Club der virtuellen Bürger

07.01.2007

Nach dem gescheiterten Versuch, die Online-Spielewelt "Ryzom" zu übernehmen, wollen Open-Source-Aktivisten nun eine halbe Million Euro sammeln, um ein anderes Game zu "befreien".

Für die Mitglieder der Initiative "Save Ryzom" verlief das vergangene Weihnachtsfest ruhiger, als sie eigentlich wollten. Dabei hatte alles recht ermutigend begonnen. 170.000 Euro an Spendenzusagen hatten die Aktivisten eingesammelt, darunter auch 60.000 US-Dollar von der Free Software Foundation [FSF].

Mit diesem Geld wollte die Initiative das Online-Rollenspiel "Ryzom" aus der Konkursmasse der französischen Herstellerfirma Nevrax kaufen und den Code unter der Gnu Public License [GPL] als Open Source veröffentlichen.

Am 22. Dezember 2006 ging das Spiel aber an die deutsche Firma Gameforge, die "Ryzom" nun wie gehabt weiterbetreibt.

Spiele und Gedankenpaläste

Die einmal erfolgreich in die Welt gesetzte Idee einer "freien" Spieleumgebung im Netz ist aber damit nicht gestorben. Zu viele Spieler und Programmierer träumen von virtuellen Landschaften, die nicht unter der Kontrolle eines Unternehmens wie Linden Lab ["Second Life"] oder Vivendi ["World of Warcraft"] stehen.

Zudem würde eine attraktive virtuelle Welt mit offenem Quellcode dem Konzept des 3-D-Browsens ganz neue Möglichkeiten eröffnen, da auch ganz neue Anwendungen schneller und kostengünstiger aufgesetzt werden könnten.

Dass dabei auch nützliche Anwendungen herauskommen könnten, wird deutlich, wenn man sich etwa an die mnemotechnischen Gedankenpaläste der Antike und der frühen Neuzeit erinnert. Menschen haben schon seit langer Zeit versucht, abstrakte Denkvorgänge als Räume darzustellen, um sie besser begreifbar zu machen.

Als der Jesuit Matteo Ricci 1583 als Missionar nach China ging, warb er mit einer besonderen Gedächtnistechnik für seinen Orden: Seine Schüler sollten sich Gedankenpaläste bauen, die im Laufe des Lernprozesses mit Gegenständen angefüllt wurden, die Ideen und Fakten repräsentieren.

Befreite Spiele

Ryzom.org-Initiator Xavier Antoviaque versucht nun, Energie und Ressourcen des ursprünglichen Projekts in einen neuen Plan umzuleiten. Die von ihm gegründete "Virtual Citizenship Association" möchte eine halbe Million Euro sammeln, um mit dieser Kampfkasse ein anderes Spielesystem zu übernehmen.

Als Vorbild zitiert Antoviaque die Geschichte der 3-D-Gestaltungssoftware Blender, deren Entwickler- und Fangemeinde 2002 100.000 Euro sammelte, um das Programm zu kaufen und den Source-Code zu befreien.

Das neue Projekt

In den Foren der alten Website von Ryzom.org wird die neue Idee lebhaft diskutiert. Zahlreiche Teilnehmer haben dagegen protestiert, dass Antoviaque, der in den vergangenen Tagen nicht für ein Statement zu erreichen war, das für den Kauf von "Ryzom" zugesprochene Geld einfach als Grundstock für das neue Projekt verwendet hat.

Auch die FSF hat bisher nicht auf die Anfrage von ORF.at geantwortet, ob die Umwidmung dieser Mittel in ihrem Sinne ist. Nun handelt es sich bei den 176.070 Euro nicht um eine Summe, die bereits überwiesen wäre, sondern nur um unverbindliche Zusagen.

Trotzdem wäre es schade, wenn die Pläne für eine Online-Welt mit freiem Quellcode rein virtuell bleiben würden.

(futurezone | Günter Hack)