es in der Industrie und in vielen Forschungseinrichtungen natürlich auch Vorbehalte gegen eine zu transparente Ausrichtung, man fürchtet um die Früchte der eigenen Arbeit. Wir hoffen, mit unserer Analyse einen Beitrag dazu zu leisten, die Vorteile einer offeneren Entwicklungsarbeit aufzuzeigen. Je mehr Wissen der Allgemeinheit zugänglich ist, desto innovativer ist eine Gesellschaft insgesamt.

ORF.at: Zahlreiche Beispiele aus der Medienbranche und der Unterhaltungsindustrie - etwa P2P-Software und Online-Radiodienste wie Last.fm - zeigen, dass Innovationsschübe in den vergangenen Jahren zumeist branchenfern entwickelt wurden. Warum wurden solche Entwicklungen verschlafen?

Lorenz-Meyer: Die "Entmachtung" traditioneller Branchen ist selbst ein Effekt der in Netzwerken möglichen offenen Strukturen. Das Internet ist in seiner bisherigen Gestalt ein wesentlich egalitäres Medium. Hier kann im Prinzip jeder, der eine gute Idee hat, diese auch am Markt erproben. Vergessen Sie aber nicht, dass der Weg von einer guten, einleuchtenden Idee zu einem marktfähigen, gewinnbringenden Produkt nicht einfach ist. Hier ist vielfach dann doch wieder das Branchenwissen notwendig.

ORF.at: Die von Ihnen untersuchten Technologien tragen auch zu einer Neudefinition von gesellschaftlichen Bereichen bei. Über diese neuen Interaktions- und Produktionsweisen geraten auch traditionelle Geschäftsmodelle in Bedrängnis. Die Unterhaltungindustrie ist davon ebenso betroffen wie klassische Medienunternehmen. Was raten Sie diesen Branchen im Umgang mit kooperativen Technologien?

Lorenz-Meyer: Gerade die Unterhaltungsindustrie und das Verlagswesen sollten nicht versuchen, gegen den Strom zu schwimmen. Es ist sicher psychologisch nicht leicht, Zeit und Geld in neue Bereiche zu investieren, von denen man weiß, dass sie den Untergang der eigenen traditionellen Geschäftsfelder beschleunigen. Aber auf lange Sicht werden nur diejenigen überlebensfähig sein, die sich vernetzen und auf diese Weise in die allgemeinen Innovationsprozesse integrieren.

ORF.at: Sie unterrichten am Studiengang Online-Journalismus in Darmstadt. Welche Auswirkungen haben diese neuen Kommunikationsformen auf den Journalismus?

Lorenz-Meyer: Wir haben insbesondere den Einsatz von kooperativen Technologien in der Redaktionsarbeit untersucht. Hier bietet es sich an, Wikis für das Wissensmanagement (zum Beispiel Quellensharing) und zur redaktionellen Koordination (Themenplanung) zu nutzen. Außerdem können Werkzeuge wie Social Bookmarks bei der Recherche unterstützen. Im vernetzten Newsroom der Zukunft werden kollaborative Schreibprozesse eine noch größere Rolle spielen. Ein Tool, das in diesem Zusammenhang besonders interessant werden könnte, das wir aber noch nicht berücksichtigen konnten, weil es erst nach Fertigstellung der Analyse vorgestellt wurde, ist Google Wave. Damit wird es möglich, dass ein Redakteur einen Text bereits zu bearbeiten beginnt, während der Autor noch daran schreibt. Der Schreibprozess ist für alle Beteiligten in Echtzeit nachvollziehbar. Abgesehen von diesen redaktionellen Einsatzfeldern werden kooperative Technologien natürlich auch zur Einbindung der Nutzer verwendet.

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(futurezone/Patrick Dax)