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Freie Frequenzen für ein freies Netz

REGULIERUNG
27.09.2009

Mobilfunker und Rundfunkbetreiber kämpfen derzeit mit harten Bandagen um die Frequenzen, die das analoge Fernsehen freigegeben hat. Dabei drohen die Interessen freier Bürgerfunkbetreiber vernachlässigt zu werden, die mit neuen preiswerten Kommunikationstechnologien einen Raum für Innovationen schaffen wollen. Nun haben sie sich in einer Initiative zusammengeschlossen, um sich bei den Politikern Gehör zu verschaffen.

Am Sonntag in "matrix"

"Matrix" am Sonntag, dem 27. September, um 22.30 Uhr in Ö1, oe1.orf.at

Vor wenigen Monaten wurde in Wien eine neue Initiative gegründet mit dem Ziel, die Verbreitung von Open Spectrum zu fördern. Die Open Spectrum Alliance (OSA) will, dass das Beispiel von WLAN Schule macht und mehr Bereiche des elektromagnetischen Spektrums lizenzfrei genutzt werden können. Im Zuge der Umverteilung der digitalen Dividende bereitet sich OSA auf einen heißen Herbst vor.

Zur OSA gehören Bürgernetzaktivisten von Funkfeuer, Freifunk, Guifi.net (Barcelona/Katalonien), Athens Wireless Metropolitan Network (AWMN) sowie auch erfahrene Ingenieure und Architekten internationaler Telekommunikationsstandards wie Vic Hayes und der Journalist und Researcher Robert Horvitz, der sich schon seit Jahren für Open Spectrum in Europa einsetzt. Die Website von Horvitz ist eine Fundgrube für alle, die sich intensiver mit der Materie befassen wollen.

"Stimme des Volkes"

Die unmittelbaren Aufgaben sieht OSA darin, die Regulierungsbehörden in ihrer Arbeit zu unterstützen, meint Vic Hayes. Er leitete von 1990 bis 2002 die Arbeitsgruppe 802.11 der IEEE, die 1997 den ersten Standard für WLAN verabschiedete, kurz darauf gefolgt von 802.11b mit elf Mbit auf 2,4 GHz, der WLAN zum Durchbruch verhalf. OSA müsse "die Stimme des Volkes" gegenüber den Regulierungsbehörden sein, erklärte Hayes. Denn die Regulierer seien offen für neue Vorschläge, könnten jedoch nicht von sich selbst aus aktiv werden. Nur wenn Vorschläge von Stakeholdern, also Interessensvertretungen, auf dem Tisch liegen, können sie diese berücksichtigen.

Die bisherigen Stakeholder, was die Umverteilung der digitalen Dividende betrifft, sind die privaten und öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und die Mobilfunker sowie sozusagen als Neben-Stakeholder die Hersteller von Funkmikrofonen, die auch in den zur Disposition stehenden Bändern des Spektrums arbeiten, und die Betreiber von Kabel-TV-Set-Top-Boxen, die nicht genügend abgeschirmt sind, falls auf diesen Frequenzen Mobilfunkanlagen eingesetzt werden, erklärte Georg Serentschy, Geschäftsführer der RTR im Fachbereich Telekommunikation, gegenüber "matrix".

"Nationale Interessen"

Bei der Regulierung des Funkspektrums versucht man, eine heikle Balance zwischen nationalen Interessen und Harmonisierung auf EU-Ebene zu finden. Bisher tendieren eher die "nationalen Interessen" dazu, sich durchzusetzen. Alles deutet darauf hin, dass es, was die digitale Dividende betrifft, einen von Land zu Land modifizierten Kompromiss zwischen Sendeanstalten und Mobilfunkern geben wird. Mehr "offenes", also lizenzbefreites Spektrum, ist bisher in keinem EU-Land vorgesehen.

Die Vorlage für Open Spectrum kommt, wieder einmal, aus den USA. Dort fällte im November vergangenen Jahres die Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) eine Grundsatzentscheidung. White-Space-Devices sollen das 700-MHz-Band nutzen dürfen, sofern sie selbst in einer "geolocative" Datenbank eingetragen sind, und dort nachfragen, ob die Primärnutzer gerade senden oder nicht.

"White Spaces"

Mit "White Spaces" bezeichnet man Abschnitte im Spektrum, die zwar grundsätzlich einem Nutzer zugewiesen wurden, in denen aber zu einem gegebenen Zeitpunkt gerade nicht gesendet wird. Die Experten von OSA zweifeln, ob der in den USA vorgeschlagene Ansatz mit einer zentralen Datenbank wirklich die technisch beste Lösung ist. Fortschritte mit Cognitive Radio, erklärt Alexander List von Funkfeuer, machen so etwas eigentlich überflüssig. Die intelligenten computergesteuerten Transceiver könnten, so List, in einen Kanal hineinhören und nur dann senden, wenn dieser frei ist, was eine zentrale Datenbank überflüssig macht. Überdies machen geringe Sendestärken und die Verwendung von Spread-Spectrum-Übertragungsmethoden das Eintreten von Interferenzen unwahrscheinlich.

Doch selbst der in den USA erzielte Kompromiss geht den Sendeanstalten dort zu weit, und es sind noch weitere Interventionen zu erwarten, bis White-Space-Devices im 700-MHz-Band Wirklichkeit werden. Daher drängt OSA darauf, in Europa nun schnell eine ähnliche Lösung im Rahmen des anstehenden EU-Telekompakets einzuführen. Denn nur wenn es zu "Economies of Scale" kommt, also zur Produktion neuer Geräte in großen Stückzahlen, werden die Preise so niedrig sein, so dass sich ein Massenmarkt bilden kann.

Warten auf die Dividende

Ganz abgesehen davon, dass in Europa, zum Unterschied von den USA, das 800-MHz-Band im Zuge der Umstellung auf digitales Senden neu verteilt werden soll, gibt es noch dazu das Problem, dass die Geschwindigkeit der Umstellung von analoges auf digitales TV sehr unterschiedlich ist. Während zum Beispiel Österreich schon umgestellt hat, hat die Umstellung in einigen osteuropäischen Ländern noch nicht einmal begonnen. Zudem dürfte der Widerstand der Sendeanstalten und auch der Mobiltelefonfirmen gegenüber Open Spectrum sehr hartnäckig sein. Und nicht zuletzt freuen sich die Finanzminister der EU-Staaten wohl bereits auf saftige Einnahmen aus Frequenzversteigerungen an die Mobilnetzbetreiber.

Da die Chancen für Open Spectrum im Rahmen der digitalen Dividende in Europa eher als gering einzuschätzen sind, ist das auch nicht das einzige Pferd im Stall der OSA. "Wir wollen mehr freie Bereiche verteilt über das gesamte Spektrum", fordert Hayes, "damit wir die unterschiedlichen Verbreitungscharakteristika der Wellen auf verschiedenen Bändern nutzen können."

Cashcow für den Finanzminister

Das Argument für den Markt sei "kurzsichtig", erklärt Alexander List, denn "es ist nicht Aufgabe des Spektrums, Cashcow für den Finanzminister zu sein". Das Spektrum sei ein öffentliches Gut, meint OSA, und müsse langfristig zum Wohle aller eingesetzt werden. Die Erfahrungen mit fehlenden Breitbandanschlüssen in den ländlichen Regionen verweisen auf deutliches Marktversagen.

Die Aussage der OSA ist klar: Gebt uns offene Frequenzen, dann werden innovative Lösungen geschaffen werden. Cognitive radio und White-Space-Devices sind heute keine Zukunftsmusik mehr, sondern bergen die Chance, dass mehr Bandbreite für alle zu billigeren Preisen demnächst verfügbar sein könnte. Dennoch hören sich für viele die Forderungen der OSA wohl utopisch an.

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(matrix/Armin Medosch)