Tauschbörsennutzer als "Produktfälscher"
Am Montag hat die EU-Kommission einen Vorschlag zum Schutz von Kosmetika, Lebensmitteln, Autoersatzteilen und Spielzeug gegen Produktpiraterie veröffentlicht. Am Dienstag begrüßte der Weltverband der Musikindustrie den Vorschlag und verlangte, die auf freiwilliger Basis geplanten Maßnahmen im "legislativen Rahmen zu stärken". Muster ist das gleichfalls Dienstag verabschiedete Netzsperrengesetz Frankreichs.
Am Montag schlug sich das seit drei Jahren in Planung befindliche internationale Anti-Piraterie-Abkommen ACTA erstmals in einem konkreten Text einer europäischen Institution öffentlich nieder. In einer "Kommunikation" an Ministerrat und Parlament meldete sich die EU-Kommission zum Thema "Kampf gegen Produktfälschung und -piraterie" zu Wort.
Das Dokument trägt den Titel "Die Durchsetzung von Rechten am geistigen Eigentum im Binnenmarkt verbessern", worauf es in erster Linie abzielt, wird bereits auf der ersten Seite klar ausgedrückt.
"Während Luxusgüter, Mode, Musik- und Filmprodukte die traditionellen Ziele von Produktfälschung und -piraterie waren, so sind mittlerweile Güter wie Lebensmittel, Kosmetika, Hygieneprodukte, Autoersatzteile, Spielzeug und verschiedenste technische oder elektrische Geräte" davon betroffen, heißt es in dem Schreiben der Kommission.
Hilfe für KMUs
Besonders kleine und mittlere Unternehmen brauchten Unterstützung, da sie vielfach nicht die Mittel hätten, um gegen Kopien ihrer Produkte vorzugehen. Das habe eine Umfrage unter europäischen KMUs im Jahr 2007 ergeben, schreibt die Kommission.
Im gesamten elfseitigen Dokument ist praktisch nur von materiellen Gütern die Rede, das Internet selbst wird zwar mehrmals genannt, aber stets nur in Zusammenhang mit dem Vertrieb gefälschter Waren aus der analogen Welt.
Um den Vertrieb gefälschter Produkten zu konterkarieren, wurde bereits mit "Stakeholders' Dialogues" begonnen, also mit Gesprächsrunden zwischen betroffenen Unternehmen, den entsprechenden Behörden und Internet-Providern, so das Papier der EU-Kommission.
Dezidiert nicht-legislativ
Aufgrund des rapiden technischen Fortschritts und des daraus resultierenden Bedarfs an praktischen technischen Lösungen seien freiwillige Abkommen auf diesem Gebiet "besonders vielversprechend", heißt es auf Seite zehn des Dokuments.
Die "Kommunikation" selbst hat erklärtermaßen "nicht-legislativen" Charakter, generell sind Vereinbarungen auf freiwilliger Basis vorgesehen. Überlegungen in Richtung Legislative seien erst dann anzustellen, wenn sich der "vorerst eingeschlagene Weg als nicht zielführend" herausstellen sollte.
Die Maßnahmen
Im Zentrum der vorgeschlagenen Maßnahmen steht für die Kommission ein "elektronisches Netzwerk", das grenzüberschreitend und "in Echtzeit dem Informationsaustausch über die Verletzung geistiger Eigentumsrechte von Gütern und Services" dienen soll.
Die US-Regierung hatte im April den Inhalt von ACTA veröffentlicht. Auch jetzt sei noch kein "zusammenfassender Text vorhanden", hieß es vom US-Handelsdelegierten, weshalb man sich auf eine Inhaltsangabe beschränke. Betont wurde dabei, dass sich das Abkommen vor allem gegen den Vertrieb von Produktfälschungen in großem Stil richte.
Zum Informationsaustausch kommt noch eine Reihe weiterer Maßnahmen auf dem Sektor Aufklärung der Jugend und Öffentlichkeitsarbeit. Insgesamt liest sich das Papier durchwegs maßvoll und an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiert, es ähnelt dem von der Regierung Obama in den USA veröffentlichen ACTA-Maßnahmenkatalog.
IFPI: "Praktisch und sensibel"
Die erste öffentliche Stellungnahme kam nun nicht etwa von einem mittelständischen Maschinenbauer, Automobilzulieferer oder Süßwarenfabrikanten aus Europa. Postwendend meldete sich nur die International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) in Gestalt ihres Vorsitzenden John Kennedy zu Wort.
"Das sind gute Nachrichten für Europas Musikbranche, die eine treibende Kraft der Kreativwirtschaft in Europa und weltweit ist", so Kennedy und begrüßte die Vorgangsweise der Kommission als "praktischen und sensiblen Schritt".
Legislativen Rahmen stärken
Maßnahmen auf freiwilliger Basis seien nun einmal beschränkt wirksam, hieß es dann schon weniger empfindsam weiter.
?o die Kommission das wahre Ausmaß des Piraterieproblems zur Kenntnis nehme, sei man seitens der IFPI bereit, gleich auch den nächsten Schritt in Angriff zu nehmen: "Den legislativen Rahmen zu stärken".
Das Gesetz HADOPI
Wie die Stärkung des legislativen Rahmens aussehen soll, hat die französische Regierung am Dienstag demonstriert. Die neueste Auflage des Netzsperrengesetzes HADOPI, das mehrmals nacheinander im Senat abgelehnt und danach vom französischen Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig verworfen wurde, passierte am Dienstag das Parlament.
Die Abgeordneten der Nationalversammlung in Paris nahmen am Dienstag einen nachgebesserten Entwurf mit den Stimmen der konservativen Regierungsmehrheit an. 285 Abgeordnete stimmten für das Gesetz, 225 dagegen. Die Opposition drohte neuerlich mit einer Verfassungsklage.
Netzsperrengesetz auf dem Weg(futurezone.orf.at
-EU: Harte Strafen für "Produktpiraten"
-Streit über Richtlinie zu Produktpiraterie
~ Link: futurezone.orf.at (http://futurezone.orf.at/stories/1627350/)__) ~
Private Filesharer - denn um die geht es - werden nicht nur nach wiederholten Verstößen gegen das Urheberrecht ("Three Strikes out") vom Internet-Zugang ausgeschlossen. Dazu werden sie mit "Produktfälschern" gleichgesetzt, die Beschuldigten können also wegen "Fälschung" - einem Betrugsdelikt - zu einer Geldstrafe bis zu 30.000 Euro oder zu einer Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren verurteilt werden.
So hätte es die IFPI gerne in ganz Europa, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass das auch so kommen kann.
Am Beispiel Vorratsdatenspeicherung
Die allererste Stellungnahme zur verpflichtenden Verfügbarstellung von Verkehrsdaten aus den Telefonnetzen zum Zweck der Strafverfolgung war, lange bevor das Ganze "Vorratsdatenspeicherung" hieß, als "Kommunikation" der Kommission an Rat und Parlament ergangen.
Kernempfehlung des aus heutiger Sicht nachgerade "sensibel" gestalteten Vorschlags der Komission war, die Verkehrsdaten eines Telefonanschlusses ab Gerichtsbeschluss "einzufrieren" und erst von da an dauerhaft zu speichern.
Was der Ministerrat unter dem Druck großer EU-Staaten wie Frankreich und England mit Unterstützung der Scharfmacher aus den beiden großen Parlamentsfraktionen daraus gemacht hat, ist hinlänglich bekannt.
(futurezone/Erich Moechel)