ECall: Geschäfte mit dem Autonotruf
Vor kurzem ist von der EU-Kommission der Aufruf an die Mitgliedsstaaten ergangen, das paneuropäische Unfallmeldesystem eCall möglichst rasch einzuführen. In Österreich wird bereits an der Einführung gearbeitet, mögliche Betreiber für Abwicklung und Services bringen sich schon in Stellung. Bis eCall tatsächlich startet, wird es aber noch dauern.
Die EU will mit dem automatischen Notrufsystem Menschenleben retten. Bis zu 2.500 Todesfälle im Verkehr sollen damit pro Jahr in der Union verhindert werden können. Bisher scheiterte die Umsetzung an praktischen Problemen und an der Finanzierung der nötigen Infrastruktur durch die EU-Staaten - eigentlich sollte eCall bereits heuer auf Europas Straßen im Einsatz sein. Die Industrie, allen voran die Autohersteller, wittert bei eCall neue Einnahmemöglichkeiten.
Das eCall-In-Band-Modem funktioniert in beide Richtungen und soll die Daten in weniger als vier Sekunden versenden.
Direkte Sprechverbindung ins Fahrzeug
Bei eCall sollen alle Neufahrzeuge ab Werk mit einem automatischen Notrufsystem ausgestattet werden. Dieses besteht aus einem Satelliten-Ortungssystem, einem Mobilfunkmodem, einer Notfalltaste sowie Mikrofon und Lautsprecher für die direkte Kommunikation mit dem Fahrer. Die Unfallregistrierung soll über Sensoren, entweder bereits integrierte wie Gurtstraffer und Airbag oder extra eingebaute wie die für die Messung der Beschleunigung, erfolgen. Die Kosten dafür sollen laut EU-Kommission unter 100 Euro pro Installation betragen.
Bei einem Unfall baut das System über die europäische Notrufnummer 112 eine Sprechverbindung zur nächsten Meldestelle auf und überträgt dabei die Fahrgestellnummer des Autos sowie den aktuellen Ort samt einem Zeitstempel. Anhand dieses von der EU definierten Mindestdatensatzes, wobei auch mehr von den Sensoren gelieferte Daten wie etwa die Aufprallintensität übertragen werden können, sollen Rettungskräfte Unfälle in Zukunft schneller finden und Hilfe leisten können. Das In-Band-Modem soll sicherstellen, dass Nachrichten innerhalb von vier Sekunden bei der Meldestelle ankommen.
Österreich in den Startlöchern
Österreich habee sich bereits vor einigen Jahren damit einverstanden erklärt, E-Call einzuführen, und könne es auch "relativ bald tun", sagte Harald Trautsch, Vize- und Marketingchef des Dienstleisters OCTO Telematics, heimischer eCall-Beauftragter und Österreichs Vertreter in der Anfang des Jahres gegründeten eCall-Implementierungsplattform der EU. Nach dem Vorbild dieser Organisation wurde in Österreich vor kurzem ebenfalls eine eigene Implementierungsplattform geschaffen. Beide Interessengruppen sollen neben technischen auch rechtliche und organisatorische Fragen lösen, die - je nach Standpunkt der Beteiligten - anders aussehen und zu lösen sind.
Ende August hatte die EU den Mitgliedsstaaten die Rute ins Fenster gestellt: Entweder sie führen eCall freiwillig ein, oder Brüssel werde entsprechende Maßnahmen setzen.
Problemfall Anrufabwicklung
ECall sieht zum Beispiel eine Unterscheidung zwischen Notrufen via Notfallknopf und automatischen Notrufen, die von den Sensoren im Auto ausgelöst werden, vor. Gehen von einem bestimmten Ort mehrere Notrufe ein, werden die manuellen Notrufe nur als Meldungen gewertet, dass ein Unfall stattgefunden hat. "Nur die automatischen Notrufe werden in diesem Szenario als Mitteilungen von Fahrzeugen gewertet, die tatsächlich am Unfall beteiligt sind", erklärte Wolfgang Hoefs, der in der Generaldirektion für die Informationsgesellschaft der EU-Kommission für eCall zuständig ist. Anhand dieser Unterscheidung soll die Situation an Ort und Stelle besser eingeschätzt und eine Überlastung der Systeme vermieden werden, da bei jedem Notruf auch eine Sprachverbindung hergestellt wird.
Polizei befürchtet Notrufflut
"Für die nationalen Stellen wie die Polizei stellt sich dabei die Frage, wer all diese Anrufe entgegennehmen und bearbeiten soll", gab Günter Breyer, im Verkehrsministerium für eCall zuständig, zu bedenken. Die Polizei befürchte, dass auch bei kleineren Problemen Notrufe abgesetzt werden, etwa wenn den Fahrern das Benzin ausgehe oder sie den Weg nicht fänden. Die Polizei frage "zu Recht, wer die Kapazitäten dafür zahlen soll", so Breyer. Daher wird laut Breyer darüber verhandelt, einen "Filter" vorzuschalten, der die echten Notrufe von Pannen unterscheide.
Automobilindustrie will Zusatzdienste verkaufen
Interessenten für die Bearbeitung dieser Filterfunktion gibt es genug, allen voran bewerben sich die Automobilhersteller selbst darum. Sie könnten dabei gleich weitere Dienste anbieten, meinte Trautsch, wie eine Diebstahlsortung oder die Ferndiagnose von Fahrzeugen. Zwar bieten einige Autohersteller solche Services gegen entsprechendes Entgelt bereits an, mit eCall würden aber alle Autos mit der dafür notwendigen Hardware ausgerüstet und wären somit potenzielle Kunden für die Zusatzdienste. Damit wären aber auch die proprietären Systeme der Autobauer zumindest teilweise obsolet, so sie die eCall-Funktionen nicht um ihre eigenen Systeme herumbauen - laut Trautsch wäre das durchaus eine Option.
Testlauf für Abwicklung
Der Autofahrerclub ÖAMTC ist an eCall interessiert und brachte sich mit diversen Dienstleistungen bereits in Stellung, unter anderem mit der Abwicklung des Versicherungsangebots SafeLine der Uniqa. SafeLine ist eCall in Form und Funktion sehr ähnlich, auch dabei werden eine Mobilfunkeinheit, ein elektronischer Crashsensor und eine Notruftaste ins Auto eingebaut. Statt über Mikrofon und Lautsprecher, wie bei eCall vorgesehen, wird der Fahrer von der Notfallzentrale über sein Handy kontaktiert. Der Notruf erfolgt mittels SMS direkt an das Callcenter des ÖAMTC, das dann alles weitere in die Wege leitet.
Sicherheit und Fehlfunktion
Zwischen 1.500 und 2.000 Alarmmeldungen aus den knapp 8.000 derzeit damit ausgestatteten Fahrzeugen gebe es pro Monat, sagte Wolfgang Löffler von der ÖAMTC-Telematik. Einige davon seien Meldungen von Unfällen gewesen, darunter auch von schweren. Allerdings gebe es auch "kleine" Fehlfunktionen, wobei die Mehrheit davon auf eine falsche Handhabung durch die Nutzer zurückzuführen sei. "Ab und an" gebe es Fehlauslösungen des Notfallknopfs. Da es bereits unnötige (und damit kostenpflichtige) Polizeieinsätze gegeben habe, versuche man derzeit, die Alarmfälle besser zu prüfen, bevor die Polizei gerufen wird. Ein Unfall um 16.00 Uhr auf einer viel befahrenen Hauptstraße werde anders behandelt als einer um 4.00 Uhr auf einer einsamen Landstraße.
Aus den Erfahrungen der letzten Monate habe man viel gelernt, so Löffler, etwa aus einem Fall, als mitten in der Nacht ein Crashsensor in Griechenland Alarm schlug. Die Kontaktaufnahme mit dem Auto habe gezeigt, dass das Fahrzeug weiterhin mit 120 km/h durch die Ortschaft fuhr - "in dem Fall war es wohl ein Schlagloch, das den Sensor ausgelöst hat", vermutete Löffler. Für diese Erkenntnis rief die Einsatzzentrale des ÖAMTC das Auto mehrmals an und ließ sich die aktuelle Position schicken. Daraus konnten laut Löffler die Geschwindigkeit und der Ort ermittelt werden.
Kilometerabhängige Versicherung
SafeLine bietet neben einer Fahrzeugortung bei Diebstahl auch eine kilometerabhängige Versicherung an - beides laut EU Services, die über die eCall-Hardware ebenfalls möglich wären. Dafür werden bei SafeLine in einer kleinen Speicherbox GPS-Ortungspunkte gesammelt, die alle 80 Kilometer an den Telematikdienstleister OCTO Telematics (vormals Dolphin Technologies) übertragen werden. Er errechnet für jede Box die Anzahl der gefahrenen Kilometer inklusive einer Prozentverteilung Stadt/Land/Autobahn und Tag/Nacht. Die Uniqa ordnet diese Daten anhand der Boxnummer dann dem jeweiligen Kunden zu.
Fahrzeugortung und Privatsphäre
Der ÖAMTC nutze die GPS-Daten aus den Autos, um Orte auf Google Maps zu suchen, sagte Löffler. Das geschehe aber nur dann aktiv, wenn ein Kunde anrufe oder der Notfallknopf beziehungsweise der Crashsensor aktiviert werde, so Löffler. Die ÖAMTC-Mitarbeiter mussten zudem unterschreiben, dass sie keine Kunden ausforschen, außerdem würden alle Aktivitäten mitgeloggt.
Laut Andreas Kößl, Leiter der Uniqa-Kfz-Versicherung, kann OCTO Telematics mit den GPS-Daten "gar nichts machen", da sie nicht mit Adressen angereichert seien. Der Dienstleister könne sie auch nicht auf einen Kunden zurückführen, da diese Daten bei der Uniqa lägen. Dort würden die Daten zumindest ein Jahr lang gespeichert, um bei einem Einspruch einen Einzelfahrtennachweis erstellen zu können. Man habe sich unter anderem vom Institut für Menschenrechte der Universität Wien bestätigen lassen, dass "alles, was wir hier tun, dem österreichischen Datenschutzgesetz entspricht".
Hersteller wollen Geld verdienen
OCTO Telematics selbst ist nicht nur für die Uniqa tätig, sondern bietet seine Telematiksysteme (Hard- und Software) weltweit an, darunter auch im höherpreisigen Autosegment. Trautsch, Marketingchef des Unternehmens, bezeichnete eCall im Gespräch mit ORF.at als Backup-System und stellte vor allem die möglichen Mehrwertdienste der Automobilhersteller in den Vordergrund. Es müsse auch einen Businesscase für eCall geben, so Trautsch, also eine Möglichkeit, mit dem System Geld zu verdienen.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die EU-Kommission sieht das freilich anders. Für sie sind, so die Infrastruktur einmal steht, Zusatzservices wie die aufgezählten zwar möglich, im Vordergrund stünden aber eCall und seine Einführung, sagte Hoefs. Er betonte außerdem, dass der automatische Notruf nur über 112 funktioniere und es keine Vordifferenzierung über einen Drittanbieter geben sollte.
Günter Breyer vom Verkehrsministerium wiederum skizzierte ein Szenario, bei dem es für den reinen eCall-Dienst nur die Box für den automatischen Notruf gibt, für Mehrwertdienste dann den Notrufknopf. "Aber das sind reine Planspiele", darüber werde derzeit diskutiert. Es stelle sich auch die Frage, wer haftbar gemacht werden könne, wenn eCall einmal nicht funktioniere - dieses Problem sei europaweit zu lösen.
Datenschutzprobleme erwartet
Breyer sieht zudem Probleme beim Datenschutz: "Es gibt in den Verträgen sicher irgendwo einen Passus, der dem Anbieter ermöglicht, die Daten aus den Boxen zu nützen - ob anonym oder personalisiert." Über die eCall-Hardware könne man auf lange Sicht zudem auch das ganze Maut- und Stauwarnsystem abwickeln - "Big Brother in Person", so Breyer.
"Grundsätzlich ist moderne Technologie nichts Schlechtes, und wir unterstützen ihre Einführung vom Standpunkt der Verkehrssicherheit aus", so Breyer. "Aber man muss aufpassen, dass sie keinen Schaden anrichtet, und zwar nicht nur vom technischen Standpunkt aus betrachtet." Wenn eine Blackbox erst einmal im Auto installiert sei, könne man damit alles machen. In Italien etwa würden Geschwindigkeitsübertretungen bereits über die Mautsysteme erkannt. Breyer sieht es als seine Aufgabe an, die Umsetzung all dieser Pläne möglichst "sozialverträglich" zu machen.
Unter dem Namen "eSafety" hat sich die EU vor einigen Jahren die Senkung der Zahl der Verkehrstoten in der Union auf die Fahnen geheftet. Verschiedene elektronische Systeme sollen dazu beitragen, darunter auch eCall.
Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten
Für Italien generiert OCTO Telematics aus rund 600.000 mit seinen Systemen bestückten Autos auch Verkehrsflussanalysen - aus anonymisierten Daten, wie Trautsch versicherte. Die EU entwarf bereits eine Richtlinie, die die Einführung derartiger Telematikdienste auch grenzüberschreitend in Europa vereinheitlichen und vorantreiben soll. Der oberste EU-Datenschützer Peter Hustinx erklärte bereits, dass die aus Telematikdiensten gewonnen Daten auch nur für den eigentlichen Zweck eingesetzt werden sollen.
Dass Trautsch als Österreichs offizieller eCall-Beauftragter und Industrievertreter in Personalunion selbst wirtschaftliche Interessen an eCall hat, sei für das Verkehrsministerium kein Problem, auch wenn man sich dessen durchaus bewusst sei, so Breyer. Es sei aber nicht immer möglich, aus dem eigenen Haus das nötige Wissen zu generieren, durch Trautsch sei man wenigstens nahe an der aktuellen Entwicklung dran.
ECall soll ab 2014 funktionieren
Alle drei Experten versicherten jedenfalls, dass eCall kommen werde - wann genau, ist angesichts der zahlreichen ungelösten Fragen und vor allem der unterschiedlichen Interessen allerdings offen. Die EU geht derzeit davon aus, dass ab 2014 alle Neufahrzeuge in der EU mit eCall ausgerüstet sein werden. Davor müssen aber alle Mitgliedsstaaten ihre Notrufsysteme entsprechend aufgerüstet haben. Unter anderen stimmten Großbritannien und Frankreich aus Kostengründen einer Teilnahme bei eCall bisher nicht zu.
(futurezone/Nadja Igler)